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Kategorie: Zeitgeschehen
iu882HU8RADas Englische Programm lautet: Nieder und weg mit der Unterklasse!

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – England, das mal - bei allen Fragwürdigkeiten - glorios war, demontiert sich seit einiger Zeit konsequent selbst.

Folgende Zeilen rechtfertigen keine Eruptionen im Sinne von Exzessen in gesellschaftlichen Konflikten, versuchen aber eine abrisshafte Erklärung von Geschehnissen im Sinne von Gründen und Abgründen, die von unschlichtbaren Zerwürfnissen und Antagonismen durchzogen werden. Europa hat dieses England vermutlich längst aufgegeben. Es ist der wirre Mann Europas.

Auch Gesellschaften haben eine physikalische Dynamik und Mechanik. Darin ähnlich den Brüchen in der Naturgeschichte der Erde. Gerade Gesellschaften produzieren im Fall krasser Fehlentwicklungen Zeiten sozialer Eruption. Diese liegen in der Luft.

Die Wahrheit über die englische Gesellschaft, warum es mit ihr so krass gekommen ist, ist leider sehr, sehr einfach - aber zutreffend. Sie resultiert aus der Tatsache, dass Maggie Thatcher die englische Gesellschaft der ehrbaren Arbeit (besonders die handwerkliche und ingenieursgeleitete Tätigkeit) verachtungsvoll umgelegt, abgewickelt und England deindustrialisiert hat. ´Igitt, Blaumänner, wozu brauchen wir die noch?‘ Diese Ansicht hatte den neuen Pauperismus zur Folge.

Mit dem Big Bang 1986 (der weitestgehenden Deregulierung der Finanzmärkte, die Gerhard Schröder im Bunde mit Blair nachholte) hat Maggie die gesellschaftlichen Potentiale, die vielleicht die besten und heilbringendsten gewesen wären, von der produktiven Anlagesphäre und Investitionstätigkeit - heute nur noch einen kleinen Teil des geldlich darstellbaren Wirtschaftsprozesses ausmachend - in die irrationale, destruktive, spekulative Finanzmaschinerie gelenkt. Und in dieser sind die gesellschaftlichen Kräfte noch immer stranguliert.

Käme es wieder zu einem Crash, wie 2008, dann würde sowohl die produktive als auch die vom Tanz der Geier getriebene unproduktive Sphäre (inklusive volatilem Börsenfieber) gemeinsam hinabgerissen. Auswirkung und Folge der durch das renditegetriebene Finanzgeschehen und der daraus erfolgten Bedrängnis klassischer Industriebetriebe und Konzerne ist die Erosion der Einkommen, Staatshaushalte und sozialen Sicherungssysteme. Der Geldspeicherinhalt, der sich bei sehr, sehr wenigen konzentriert, zirkuliert nichtsdestoweniger im Geldcasino und manövriert die produktiven Potentiale der Gesellschaften aus.

Niedergeschlagenheit, eine depressive Stimmung des Abgehängt-Seins bei den Abgeschriebenen griff über die Jahre um sich. Englische Banken haben bei der irischen Immobilienblase verlustreich mitgezockt, mit der Folge des drastischen Sparkurses der Regierung. Die Zeche zahlen die ehrlich Arbeitenden; aber das große Geld ist noch da, verflüchtigt sich aber in den von der Realwirtschaft enthobenen Konstrukten der Kapitalsammelstellen, anstatt tatsächlich ‚zu arbeiten‘. Es arbeitet nur insoweit als es die Arbeitsrechtssituation und die Tarifbindung unter Druck setzt und selbst noch den Resterfolg abzieht. Weitere Folge der Entwicklung ist, dass Regierungen drastische Sparkurse verhängen, überhöht in der fixen Idee von der germanischen Schwarzen null. Könnte nicht Corona die geheime List der naturgesetzlichen Gegenreaktion sein?

Die Ausweitung und Förderung des spekulativen, durch Wetten und Schneeballsysteme getriebenen Finanzmarktgeschehens war und ist eine abgründige, menschenverachtende, eine an den Gesellschaften vollzogene Fehlleistung, für die eine willfährige Politik mitverantwortlich ist. Alle, die können, machen es, weil – umso schlimmer -, sich hiermit eine Möglichkeit für akademisch geschulte Konstrukteure bietet, an leicht verdientes Geld zu kommen. So schaut's also hinter der schillernden Fassade aus, die kaum mehr jemand problematisiert.

Die britische Politik ergeht sich in grotesk medialer Selbstdarstellung ihres Hauptakteurs, der die Verfehlungen und Irrtümer seines Standes nicht mit der geringsten Konsequenz im Hinblick auf seine Mitverantwortung aufgreift. Boris Johnson ist der mediale Ausleger und Kasper der eigentlichen Drahtzieher, die uns in der Leave-Kampagne begegneten. Sie sind angetreten, die Demokratie abzuschießen.

Die vornehmlichen Strippenzieher waren Arron Banks und Nigel Farage und bleiben es im Hintergrund lauernd und sich weiterhin erfreuend. Ihr wichtigster Verbündeter war der ultrarechte Steve Bannon, dessen eine zeitlang sich auch Trump bediente, bis er ihm den Laufpass gab. Sie waren sich wohl zu ähnlich. Cambridge Analytica analysierte und beeinflusste mit den Mitteln der hemmungslosen Digitalpraxis das Wählerverhalten im Ungeist der aus dem Hades-Gezücht emporgestiegenen britischen und US-amerikanischen Halbwelt.

iu68J5UIJMDas Besagte hat noch eine Nachgeschichte: im Corona-Lockdown nämlich. Den hatte Boris Johnson in der ihm eigenen Verdrängung von Gegenwart und Zukunft hinausgezögert, bis er selbst vom Virus ereilt wurde. Da aber hatte er schon wertvolle Wochen vertan, um dem Virus angemessen zu begegnen. Denn dieses Virus kennt nur die Sprache einer sehr konsequenten Gegenwehr. Das auslandsjournal hat am 23.06.2020 in der Dokumentation 'Tödliches Versagen' darauf hingewiesen, dass das Vereinigte Königreich eines der am härtesten vom Virus getroffenen Länder wurde, denn "vermutlich 60 000  Menschen starben bisher an den Folgen der Infektion".- Weiterhin heißt es: "Fassungslos starrte die Nation zum traurigen Höhepunkt der Pandämie auf Handys und Fernseher. wenn jeden Nachmittag die aktuelle Todeszahl verkündet wurde". Es ist schon seltsam, dass so ein altes Land sich in solcher Weise von einem Schaumschläger und Windbeutel wie Johnson narren lässt. Ungläubig starren die Briten auf das nationale Gesundheitssystem und und können kaum glauben, was aus der altehrwürdigen Einrichtung ihres geliebten NHS (National Health Service) geworden ist. 

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