Drucken
Kategorie: Zeitgeschehen
staatskanzlei.hessen.deFrankfurter Bürgermeister Becker antwortet auf offenen Brief der AfD-Fraktion im Römer

Uwe Becker

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die AfD-Fraktion im Römer hatte sich in einem „Offenen Brief“ an Bürgermeister Uwe Becker über dessen Aussagen zu dieser Partei in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung am 4. Juni 2020 beschwert und um Belege für seine Äußerungen gebeten. In einer „Offenen Antwort“ geht Bürgermeister Uwe Becker darauf ein:


„Offene Antwort“

Sehr geehrte Damen und Herren der AfD-Fraktion im Römer,

in Ihrer Mail vom 29. Juni haben Sie sich über jene Teile meiner Rede in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung vom 4. Juni 2020 beschwert, in denen ich auf die AfD eingegangen bin.

Sie weisen die von mir getroffenen Aussagen, dass Ihre Partei am Erstarken von Hass, Rassismus und Antisemitismus in unserem Land eine Mitverantwortung trägt, zurück. Gleichzeitig erwarten Sie Belege für meine Position und bieten einen Dialog an.

Gestatten Sie mir, zunächst festzustellen, dass ich an einem Dialog mit Ihnen nicht interessiert bin, da ich bereits über ein klares und umfassendes Bild Ihrer Partei verfüge.

Gerne komme ich aber Ihrem Wunsch nach, Belege für den aus meiner Sicht klar neofaschistischen Kurs Ihrer Partei aufzuführen. Da Sie Ihr Schreiben an mich als „Offenen Brief“ gekennzeichnet haben, gehe ich davon aus, dass Sie auch an einer offenen und damit öffentlichen Antwort interessiert sind. Gestatten Sie mir also, dass ich Ihnen meine Meinung in aller Offenheit und damit öffentlich übermittle. Der von Ihnen reklamierten Neutralitätspflicht versuche ich auf diesem erschwerten Weg dahingehend Rechnung zu tragen, dass ich grundsätzlich alle Faschisten gleichbehandle. Da Sie selbst diesen offenen Weg gewählt haben, muss meine Antwort in Bezug auf Ihre Partei jedoch klar und unmissverständlich erfolgen, da Sie ansonsten zu Recht reklamieren könnten, dass meine Antwort gegebenenfalls unvollständig oder zu ungenau ausfallen würde.

Nun zu Ihrem eigentlichen Wunsch, „Belege“ für meine Aussagen gegenüber der AfD anzuführen:

Die AfD hat sich aus meiner Sicht von der einst eurokritischen Bewegung längst hin zu einer neofaschistischen Partei entwickelt. Da ich nur ungern allzu viele jener Zitate gebrauchen möchte, die Vertreterinnen und Vertreter Ihrer Partei in den zurückliegenden Jahren zur Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas in unserem Land gebraucht haben, möchte ich meine Auswahl beschränken, jedoch Ihrer Aussage entgegentreten, ich würde mich mehr oder weniger „nur“ auf Herrn Höcke beschränken, um den wahren Charakter Ihrer Partei zu entlarven.

Lassen Sie mich aber dennoch mit diesem beginnen, denn als Fraktionsvorsitzender Ihrer Partei in Thüringen gehört er wie auch Herr Kalbitz in Brandenburg nun einmal zu den Spitzenvertreterinnen und -vertretern Ihrer Partei.

Nicht nur in seinen Sprachbildern von Wölfen und Schafen sucht Höcke die Anlehnung an die Zeit des Nationalsozialismus und die Worte Joseph Goebbels. Er nutzt wie nahezu alle anderen führenden Köpfe Ihrer Partei auch die gleichen Mechanismen zur Diffamierung unserer demokratischen Ordnung, indem Begriffe wie Machtkartell, Altparteien oder Volksverächter gebraucht werden, um die politische Ordnung und die Parteien in Deutschland verächtlich zu machen.

Wenn Alexander Gauland von der „Machtergreifung“ der AfD spricht und betont, dass man sich „unser Land und unser Volk“ zurückhole, Höcke gleichzeitig darüber sinniert, dass eine „neue politische Führung“ „schwere moralische Spannungen auszuhalten habe“ und Maßnahmen ergriffen würden, die dem „moralischen Empfinden zuwiderlaufen“, man gleichzeitig „Volksteile verlieren werde, die zu schwach“ seien und man nicht „um eine Politik der wohltemperierten Grausamkeit“ herumkomme, dann ist dies nicht mehr und nicht weniger als die Sprache von Faschisten.

Wenn von führenden Stellen der AfD zudem von „Kopftuchmädchen und sonstigen Taugenichtsen“ gesprochen wird, Angst vor einer „millionenfachen Invasion von Fremden“, vor einem „Umvolkungsverbrechen“ und der „Selbstabschaffung“ geschürt wird, dann findet damit nichts anderes als die Verbreitung von rassistischem Gedankengut statt.

Die Tür hin zu konkreten Taten öffnet die AfD zusätzlich noch mit ihren Botschaften vom „Jagen“, wie dies Alexander Gauland in Bezug auf politische Gegner der AfD ausführt. Wenn zudem in Bezug auf die bei uns lebenden Migrantinnen und Migranten vom „Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch“ und der „brutalen Verdrängung der Deutschen aus ihrem angestammten Siedlungsgebiet“ als Teil der Politik der Bundesregierung fabuliert wird, so wird mehr als deutlich, dass dies genau jene Worte sind, die rechtsterroristischen Attentätern als geistige Anleitung zum bewaffneten Kampf dienen.

Mit seinem schrecklichen „Vogelschiss“-Vergleich hat Alexander Gauland gleich in zweifacher Hinsicht offenbart, welch Geistes Kind er ist. Das Loblied auf eine erfolgreiche 1000-jährige Deutsche Geschichte ist nicht zufällig gewählt und spricht jene an, die noch immer oder wieder von einem neuen 1000-jährigen deutschen Reich träumen und die Relativierung der Schoah als „Vogelschiss“ stellt zwar im strafrechtlichen Sinne keine Holocaustleugnung dar, jedoch bewirkt die Aussage dies faktisch. Dies passt ja auch zu anderen Botschaften, in denen man sich gegen die „Deutsche Schuld bis ans Ende aller Zeiten“ oder das Holocaustmahnmal als „Denkmal der Schande“ wendet. Wenn zudem von den „globalen Geldeliten“ gefaselt wird, sind auch alle anderen antisemitischen Stereotype angesprochen.

Weitere Zitate aus der AfD möchte ich der Öffentlichkeit und mir ersparen, ich denke aber, dass bereits diese kleine Auswahl entlarvender Zitate eher meine als Ihre Position untermauert.

Um Ihrem wiederholten Argument vorwegzugreifen, es handele sich bei diesen Akteuren um Einzelfälle innerhalb der AfD, muss ich feststellen, dass es sich bei diesen „Einzelfällen“ um die Führung Ihrer Partei handelt. Und auch in Frankfurt haben Sie diesen Hass bereits aus der Fraktion heraus verbreitet, als nämlich ihr Vorsitzender Dr. Dr. Rahn nach den schrecklichen Morden von Hanau diese relativierte, indem er davon sprach, dass man schon etwas gegen Shisha-Bars haben könne.

Sie mögen andere – vielleicht sogar sich selbst – täuschen wollen, doch aus meiner Sicht zeigen schon diese wenigen Beispiele, dass Ihre Partei das gesellschaftliche Klima in unserem Land mit vergiftet. Nein, Sie sind es nicht alleine und auch ohne die AfD gäbe es Hass, Rassismus und Antisemitismus in unserem Land. Sie helfen aber dabei, diesen auf die Straßen, Wege und Plätze wie auch in die Wohnzimmer und Salons unseres Landes zu tragen und Hass, Rassismus und Antisemitismus gesellschaftsfähig zu machen.

Wir leben Gott sei Dank in einer Zeit, in der in Deutschland niemand von uns gezwungen ist, Mitglied einer Partei zu sein oder werden zu müssen. Sie haben sich aus freien Stücken für eine Mitgliedschaft in der AfD entschieden und sind dies heute zu einem Zeitpunkt, an dem diese Partei zusammen mit Pegida und Konsorten bereits weit an den rechtsradikalen Rand marschiert ist und jetzt dabei ist, die letzte Wand auf dieser Seite einzureißen.

75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz nehmen wir leider wieder Gruppierungen und Parteien wie die AfD in Deutschland wahr, die statt auf ein Miteinander unserer Gesellschaft darauf abzielen, die Gesellschaft zu spalten, Hass und Angst zu sähen und die Menschen gegeneinander aufzuhetzen.

Dem Ungeist der Hetzer von einst, den Himmlers und Goebbels folgen heute die Gaulands und Höckes.

Ihnen steht heute eine gefestigte Bundesrepublik Deutschland und eine gefestigte freie, demokratische und menschliche Gesellschaft gegenüber.

Ich hoffe, dass noch mehr Menschen erkennen, welch Geistes Kind die AfD wirklich ist und Ihnen kann ich nur wünschen, diesen Erkenntnisgewinn selbst zu erzielen und aus dieser Partei auszutreten.

Mit freundlichen Grüßen
Uwe Becker

Foto:
©staatskanzlei.hessen.de