Bildschirmfoto 2020 08 02 um 20.09.09Heutiger europäischer Roma-Holocaust-Gedenktag findet  virtuell statt

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Basel (Weltexpresso) - Vor fünf Jahren wurde der 2. August vom Europäischen Parlament zum Europäischen Roma-Holocaust-Gedenktag erklärt. Gemäss Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma steht dieser Tag symbolisch für die über 20’000 Sinti und Roma, die insgesamt in Auschwitz ermordet wurden. Insgesamt wurden über 500’000 Sinti und Roma im von den Nationalsozialisten besetzten Europa Opfer des Holocausts. In der Nacht vom 2. auf den 3. August wurden die letzten 4’300 Sinti und Roma im sogenannten «Zigeunerlager» in Auschwitz ermordet.

Für Sinti und Roma hat dieser Tag somit einen sehr hohen Wert.  Das Gedenken an die Opfer und die Erinnerung an die erlittenen Verbrechen sind Teil ihrer Identität geworden.

Dieses Jahr findet der Gedenktag aufgrund der Covid-19 Pandemie virtuell statt. Auf der Webseite www.roma-sinti-holocaust-memorial-day.eu  werden ab Sonntag Berichte von Überlebenden, Reden und Grussbotschaften einer Vielzahl von hochrangigen Vertretern nationaler und internationaler Institutionen und Regierungen zur Verfügung gestellt. Damit soll die Teilnahme von Sinti und Roma nicht nur in Deutschland, sondern weltweit ermöglicht werden. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erarbeitete die Gedenkzeremonie in Kooperation mit dem Verband der Roma in Polen und dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau.

In seiner Video-Botschaft, die am 2. August online erscheinen wird, warnt Rose vor dem anwachsenden Nationalismus und Rassimus in Europa: «Der Holocaust an Sinti und Roma wie an Juden, die Massenmorde der Nazis in Europa, waren ein Zivilisationsbruch, ein Menschheitsverbrechen, der uns verpflichtet, heute gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus unsere Stimme zu erheben. Europa steht hier angesichts eines in vielen Ländern etablierten rassistischen Nationalismus vor großen Herausforderungen. Das Bewusstsein für unsere Demokratie, für Rechtsstaat und für unsere europäischen Werte ist nicht länger mehr Garant für den Bestand unsrer Demokratie, wenn nationalistische Parteien und Regierungen in vielen europäischen Ländern in genau diesem rassistischen Nationalismus bestätigt werden. Wir erleben seit langem, wie sich der Hass gegen Sinti und Roma, gegen Juden und andere Minderheiten immer mehr verbreitet, die Anschläge in Halle im Oktober des vergangenen Jahres oder in Hanau im Februar 2020 sind nur die jüngsten Beispiele eines immer gewaltsamer werdenden Antiziganismus, Antisemitismus und Rassismus.»

Wolfgang Schäuble, Präsident des Deutschen Bundestages, unterstrich in seiner Grussbotschaft die Selbstverpflichtung des Staates für die Zukunft und die Verantwortung jeder neuen Generation: «Zeitzeugen werden bald nicht mehr unter uns sein, weder Opfer noch Täter. Die Wahrheit bleibt – und sie bleibt eine Zumutung. Jede Generation hat sich ihr aufs Neue zu stellen. Aus der Erfahrung des Holocaust leitet sich die Selbstverpflichtung unseres Staates ab, die Würde jedes Menschen zu wahren und zu schützen. Auf diesem Fundament fußen unsere freiheitliche Rechtsordnung und ihre Werte. Das ist der Grundkonsens unserer Gesellschaft, der immer wieder verteidigt werden muss. Wir neigen dazu, die demokratische Ordnung für selbstverständlich zu halten. Das ist sie nicht – wie der Alltag und extremistische Tendenzen zeigen.»

Unter den Beiträgen finden sich auch prominente Stimmen der jüdischen Gemeinschaft, wie Ronald Lauder, Präsident des World Jewish Congress: «Indem wir die Erinnerung an den Holocaust wachhalten, sorgen wir dafür, dass zukünftige Generationen aus der Vergangenheit lernen, damit sich Geschichte nicht wiederholt. Und doch müssen wir in diesen Tagen, Wochen und Monaten erleben, wie sich Hass gegen Sinti und Roma, gegen Juden und andere Minderheiten verbreitet, wie sich Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus ihren Weg bahnen und dieser Samen, dessen DNA sich aus Verschwörungsmythen, Geschichtsrelativierung, Gewaltverherrlichung und Hass zusammensetzt auf fruchtbaren Boden trifft. Die Anschläge in Halle im Oktober 2019 und Hanau im Februar 2020 bleiben bitterste Früchte dieses Samens aus der jüngsten Vergangenheit. Dagegen müssen wir unsere Stimme erheben. Denn Rassismus, Judenhass und Hass gegen Sinti und Roma sind nicht ausgerottet. Sie wachsen weiter, weltweit.»

Michaela Küchler, Sonderbeauftragte des Auswärtigen Amtes Deutschlands für Beziehungen zu jüdischen Organisationen, Holocaust-Erinnerung, Antisemitismus-Bekämpfung und internationale Angelegenheiten der Sinti und Roma betont zudem, dass den Roma und Sinti Opfern des Holocausts erst spät in der Geschichte gedacht wurde. Sie hebt die bestehenden Lücken in der Forschung und Aufarbeitung hervor: «Erst 37 Jahre nach Kriegsende hat sich die deutsche Bundesregierung zu dem Völkermord an den Sinti und Roma bekannt. Bis heute ist dieses Kapitel der Geschichte unzureichend erforscht und wird weiterhin verharmlost. Wir als Regierungen, aber auch als Bürgerinnen und Bürger, als Demokratinnen und Demokraten, müssen sicherstellen, dass die Geschichte dieses Völkermords und dieses Leidenswegs nicht vergessen werden, und die Ausgrenzung und Vorurteile zu bekämpfen, mit denen Roma noch heute konfrontiert sind.» Botschafterin Küchel leitet die diesjährige, deutsche Präsidentschaft der International Holocaust Remembrance Alliance.

Weitere Zitate und Beiträge;

«Der Antiziganismus bleibt eine weit verbreitete Form des Rassismus. Mit der anwachsenden Radikalisierung und der Verbreitung von rechtsradikalen Organisationen hat auch sich auch der Antiziganismus intensiviert. Heute rufen wir alle Regierungen auf, Antiziganismus offiziell anzuerkennen und als eine spezielle Form des gegen die Gemeinschaften der Sinti und Roma gerichteten Rassimus zu bekämpfen.», Rita Prigmore, Zeitzeugin

«Der heutige Europäische Holocaust Gedenktag ist ein wichtiges Zeichen von Solidarität. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschenverachtung, Sündenbockdenken, Hass und Gewalt niemals wieder als politisches Instrument eingesetzt werden. „Niemals wieder!“ Nur so können wir dieses Versprechen auch wirklich einlösen.», Alexander van der Bellen, Bundespräsident der Republik Österreich

«Das Gedenken dieser Menschen ist lebensnotwendig. Nicht nur, weil jedes der Opfer unseren Respekt verdient, so wichtig das auch ist - sondern auch, weil die Erinnerung an den Holocaust eine Schlüsselrolle beim Wachhalten des historischen Gedächtnisses spielt. Damit wir verstehen, was geschehen ist, wozu die Menschheit fähig ist und wie notwendig es ist, dafür zu sorgen, dass es nie wieder geschieht. Deshalb ist das Gedenken des Holocaust an den Roma eines der Hauptziele des strategischen Aktionsplans im Europarat für die Integration der Roma und der Traveller.», Marija Pejčinović Burić, Generalsekretärin des Europarates

«Dieses Jahr war für uns alle eine schwierige Zeit. Das Coronavirus hat gezeigt, wie verwundbar wir alle sind. Aber diejenigen, die bereits besonders leicht verletzlich sind, haben während der Krise am meisten gelitten. Mit tiefer Sorge habe ich beobachtet, wie einige in der Bevölkerung die Roma wahrnehmen. Sie haben die Roma als öffentliche Gefahr dargestellt oder sie als Sündenböcke benutzt, indem sie Angst und Hass gegen sie geschürt haben. Deshalb ist es so wichtig, die Geschichte des Holocaust lebendig zu halten.», Helena Dalli, EU-Kommissarin für Gleichheitspolitik

«Erinnern darf niemals zu einem hohlen Akt werden, sondern erfordert Anstrengung und Willen, auch politischen Willen. Wir alle müssen Antiziganismus bekämpfen, auf jeder Ebene und mit allen Mitteln. Politisch auf europäischer Ebene, aber auch in jedem einzelnen Mitgliedstaat, im Wohnungs-, Beschäftigungs- ,Bildungs- und Gesundheitssektor, in der Sprache der Medien und der Populärkultur, in alltäglichen Gesprächen und im täglichen Leben. Es gibt noch viel zu tun, und es liegt an uns, etwas zu bewegen.», David Sassoli, Präsident des Europäischen Parlaments

«Wir müssen die ausserordentliche Vielfalt der Gemeinschaften der Roma, Sinti und Traveller - und ihrer Geschichte - anerkennen, feiern und ein Bewusstsein dafür schaffen. Wir müssen den Holocaust an Sinti und Roma in den Lehrplänen unserer Schulen verankern, wir müssen darüber sprechen.», Michael O’Flaherty, Director for European Union Agency for Fundamental Rights (FRA)

«Wir alle haben die Pflicht, dem Völkermord an Roma und Sinti in Europa während des Zweiten Weltkriegs zu gedenken. Die persönlichen Zeugnisse der Überlebenden, ihr Leid, ihre Verluste und ihre Traumata sollten uns eine Mahnung sein, zu versprechen, dass sich diese schreckliche Periode der Geschichte nie wieder anderswo in der Welt wiederholen darf. Der einzig mögliche Weg zu Entwicklung und Wohlstand unserer Gesellschaften führt über die Förderung von Menschenrechten und Freiheiten, Solidarität, Menschlichkeit und gegenseitigem Respekt.», Stevo Pendarovski, Präsident der Republik Nordmazedonien

«Die Pandemie, durch die das heutige Gedenken an diesem besonderen Tag eingeschränkt wird, hat tatsächlich die ungleichen Lebensbedingungen zahlreicher Roma-Gemeinschaften noch weiter verschärft. Von unzureichendem Zugang zu Trinkwasser bis hin zu enormen Benachteiligungen, denen Roma-Kinder beim Zugang zu Bildung ausgesetzt sind. Diese Umstände sind Spiegelbild unserer Gesellschaft und unserer Bereitschaft, Raum für Integration zu schaffen und sicherzustellen, dass alle in Würde und Gleichheit leben können. Die Krise hat einmal mehr bestätigt, dass mehr getan werden muss.», Zuzana Čaputová, Präsidentin der Slowakischen Republik

«Ich möchte den Sinti und Rom versichern, dass Kanada als Mitglied der International Holocaust Remembrance Alliance, weiterhin das Bewusstsein für den Völkermord an den Sinti und Roma zu stärken.», Stéphane Dion, Botschafter von Kanada in Deutschland

«Die dunkle Nacht des Nazi-Rassismus, dessen unschuldige Opfer unsere Brüder und Schwestern waren, lässt uns mit Angst und Sorge auf die heutige Realität blicken. Ethnonationalismus ist um uns herum präsent. Es scheint, als hätte die tragische Geschichtsstunde nie stattgefunden. Das Schlimmste, was in dieser Situation passieren kann, ist Gleichgültigkeit. Die Ignoranz selbst gegenüber kleinsten Erscheinungsformen von Diskriminierung führt zu deren Vermehrung.», Roman Kwiatkowski, Vorsitzender des Verbands der polnischen Roma

«Diskriminierung von Sinti und Roma existiert in fast ganz Europa... Erinnern wir uns: Diskriminierung führt zu Ausgrenzung, die zu Entmenschlichung führt und das wiederum führt in den Völkermord.», Piotr Cywinski, Direktor des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau

Foto:
Ein Mann gedenkt den ermordeten Roma in Auschwitz - dieses Jahr findet der Europäische Roma-Holocaust-Gedenktag virtuell statt.
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Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 1.August 2020