Theologische Impulse Hintergrund fuer FB Impuls 59 Die Bibel ist kein Requisit 4 560x834 a0f36f87a833dcb23399a2d9859d8f47Wider den politischen Missbrauch religiöser Symbole - und das Schweigen vieler Frommer. Theologische Impulse 59

Thorsten Latzel

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Bilder von der Ermordung George Floyds und von den folgenden Demonstrationen und Unruhen in den Vereinigten Staaten von Amerika sind zutiefst erschütternd und bewegend. Sie haben gezeigt, wie tief Rassismus, Ausgrenzung und soziale Ungerechtigkeit weiter im Alltag verankert sind - nicht nur in den USA.
Diese Krise wird auf erschreckende Weise verschärft durch das Verhalten des US-Präsidenten, der bewusst spaltet statt zu versöhnen, und der offen darüber spricht, das Militär gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen. Und er tut dies mit der Bibel in der Hand. Selbst auf der nach unten offenen Skala eines Donald Trump war diese Aktion ein neuer Tiefpunkt: Mitten in einer tiefgreifenden Krise seines Landes lässt er sich mit Waffengewalt den Weg zur nahegelegenen St.-John‘s-Church bahnen, die im Kontext der Unruhen Ziel eines Brandanschlages geworden war - nur um dort vor der Kirche mit der Bibel zu posieren. Ein zynischer, machtpolitischer Missbrauch eines der zentralen Symbole christlichen Glaubens.

Wenn irgendwo auf der Welt Islamisten Gewalttaten begehen, werden Muslim/innen in Deutschland oft aufgefordert, sich davon zu distanzieren. Auch dann, wenn die Opfer selbst muslimisch sind. Auch dann, wenn sie selbst unter dem Missbrauch ihrer Religion besonders leiden.

Wenn Donald Trump die Bibel in dieser Weise gezielt benutzt, widerspricht dies allem, aber auch wirklich allem, woran ich glaube: dem Weg Jesu Christi, der Menschen versöhnte, Feinden vergab und unbedingte Liebe lebte bis zum Kreuz; dem Gott des Friedens, der alle Menschen mit gleicher Würde und Rechten geschaffen hat; dem Wirken des Heiligen Geistes, der Gemeinschaft schafft über alle Grenzen hinweg. Es ist falsch. Abgrundtief falsch. Und ich bin dankbar für die Klarheit, mit der sich viele führende Kirchenvertreter/innen in den USA von dieser „Thron und Altar“-Aktion distanziert haben: „The bible is not a prop“, so der bekannte Jesuit und katholische Priester James Martin. Oder die episkopale Bischöfin der Diözese von Washington, Mariann Budde: „He didn't come to church to pray, he didn't come to church to offer condolences to those who are grieving. He didn't come to commit to healing our nation, all the things that we would expect and long for from the highest leader in the land." Stattdessen sei Trumps Handlung „an abuse of the spiritual tools and symbols of our traditions and of our sacred space.“

Aber es wäre leider zu einfach zu sagen: Dieser Missbrauch hat mit unserem Glauben nichts zu tun. Donald Trump wusste, was er tat, als er mit der Bibel posierte, wie ungelenk es auch immer ausgesehen haben mag. Er zielte auf das Herz vieler evangelikaler, bibeltreuer, konservativer Amerikaner. Seine implizite Botschaft: „Seht her, ich verteidige mit Schwert und Bibel unser Land: God’s own country. Unsere Vorfahren, die Pilgerväter, haben es als auserwähltes Volk von den kanaanäischen Völkern (Indigenen) erobert. Und ich verteidige es nun, wenn es von anderen Fremden (POC) bedroht wird.“

Was später in Erinnerung bleiben wird, sind nicht die Tweets oder die Auftritte eines egomanischen Präsidenten. Es ist das Schweigen von evangelikalen, bibeltreuen, konservativen Menschen. Ihr zustimmendes Schweigen gibt ihm dem Rückhalt, das Land zu spalten, Bürgerrechte zu verletzen und Rassismus weiter zu tolerieren. Das Schweigen vieler Frommer ist das eigentliche Problem.

Nein, dieses Schweigen ist keine Bibeltreue. Daher: ein paar geistliche Anregungen zum Umgang mit der Bibel - für den amerikanischen Präsidenten und „to whom it may concern“.

1. Die Bibel lesen, wirklich lesen. So banal es klingt: Das Beste, was man mit der Bibel tun kann, ist, sie zu lesen. Auch für Donald Trump wäre viel gewonnen, wenn er die Bibel einfach aufschlagen und darin lesen würden. „Tolle lege“ statt „take and pose“. Und was wäre das für ein völlig anders gelagertes Zeichen gewesen: ein Präsident, der unter der Last seiner Verantwortung auf echter Suche nach Orientierung die Heilige Schrift studiert. Ohne Show, martialisches Gehabe, Vertreibung von Demonstrant/innen. Und wenn er dann - geistgeleitet in der Pfingstwoche - gar auf den Spruch dieser Woche gestoßen wäre: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der HERR Zebaoth.“ (Sacharja 4,6) Lesen gefährdet Ignoranz.

2. Wer die Bibel liest, begegnet heilsam Fremdem. Die Bibel ist eine Sammlung von 66 Büchern, aus einer Entstehungszeit von rund 1.200 Jahren, geschrieben von uns unbekannten Autoren an Adressaten, die wir nicht kannten, in Hebräisch, Aramäisch und Griechisch. Von Menschen, die geliebt, gelitten, gestritten, getrauert, gejubelt, geglaubt, gehofft, gezweifelt - und dabei immer wieder mit und um Gott gerungen haben. Es verwundert mich daher immer sehr, wenn manche Prediger im Brustton der Überzeugung sagen: „Die Bibel sagt, dass ...“. Und überraschender Weise deckt sich dies ziemlich genau mit der eigenen Weltanschauung eben dieses Predigers. Die Bibel ist ein Streitbuch. Und in ihren fremden Worten begegnet Gott als der Fremde schlechthin. „Versteh Gott nicht so schnell!“ Ein Gott, der sich im Hauch eines verwehenden Schweigens offenbart, dessen Name lautet „ich werde sein, der ich sein werde“, und der sich letztgültig offenbart in einem Menschen, der mit einem Schrei nach Gott am Kreuz stirbt. „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR.“ (Jes 55,8) Solch ein Gedanke kann - so Gott will - manchmal selbst Mächtige demütig werden lassen.

3. Sich durch die Bibel lesen lassen. Mit den biblischen Texten ist es wie mit der Poesie: Der fremde Sinn der Worte erschließt sich mir erst, wenn ich mich selbst in ihnen entdecke. Wenn die Texte beginnen, „mich zu lesen“. It’s all about me. Das ist die Erfahrung von König David, als er die Parabel von Nathan versteht: „Du bist der Mann.“ (2. Sam 12,7) Das haben Menschen immer wieder erfahren: Mein Blick auf das Leben verändert sich, der Himmel kommt mir nahe, mein Denken nimmt eine andere Richtung. Das ist der erste Satz, den Jesus sagt, und die Quintessenz seiner ganzen Botschaft: „Denkt um und vertraut der guten Botschaft.“ (Mk 1,15) Wer die Bibel in die Hand nimmt, riskiert sich selbst, seinen Blick auf die Welt. Deswegen taugt sie nicht zur Legitimation weltlicher Macht - so oft dies auch immer wieder versucht wurde. In ihr stehen Dinge, die für Herrschende nicht einfach sind. Etwa über das Weltgericht: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) Das hätten seine Berater Trump vorher sagen sollen.

4. Dem Fluss der Zeichen folgen . Ein anderes Missverständnis der Bibel besteht darin, dass sie - wegen ihrer Vielschichtigkeit - eben beliebig sei. „Da kann sich ja jeder rauspicken, was ihm passt.“ Und ähnlich wirkt ja auch mitunter der Gebrauch einzelner Bibelstellen. Gerade bei Menschen, die von sich selbst und der eigenen religiösen Sicht überaus überzeugt sind. Solche Überzeugungen ohne Zweifel halte ich jedoch nicht für Glauben, sondern für Ideologie. Will man aber die Bibel wirklich verstehen und sich selbst durch sie, gilt es dem feinen Netz der Wörter und Geschichten zu folgen. Kritisch zu hinterfragen, was man immer schon zu wissen meint. So erging es etwa Martin Luther, als er nach jahrelangem Studium der Heiligen Schrift als Mönch, Theologie-Professor, Prediger erstmals den Zusammenhang der Zeichen erkannte: dass Gott alle Menschen aus Liebe gerecht macht, weil niemand seiner Gerechtigkeit entsprechen könnte. Und dem sich so die Tore des Paradieses öffneten. Diesem Fluss der Zeichen folgte knapp 450 Jahre später in anderer Weise Martin Luther King jr., als er bei dem Marsch auf Washington 1963 seine prophetische Rede „I have a dream“ hielt. Martin Luther King jr. ist für mich ein Beispiel für einen Umgang mit der Heiligen Schrift, von dem auch unsere Gegenwart mehr bräuchte. Sich vom Fluss der Zeichen bewegen lassen. Das kann helfen, Rassismus, Gewalt und Hass zu überwinden.

Die Bibel ist kein Requisit. Und keine Christin und kein Christ sollte schweigen, wenn sie von Mächtigen dazu gemacht wird. Sie ist für uns vielmehr der Quellgrund, um den anderen Menschen als Schwester oder Bruder zu erkennen. Egal, welche Hautfarbe, Herkunft oder Religion sie oder er hat: Es ist Christus, der uns in ihr oder ihm begegnet.



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