Drucken
Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2020 06 06 um 01.27.58Kurz nach Prozessbeginn gegen Israels Premierminister Binyamin Netanyahu steht seine Gattin Sara im Fokus der Kritik, sie soll Hausangestellte zu Falschaussagen gezwungen haben

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - In der Not frisst der Teufel bekanntlich Fliegen. Und wenn das Interesse am Schicksal der Familie von Premierminister Netanyahu vor lauter Coronavirus abzuebben droht, sucht man sich eben Ersatz in den unteren Etagen der Residenz besagter Familie. Im vorliegenden Fall handelt es sich offenbar um zwei Angestellte des Haushalts des Premierministers. Nicht etwa, dass die zwei mutmaßlich Fehlbaren Geld hinterzogen oder Schwarzgeld weiß gewaschen hätten. Nicht, dass den Damen derartige (Un-)Taten rundweg nicht zuzutrauen wären. Aber damit hätte man Premier Netanyahu kaum belangen können, ist er in derartigen Dingen doch selbst der ebenso eigentliche wie auch unbestrittene Meister des Geschehens.


Übertriebene Sauberkeit am Arbeitsplatz

Im Folgenden stützen wir uns vorwiegend auf Veröffentlichungen der israelischen Presse, vorwiegend von «Yediot Achronot» und der «Jerusalem Post» der laufenden Woche. Dabei soll es sich um nicht weniger als um Falschaussagen seitens Angestellten der Jerusalemer Residenz des Premierministers handeln. Es geht dabei um Falschaussagen des Duos, wobei die Begünstigte, falls die Sache mehr als nur ein Hirngespinst ist, keine andere als Sara Netanyahu wäre, ihres Zeichen Gattin des alt-neuen israelischen Premierministers.

Laut Medienberichten wird den beiden (vielleicht) fehlbaren Hausangestellten zur Last gelegt, zu Gunsten von Sara Netanyahu gelogen zu haben. Der von Shira Raban, einer ehemaligen Mitarbeiterin in der Netanyahu-Residenz, angeforderte Betrag von umgerechnet 225 000 Schekel führte zu einer ungewöhnlich scharfen Attacke vor dem Distrikt-Arbeitsgericht in Jerusalem. In dem bereits vor drei Jahren eingereichten Dokument heisst es laut «Yediot» unter anderem: «Frau Netanyahu hat mir unter anderem verboten, mich der Toiletten in der zweiten Etage der Residenz zu bedienen. Auch essen oder trinken und mich auch nur ein wenig ausruhen durfte ich nicht. Mir wurde auch aufgetragen, meine Kleidung mehrmals an einem Arbeitstag zu wechseln, meine Hände zahllose Male mit speziellen Handtüchern zu waschen ...»

Die Untersuchung wird mit der Bewilligung von Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit durchgeführt. Die Übewachung der ganzen Geschichte liegt laut den Pressemeldungen in den Händen des Büros des Staatsanwalts.


Von der Affäre zur wankenden Regierung?

Die zwei Mitarbeiterinnen werden also verdächtigt, eine unwahre Stellungnahme zu Gunsten der Premiersgattin abgegeben zu haben. Sobald er mit seinen laufenden Geschäften am Ende war, nahm Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit sich der Sache an und meinte in einer kurzen Stellungnahme: «Falsche Stellungnahmen, die den höchsten Tadel verdienen.» Bis zur völligen Aufdeckung des sich anbahnenden Skandals dürfte noch eine geraume Weile ins Lande ziehen. Doch letztlich dürfte es wohl einige Kündigungen absetzen, wenn nicht gar noch Freiheitsentzug für die vorsätzliche Umdrehung von Tatsachen und vielleicht noch weitere Vergehen. Das konnte die neue israelische Regierung zu all dem anderen derzeit sicherlich weniger als alles andere gebrauchen.

In Westeuropa wären solche Schilderungen höchstens eine Erwähnung in Gesellschaftskolumnen zweitrangiger Publikationen wert. In Israel ist das insofern nicht unbedingt vergleichbar, als derzeit in den Wandelhallen der intern noch alles andere als gefestigten Regierung mit ihrem Mammutkabinett jede Breitseite als die Vorbereitung auf den parlamentarischen Ernstkampf in anderthalb Jahren interpretiert werden kann, vor allem wenn es um die zweite Kadenz der Regierung der nationalen Einheit geht. Dann soll ja Benny Gantz das Ruder übernehmen, wenn nicht schon vorher gewisse heute noch nicht absehbare Geschehnisse den Amtswechsel illusorisch machen. Eines kann jedenfalls jetzt schon mit einiger Sicherheit gesagt werden: Die Unsicherheiten, unter welchen die derzeitige israelische Megaregierung zu funktionieren hat, sind viel klarer als diejenigen Elemente, die normalerweise die Entscheidungsgrundlagen für Regierungsmitglieder bilden.

Das gilt auch für die Rolle normalerweise völlig untergeordneter und entscheidungsneutraler Mitarbeitender in der Residenz des Premiers. Unter den gegebenen Umständen kann die Aussage jeder noch so subalternen Arbeitskraft über Sein und Nichtsein eines Spitzenpolitikers, aber auch einer Premiersgattin entscheiden. Mit qualitativer Führung eines Landes und seiner Bürger hat dies praktisch kaum mehr etwas zu tun. Aber das sind nun mal die Realitäten des israelischen Alltags. Daran dürfte sich auch nach einem allfälligen Wechsel von Netanyahu zu Gantz wenig ändern. Sollten die Pressemitteilungen darin korrekt sein, dass die zwei Angestellten von der Polizei unter dem Verdacht befragt worden sind, dass sie unter Eid zugunsten von Sara Netanyahu gelogen hätten, dann dürfte die an sich nebensächliche Affäre die direkt Betroffenen, aber auch die breite Öffentlichkeit in Israel noch eine ganze Weile beschäftigen. Als ob es nicht schon mehr als genug Skandale und Skandälchen gäbe, die der neu gebildeten Regierung den Start bereits übermässig erschweren.

Foto:
Hat Sara Netanyahu zwei Mitarbeitende in ihrer Residenz unter Druck gesetzt, Unwahrheiten zu sagen?
© tachles
 
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 5. Juni 2020