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Kategorie: Zeitgeschehen
stolpersteine 4855Weitere Stolpersteine in Schlüchtern verlegt

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (Weltexpresso) - Abermals wurden für jüdische Mitmenschen, die während der Naziherrschaft vertrieben und ermordet wurden, Stolpersteine verlegt. Damit wurde in drei Schlüchterner Häusern die Erinnerung an die Familie Neuhof symbolisch zurückgebracht.
Es waren drei kleine, aber bewegende Zeremonien vor den Häusern Unter den Linden 14, Weitzelstraße 1 und Grabengasse 11, als Kerstin Baier-Hildebrand die spärlichen Informationen über die ehemaligen Bewohner und Bewohnerinnen verlas. Die Vorsitzende des Heimat- und Geschichtsvereins sprach gleichzeitig im Namen des Schlüchterner Magistrats: „Die Menschen, deren Familien unter der Naziherrschaft oft auseinandergerissen und zu Nummern degradiert wurden, werden so an ihren letzten frei gewählten Wohnsitz zusammengeführt und bekommen ihre Namen zurück.“

Kinder der Bergwinkel-Förderschule, die es bei den Nazis sicherlich nicht einfach gehabt hätten, trugen berührende Gedichte vor und stellten danach jeweils Kerzen zu den Steinen. In den Reimen „Wir sind ja trotz allem Menschen“ werden die plötzlichen Veränderungen, Verfolgungen und Ausgrenzungen jüdischer Menschen beschrieben - und es wird gerufen: „Es kann doch nicht sein / es darf doch nicht sein!“

Aber es war so!
Das wissen die wenigen Verwandten der Neuhofs zu Genüge, die aus Berlin und Israel nach Schlüchtern kamen. Sie berichteten eindringlich von den überlieferten Erlebnissen ihrer Vorfahren, legten Blumen auf die Steine und umarmten einander behutsam. Ein israelischer Verwandter, Doron Schachram, sprach mehrfach ein hebräisches Gebet. Zum Schluss spielte, unweit der Synagoge, ein Klezmerduo melancholische und doch verhalten fröhliche Töne. Diese Stimmung prägte auch die Atmosphäre bei der Verlegung der Steine: einerseits Glücksgefühle über die Anteilnahme und Würdigung, andererseits aber auch Trauer über das Vergangene.

Am Ende ihrer Reden betonte Baier-Hildebrand die Notwendigkeit des Gedenkens und die Mahnung, so etwas nie mehr geschehen zu lassen. Das sei eine Verpflichtung für uns alle, denn die Nazizeit sei kein Zeitabschnitt entfernter Geschichte: „Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass es auch ein Zeitabschnitt unserer Stadtgeschichte ist (...). Das Erinnern darf nicht aussterben. Wir müssen die Erinnerung lebendig halten; die Erinnerung an den Mut der Helfenden und die Tatenlosigkeit so vieler.“

Inga Heß und Clas Röhl hatten ein Jahr lang die Verlegung der Stolpersteine für die Familie Neuhof intensiv organisiert, dafür viel recherchiert und Kontakte nach Israel und in die USA geknüpft. Sie waren sehr bewegt, das Ergebnis ihrer Arbeit zu erleben, auch wenn es - bedingt durch Corona - fast keine Publikumsteilnahme gab. Ganz im Sinne Baier-Hildebrands sehen sie die Notwendigkeit, noch viele weitere Stolpersteine im Bergwinkel zu verlegen.

Foto:
Hanswerner Kruse

Info:
Die Zeremonien wurden aufwendig und flexibel als Livestream übertragen und sind weiterhin auf der Facebook-Seite „Tourismus & Kultur Stadt Schlüchtern“ zu sehen:
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