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Kategorie: Zeitgeschehen
Theologische Impulse Hintergrund fuer FB Impuls 60 It was a dark and stormy night 560x315 33ef7c4b4544199aec563e66c42095dbÜber die Kraft des ersten Satzes. Theologische Impulse 60

Thomas Latzel

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „It was a dark and stormy night.“ So lautet der berüchtigtste Anfangssatz der Literaturgeschichte. Er strotzt vor Melodramatik. Seine Sprache ist überladen. Kitsch pur. Im Englischen spricht man von „purple prose“, Literatur mit lila Schleife. Mit dem Satz beginnt Edward Bulwer-Lytton 1830 seine Erzählung „Paul Clifford“.

Seitdem wurde er unzählige Male zitiert. Das berühmteste Zitat findet sich wohl bei den Peanuts. Snoopy – mit der Schreibmaschine auf dem Dach seiner Hundehütte – beginnt mit diesem Satz sein epochales Meisterwerk: „What a great start.“

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.“

So lautet der Wochenspruch aus dem zweiten Korintherbrief. Mit diesem Satz beginnen die meisten Predigten: der Kanzelsegen am Anfang. Aber: Was denkt eigentlich ein normaler Mensch, wenn er diese Einleitung hört? Marvin, ein früherer Konfirmand von mir, hat das mal so formuliert: „Ach, den Heiligen Geist gibt’s wirklich? Ich dacht immer, das wär nur so’n Spruch von meiner Großmutter: ‚Das weiß der Heilige Geist.‘“ Die fromme, positive Variante von „It was a dark and stormy night“. „Purple prose“ – passend zum Lila der Kirche. Eine Art liturgisch-mystisches Raunen: „Muss man nicht so genau verstehen, danach kommt eben die Predigt.“

„Der Anfang ist mehr als die Hälfte.“ So heißt es. Wenn das stimmt, hängt von diesem ersten Satz viel ab. Wir beginnen in der Kirche die Predigten dabei eigentlich mit dem Ende. Bei Paulus steht der Satz nicht am Anfang, sondern ganz am Schluss. Vorher geht es in zwei langen Briefen mit 29 Kapiteln um immer neue Konflikte in Korinth. Eigentlich um alles, was die Gemeinden heute auch noch bewegt:

Lagerbildungen im Kirchenvorstand wegen der neuen Pfarrerin,die Frage, ob es die Auferstehung tatsächlich gibt,Gottesdienste, bei denen sich die einen am Verhalten der anderen stören,und darum, wieso die Predigt eigentlich oft so langweilig ist – Paulus’ berühmte „Narrenrede“.

Ganz am Ende kommen dann die letzten drei Verse des Briefs. Zunächst fordert Paulus die Gemeinde auf, Frieden zu halten. Verständlicherweise. Dann rät er: „Grüßt einander mit dem heiligen Kuss!“ Was für eine schöne Formulierung! Und schließlich als allerletztes: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.“ Paulus steckt in diesen Satz noch einmal alles hinein, damit die Gemeinde trotz ihrer Konflikte bestehen bleibt. Volle geistliche Dramatik. Mehr geht nicht.

Die Frage aber bleibt: Wie können wir so sprechen, dass Menschen nicht „purple prose“ verstehen?

„Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus“:
Gott begegnet uns im Angesicht dieses einen Menschen. Und durch ihn im Angesicht aller anderen. Und nur dort. Weil Liebe eben immer nur von Angesicht zu Angesicht erfahren werden kann. In Begegnung. Das befreit uns von den „Herren“ dieser Welt: Durch Christus sind wir Geschwister. Allesamt. Nichts anderes.

„Und die Liebe Gottes“:
Gott ist um dich, unter dir, über dir. Alles, was du bist, warst und einmal sein wirst, entspringt aus dieser einen, alles umfassenden Liebe. Und irgendwann einmal wird dein Leben wieder in diese Liebe einmünden. Allen Zweifeln und Ängsten zum Trotz.

„Und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes“:
Gott wirkt in mir und immer zugleich auch in allen anderen. Deswegen gibt es Glauben nur im Plural. In Gemeinschaft mit anderen. Niemals nur für mich allein oder nur für meine Familie oder nur für unser Volk. Auch wenn Gottes Geist dabei für uns immer unfassbar bleibt: „Gibt’s den wirklich?“

„It was a dark and stormy night.“ Trotz aller Kritik wurde der Satz vom American Book Review unter die 100 besten Romananfänge aller Zeiten gewählt. Die Begründung: Mit diesem ersten Satz beginne ein besonderes Kopfkino. Mit dem ersten Satz der Predigt beginnt ein Seelenkino. Der weite Horizont der Liebe Gottes leuchtet auf. So Gott will, erscheinen in diesem Horizont mein Leben, die Welt und auch die Konflikte in unseren Gemeinden in einem neuen Licht. Steiler als mit dieser Zusage kann man eine Predigt kaum beginnen. Aber mit allem anderen würden wir unseren Blick hoffnungslos verengen.


Am Anfang

Als es dunkel und stürmisch war
und die Chaosmächte herrschten,
hast Du, Gott, dieser Welt einen Anfang gesetzt.

Als es dunkler und stürmischer wurde
und die Zeit erfüllt war,
hast Du, Gott, selbst als Mensch einen Neuanfang gemacht.

Wenn es um uns dunkel und stürmisch wird
und Finsternis sich wieder breitmacht,
mach Du, Gott, uns zu Menschen, die einen Anfang wagen.
Für andere. Wie Du.
Amen.

(TL)

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© Verfasser

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