Bildschirmfoto 2020 10 24 um 02.59.33Eine Rückkehr zur SachliRunde Zwei zwischen Joe Biden und Donald Trump bringt keine Wende im Trend: bessere Siegeschancen am 3. November haben weiterhin die Demokraten

Andreas Mink

New York (Weltexpresso) - Die zweite und letzte Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden hatte zwei Gewinner: Vom Präsidenten noch Stunden vor dem Event in Nashville, Tennessee, als «Fake News»-Verbreiterin angefeindet, hielt Moderatorin Kristen Welker durchweg Kontrolle. Und so konnten die Zuschauer in den Genuss einer zumindest im Vergleich zur ersten Runde halbwegs ruhigen und sachorientierten Auseinandersetzung kommen. Trump versuchte zum Ende hin jedoch, das Heft an sich zu reissen und überhäufte Biden mit Beleidigungen und Attacken – der 77-Jährige habe in 47 Jahren als Politiker eigentlich nichts erreicht, sei korrupt und biete «nur Gerede und null Aktion».

Doch am Ende zog Trump eine grimmige Miene und Frustration schien klar in sein Gesicht geschrieben. Er konnte Biden zwar bei den Themen Immigration und Strafjustiz in die Defensive drängen – als Senator hatte der Demokrat in den 1980er und 1990er Jahren Gesetzesvorlagen betrieben, die zu hohen Gefängnisstrafen für zehntausende junger schwarzer Männer aufgrund relativ harmloser Drogenvergehen führten. Beim Thema Einwanderung rieb Trump seinem Herausforderer die enorme Zahl von Abschiebungen – jährlich bis zu 400'000 – undokumentierter Migranten während der Obama-Ära unter die Nase. Bidens Replik, eine durchgreifende Reform inklusive eines Weges in die Legalität für die mindestens zehn Millionen Undokumentierten im Land sei damalsam Widerstand der Republikaner im Kongress gescheitert, trifft zwar zu. Dies könnte skeptisch gewordene Konservative jedoch an den Grund ihrer Sympathie für Trump erinnern: Biden klang wie der Berufspolitiker, der er ist.

Hier wurde aber auch klar, dass sich Trump auch nach vier Jahren im Weissen Haus in der bequemen Rolle des Aussenseiters am wohlsten fühlt, der Verantwortung für grosse Probleme scheut und auf die Demokraten oder sonstige Sündenböcke schiebt. Vor allem zu Beginn kam er deshalb beim Thema Covid-19 über weite Strecken in die Defensive, während Biden sachkompetent, energisch und glaubhaft auch moralisch entrüstet argumentieren konnte: die Infektions- und Opfer-Zahlen steigen rapide auf nun über 70.000 Fälle und 1000 Tode täglich an. Und Trump hat dagegen tatsächlich weder einen Plan, noch kann er die Republikaner im Senat zur Verabschiedung eines neuen Rettungspaketes für Bürger und Wirtschaft bewegen.

Unterm Strich konnte zwar keiner der Kombattanten einen Knockout landen. Trump stand jedoch nach Überzeugung der meisten Beobachter vor der Aufgabe, den gegen ihn und seine Partei laufenden Trend zu drehen: Umfragen sprechen beharrlich für einen Sieg Bidens und den Verlust der republikanischen Senats-Mehrheit. Ein solches Comeback dürfte Trump kaum gelungen sein.

In den nun noch verbleibenden zehn Tagen bis zur Wahl spricht nicht allein die neuerliche Explosion der Covid-Zahlen gegen ihn: Trump wird sich unter dem Druck einer drohenden Niederlage schwer tun, seine Disziplin zu bewahren. Dies dürfte Moderate die Neigung nehmen, ihn doch (erneut) zu wählen. Und schliesslich haben bereits knapp 50 Millionen Amerikaner bereits bei Vor- und Briefwahlen von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht. Dies entspricht fast einem Drittel der gesamten Wähler 2016. Reflektiert deren Entscheidung auch nur annähernd die Umfragen, sieht es düster aus für Trump und seine Partei (Link).

Schliesslich noch eine Kleinigkeit, die Medien und Wähler beschäftigen dürfte: Trump kam ohne Maske auf die Bühne und legte nach der Debatte keinen Gesichtsschutz an, als seine ebenfalls mit Covid-19 infizierte Gattin mit Maske zu ihm auf die Bühne kam. Melania nahm ihn jedoch nicht in die Arme. Anders die Bidens: Joe trat mit Maske an, hob deren Nutzen in der Debatte mehrfach hervor, legte den Gesichtsschutz anschliessend gleich wieder an und als Gattin Jill in auf ihr Kleid in Blumenmuster abgestimmter Maske zu ihm trat, schloss sich das Paar kräftig und anhaltend in die Arme. Biden hat dabei wohl kurz hinüber zu den Trumps geschaut. Als alter Politiker wird er die Symbolik dieses Moments verstanden haben: hier ein «normales», liebevolles Paar in Sorge umeinander – dort ein merkwürdiger Wüterich, dem nicht einmal die eigene Frau nahekommen mag.

Foto:
Joe Biden bei der Debatte. 
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 23. Oktober 2020