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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2020 10 21 um 00.59.08Serie: Deutschlands erstes kommunales Jüdisches Museum öffnet nach mehrjähriger Bauzeit in erweiterter Form, Teil 3

Peter Feldmann

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Hier die Rede  von Oberbürgermeister Peter Feldmann zur Neueröffnung des Jüdischen Museums am Dienstag, 20. Oktober. Die Redaktion

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
was für ein wunderbarer Tag für unsere stolze Heimatstadt Frankfurt!
Was für ein wunderbarer Tag für Deutschland! Auch für mich ganz persönlich. Wir alle haben lange auf diese Neueröffnung gewartet.

Viel wird also heute zu hören sein vom ersten Jüdischen Museum in Deutschland, das vor nicht einmal vierzig Jahren eröffnet wurde.

Viel wird zu hören sein von den Rothschilds, vom Börneplatz, seiner ganz eigenen Geschichte und überhaupt vom jüdischen Frankfurt.

In der Dauerausstellung des Museums treffen wir wie selbstverständlich auf Menschen wie Leopold Sonnemann, lernen exemplarisch die Lebensgeschichten von Frankfurterinnen und Frankfurter kennen, Frankfurterinnen und Frankfurter, die auch Juden waren. Wilhelm Merton, Carl und Arthur von Weinberg, Franziska und Georg Speyer, Paul Ehrlich, Ludwig Heilbrunn, Bertha Pappenheim, Henriette Fürth, Charles Hallgarten, Jakob Nussbaum, Ludwig Landmann, Bruno Asch, Hermann und Felix Weil ... so viele Namen, die einen Klang haben in unserer Stadt und weit darüber hinaus.


Was aber macht das jüdische Frankfurt aus?

Erlauben Sie mir, hierzu ein paar persönliche Worte an Sie zu richten: Als ich 2012 zum Oberbürgermeister dieser Stadt gewählt wurde, da war meine Mitgliedschaft in der Jüdischen Gemeinde kein Thema. Nicht in Frankfurt und auch nicht in Deutschland.

In New York und Tel Aviv hingegen wurde umfassend darüber berichtet.
Mit deutlicher Verwunderung, wohl auch einer gewissen Freude,
wurde geschrieben, dass seit Ludwig Landmann zum ersten Mal ein jüdischer Oberbürgermeister an der Spitze der Stadt Frankfurt am Main stehe.

Meine sehr verehrten Damen und Herren: So habe ich mich selbst nie gesehen. Weder sehe ich mich in die Fußstapfen des großen Ludwig Landmann treten. Noch sehe ich mich als jüdischen Oberbürgermeister. Nein, ich sehe mich schlicht als Bürger dieser Stadt. Einer von über 750.000.

Genauso hat diese Stadt vor acht Jahren auch reagiert. Fast schon mit einem gewissen Achselzucken, was meine Mitgliedschaft in der Jüdischen Gemeinde Frankfurts betrifft.

Wie diese Stadt überhaupt mit Achselzucken reagiert: Welche Hautfarbe einer hat... Welche Sprache er oder sie spricht... Woher einer kommt ...

Das ist hier alles gleichgültig. Wichtig ist, was einer mitbringt, was er oder sie kann. Die Lehrer fragen hier nicht: Wo kommst denn du her? Sie fragen nur: Hast du deine Hausaufgaben gemacht? So habe ich Frankfurt seit meiner Kindheit erlebt.

Wo kamen denn meine Freunde her? Aus Nieder-Eschbach, aus Italien, aus Marokko oder aus Afghanistan? Für uns spielte das keine Rolle.

Manchmal allerdings wurde ich von Unbekannten gefragt, aus welcher Ecke der Türkei ich stamme. Meine Haare waren damals doch noch dunkler...

Später, als junger Mann, betrieb ich eine ganz andere Art von Identitätsforschung. Ich ging als Student in einen Kibbuz. Zu einer Zeit, als hier gerade über die Eröffnung des Jüdischen Museums diskutiert wurde. Als der Börneplatz besetzt wurde, musste ich dann unbedingt dabei sein.

Das hat mein Bild von Israel und von Frankfurt geprägt. Ein Vielvölkerstaat, der Heimat wurde für viele, die mit dem Leben davongekommen waren. Und eine Stadt, deren jüdische Wurzeln so unendlich stark waren. Mit Menschen, die dort wie hier nicht mit Hass unterwegs waren.

Wer sich mit dem Konzept des Kibbuz schon einmal beschäftigt hat,
bekommt vielleicht eine Ahnung davon, dass sich dort ein Teil meiner politischen Identität geformt hat.

Eine „Frankfurter Schule“, die nicht nur an unserer Goethe-Universität mit Adorno, Habermas und Marcuse zu Hause war, sondern die auch im lange deutschsprachigen Kibbuz Hazorea – von Martin Buber gegründet – gelebt wurde.

Seine Werte: Freiheitlichster Sozialismus und Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Werte, die die Frankfurter Schule inspirierten. Werte, die auch mich, wie so viele andere, geprägt haben.

Der in Frankfurt verwurzelte und von 1924 bis 1933 an unserer Goethe-Universität lehrende jüdische Professor Martin Buber hatte sein Wohnhaus in Heppenheim, dem Ort, an dem bis heute alle unseren Städtischen Demokratiereisen in den Süden enden.

Auf den Spuren unserer Frankfurter demokratischen Revolutionäre der Frankfurter Paulskirche sind wir dort. Unter diesen Revolutionären waren sieben Juden als Abgeordnete, einschließlich des Vizepräsidenten der parlamentarischen Versammlung: Gabriel Riesser.

Und heute? Wissen Sie wie viele Abgeordnete des Deutschen Bundestages Jüdinnen oder Juden sind? Und: Welche Rolle spielte es, wenn Sie es wüssten?

Die Spuren der Demokratiegeschichte finden sich aber ebenso bei verarmten südhessischen Bauern, Verbündete der demokratischen Revolutionäre in Frankfurt, die Grund und Boden zum gemeinsamen Besitz erklärten.

Nein, kein Kibbuz, aber kollektiver Grund und Boden in sogenannten „Heckersäckern“, zerschlagen erst von den Nazis – als kommunistisch denunziert. Verbündet mit den Frankfurter Revolutionären und in der südhessich/badischen Pfälzergrenzregion aktiv war auch Friedrich Stolze, der wunderbare Heimatdichter, Bekannter von Börne und Vorleser von Amschel Mayer von Rothschild gewesen war.

Was ist also jüdisches Leben in Frankfurt?

Für mich ein Blatt, das so schillert, wie ganz Frankfurt schillert. Und damit ist jüdisches Leben vor allem eines: Unsere Normalität, die wir verteidigen!

Gegen jene, die seit einigen Jahren verstärkt – ich merke es auch ganz persönlich – die verstärkt gegen die Normalität anreden. Die Hass verbreiten. In Mails. In Anrufen. Auf Demonstrationen.

Das Jüdische Museum ist deshalb sicher eine der wichtigsten Säulen demokratischer Aufklärungskultur. Es tut unserer Stadt gut.

Gegen gesellschaftlichen Hass, Antisemitismus, Ausgrenzung, Erniedrigung, Einschüchterung: Alles, was Menschen kleinmachen will. Das ist es, was wir heute mit größter Kraft in Schranken weisen.

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Info:
Die Veranstaltung konnte als Livestream unter https://www.youtube.com/watch?v=jvjXBq515qQ&feature=youtu.be im Internet verfolgt werden.