F Alte Stadtbibliothek das heutige Literaturhaus Frankfurt um 1825.jpgAnmerkungen zum Projekt „Einfache Sprache“ des Literaturhauses Frankfurt

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Falls Sprache einfach sein soll, dürfte alles, was sie beschreibt, lediglich von einfacher Beschaffenheit sein.

Denn andernfalls wären die Tatsachen des Lebens und die Sprache, in der sie wiedergegeben werden, von unterschiedlicher Essenz. Sprache soll ihrem Zweck nach das beschreiben, was der Fall ist. Der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein definierte: „Die Welt ist alles, was der Fall ist. Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge“ (Tractatus logico-philosophicus). Und zu dieser Welt zählen die Menschen, ihre Befindlichkeiten und Handlungen, die vielfältige Natur sowie die Entwicklungsgeschichte der Welt und ihrer Lebewesen samt der erhofften und zu gestaltenden Zukunft. Eine einfache Sprache hingegen müsste die Wirklichkeit auf das oberflächlich Verständliche reduzieren und dadurch die Gefahr heraufbeschwören, dass im Anschluss nicht weiter nachgedacht und nachgefragt würde. Sie müsste ohne Zwischentöne auskommen, nur ein Entweder - Oder zulassen. Ihre Aussagen müssten auf die notwendige permanente (selbstkritische) Reflexion verzichten.

Doch Sprache ist Kommunikation auf der Basis höchstmöglicher Abstraktion bei gleichzeitig umfassendster Tiefführung. Damit sie die Komplexität alles real Vorhandenen, Gewesenen und Gedachten wiedergeben kann, muss sie selbst komplex angelegt sein. Denn sie ersetzt, was in frühen Stadien der Menschheitsgeschichte in Form langer Bildreihen gezeichnet wurde, um Ereignisse unverändert erzählbar zu machen und um sie für alle Zeit aufzubewahren. Und sie ist wegen der Umwandlung des ursprünglich Bildhaften zu Wörtern und Wortverbindungen, deren Anwendung gewachsenen Regeln unterliegt, präziser. Unter identischen Voraussetzungen angewandt, verlieren ihre Worte, deren Synonyme, Wortverbindungen und ihre grammatikalischen Regeln nichts von ihrer Bedeutung. Sie sind klar und in einem höheren Sinne einfach und klar. Ohne ihre Strukturgesetze ließen sich weder schöngeistige noch wissenschaftliche Texte verfassen.

Wenn Hauke Hückstädt, der Leiter des Frankfurter Literaturhauses, eine so genannte „Einfache Sprache“ fördern will, um bislang Ausgeschlossene (vermutlich Bildungsferne und Zuwanderer) für die Literatur zu gewinnen, schafft er exakt dadurch die Bedingungen für deren endgültige Deklassierung. Statt auch jenseits der allgemeinbildenden Schulen Voraussetzungen für das stufenweise Erarbeiten von Sprache und Literatur zu ermöglichen (und Sprache sowie die aus ihr hervorgehende Literatur müssen gelernt werden), idealisiert er einen unerträglichen Zustand, nämlich die Spracharmut, der geradezu nach Auflösung schreit. Da hilft es auch nicht, wenn er Literatur in „Einfacher Sprache“ mit einem Federstrich zur Kunst erhebt.

Und sein Vergleich mit der Architektur des Bauhauses verkennt das Wesentliche der Ansätze von Henry van de Velde und Walter Gropius. Denn das Bauhaus verzichtete auf äußere Schnörkel nicht um einer vermeintlichen Einfachheit willen, sondern weil es innen ein Optimum an kreativer Arbeit ermöglichen wollte, konkret durch die Zusammenführung von Handwerk und Kunst. Der Grundgedanke des Bauhauses war die Abkehr von der unbegrenzten industriellen Reproduzierbarkeit und die neue Hinwendung zum präzisen Schaffen mit individuellen Akzenten. Und dieser Geist sollte sich auf die äußere Form übertragen, die unbegrenzte Offenheit assoziierte.

In Frankfurt erleben wir derzeit beim Streit um einen Neubau von Schauspielhaus und Oper, dass ein Axiom der Architekturtheorie, nämlich die Vermittlung des (künstlerischen) Innenlebens durch eine angemessene, also reflektierende, Gestaltung des Äußeren, nicht mehr beachtet wird. An seine Stelle tritt der Wunsch nach äußerem Schein bei gleichzeitiger Geringschätzung dessen, was auf der Bühne zur Sprache kommt.

Hauke Hückstädt bewegt sich mit seiner Art von Literaturverständnis auf dieser Ebene gesellschaftlich akzeptierter Sprachlosigkeit. Die Inschrift am Portal des Frankfurter Literaturhauses erinnert an die wiedererlangte Freiheit (nach den napoleonischen Kriegen). Es hat den Anschein, dass heutzutage dadurch auch die Freiheit zu jedweder Beliebigkeit gemeint sein könnte, sie muss nur schlicht genug sein.

Foto:
Alte Stadtbibliothek, das heutige Literaturhaus Frankfurt, um 1825
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