Frankfurter Opernplatz am Abend des 3. JuliAllein 2.000 auf dem Frankfurter Opernplatz

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Frust frisst den Verstand. Wer wüsste das in Corona-Zeiten besser als die Unterführer des Kapitalismus.

Nämlich all jene, die sich in Büros drei bis vier Stufen über der Ebene null plagen müssen und dabei regelmäßig und rücksichtslos nach unten treten. Und trotz Anbiederung an die herrschenden Verhältnisse ohne Aussicht auf echten Aufstieg bleiben. Da sie lediglich Mittelmaß sind, verwechseln sie ihren Status mit der Mitte der Gesellschaft, wo sie sich einen Platz erfeiern (besser: erbrüllen) möchten. Schließlich brauchen sie für die in einer Arbeitswoche aufgestaute Verbitterung ein Ventil. Üblicherweise lassen sie es an den Wochenenden in Clubs und Diskotheken krachen. Aber diese Etablissements sind noch geschlossen. Denn deren Stammkundschaft gilt als besonders viruslastig. Allein das Abstandhalten überfordert manchen Intellekt. Folglich flüchtet man sich auf die großen Plätze einer Stadt, verabredet sich per Facebook, Whatsapp oder Instagram (worüber auch sonst?) zu einer Party.

In Frankfurt am Main kennt man das seit einigen Jahren vom Friedberger Platz, wo sich an Freitagabenden die Steigbügelhalter des Kapitals ein Stelldichein geben, seit dem Aufweichen der Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen wieder mit steigender Tendenz. Um Witze über Covid-19-Opfer zu machen, um zu saufen, zu pöbeln und zu kotzen. Die rundum verstreuten Urinduftmarken rufen noch am Folgetag Ekel hervor. Und der Müll wird per se den anderen, den Anwohnern, den Bürgern allgemein hinterlassen. Nun greift diese Seuche der Einfältigen auch auf die Innenstadt über.

Am letzten Freitagabend trafen sich 2.000 Partysten auf dem Platz vor der Alten Oper; ohne den notwendigen Abstand einzuhalten, ohne Atemschutzmasken. Mit steigendem Alkoholpegel stieg auch die Aggressivität. Stadtpolizisten, die ein der Pandemie gemäßes Verhalten anmahnten, wurden ignoriert, herablassend behandelt oder bedroht. Der Leiter der Stadtpolizei resümierte: „Die Kollegen müssen schlimme Dinge über sich ergehen lassen.“ Wer von der Polizei verwarnt wird, erhält umgehend Unterstützung von Umstehenden, sodass Konflikte rasch eskalieren können. Der Sicherheitsdezernent hält die Lage für alarmierend. Er warnt: In dieser aufgeheizten Situation „kann Stuttgart überall passieren, wenn wir nicht innehalten und die Zeit nicht nutzen, über Werte nachzudenken.“

Neben dem bewussten Ignorieren der Abstandsregeln mit kaum einzuschätzenden Folgen ertrinken Städte wie Frankfurt, Darmstadt oder Kassel in Müllbergen. Die Frankfurter Umweltdezernentin spricht von einer „unglaublichen Schweinerei“. Das Müllaufkommen sei um 30 bis 35 Prozent gestiegen – am Opernplatz, am Mainufer und im Bahnhofsviertel.

Die Corona-Pandemie hat bereits vieles an den Tag gebracht. So die längst vollzogene Spaltung der Normalbürger in Angepasste und Nachdenkliche, in Verantwortungslose und Solidarische. Die Krawallnacht von Stuttgart hat gezeigt, dass sich Plebs und Pöbel aus Milieus rekrutieren, denen trotz unterschiedlicher Herkunft eines gemeinsam ist: Die Geringschätzung von faktengestützter Information und staatsbürgerlicher Haltung sowie der Hass auf Bildung und Gemeinsinn.

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Frankfurter Opernplatz am Abend des 3. Juli
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