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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2020 10 27 um 01.36.37Fragliche Nähe zur Bewegung Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS)

Redaktion tachles

Berlin (Weltexpresso) - Eine Gruppe jüdischer Kunststudentinnen aus Israel der Kunsthochschule Weissensee in Berlin organisiert diesen Monat einen Raum des gemeinsamen Lernens mit virtuellen Vorträgen, Filmen, Diskussionen und Workshops auf Hebräisch und Englisch. Das Projekt hat den Titel «Schule für das Verlernen des Zionismus». Parallel dazu findet eine Ausstellung in der Kunsthalle am Hamburger Platz in Berlin statt. Die Förderung des Projekts wurde von der der Kunsthochschule jedoch gestrichen und das Programm von der Website entfernt.

Seit dem 13. Oktober ist auf der Website der Kunsthochschule Weissensee nun zu lesen, dass die Schule sich an den Bundestagsbeschluss halten würde, der BDS-Bewegung entschlossen entgegenzutreten und Antisemitismus zu bekämpfen.

Die Kunsthochschule reagierte damit auf die Kritik, einige Referenten seien bekannt für ihre Nähe zur BDS-Bewegung. Seitens der Hochschule findet keine Überprüfung von Referenten hinsichtlich deren persönlichen oder politischen Einstellung statt, die zu Vorträgen eingeladen werden, auch nicht bei Gastprofessoren der Hochschule.
Für die israelische Botschaft in Berlin steht die erwähnte Veranstaltung jedoch im Widerspruch zum Anti-BDS-Beschluss des deutschen Parlaments. Einen Workshop zu veranstalten, dessen Titel bereits die Existenzgrundlage Israels negiert, sei eine Umarmung des Antisemitismus. Gegenüber der Delegitimierung Israels und Antisemitismus solle es heute in Deutschland keine Toleranz geben, liess die Botschaft verlauten.

Nach der Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs vom Juni diesen Jahres ist BDS jedoch eine legitime und nicht antisemitische Kampagne und die französische Regierung musste BDS-Aktivisten für die Verfolgung wegen ihres Aktivismus entschädigen Das American Jewish Committee twitterte: «Für die Delegitimierung Israels dürfen keine Steuergelder verwendet werden». Das Goethe-Institut warb allerdings für die Online-Veranstaltung «Zionismus als Siedlerkolinismus» mit dem Historiker IIan Pappe.

Bei dem Projekt kommen Palästinensische und Israelische Sprecher zu Wort. So ging es in einem Zoom-Meeting um Journalisten in Gaza, die ein Schreibprojekt für junge Menschen gründeten, die mit berührenden Texten den Alltag, das Meer, Kindheitserinnerungen und das Leben der Grosseltern beschreiben. Es geht um Lyrik und Poesie und darum die Geschichte von Gaza zu archivieren, so Farah Yania und Majed Abusalama von dem Schreibprojekt. Marwa Fatafta und Salem Barahmeh sprachen über «Die zweite Intifada, Oslo und was als nächstes kommt». Das «Oktoberprogramm» der Schule zum Verlernen des Zionismus deckt eine Vielzahl historischer, soziologischer und kultureller Themen ab, die sich auf den Monat Oktober in Israel und Palästina beziehen. Die Referenten wählten die Themen selbst aus, und keiner von ihnen entschied sich dafür, BDS zu seinem Thema zu machen.

Shir Hever, ein Dozent der als Redner eingeladen wurde war überrascht, dass das Programm von der Website gelöscht wurde, zumal die Rektorin der Universität, Leonie Baumann, das Programm und seinen Inhalt bereits vor Beginn der Schule kannte. Auch der Gastprofessor Matthias Jud «war sehr erstaunt, dass die Hochschulleitung ohne Abklärungen und ohne ein Gespräch über die Kunstinstallation, den Inhalt des Programms und die Veranstaltungen eine Stellungnahme veröffentlichte, die eine Weigerung der Förderung dieses Programm beinhaltete.»

«Nachdem Bauman Information erhielt, dass vier der Referenten, darunter auch ich, Juden sind, beschloss sie, die Unterstützung für das Programm zu widerrufen», so Hever. Sie habe damit wissentlich einen antisemitischen Angriff auf ein Projekt unterstützt, das zu ihrer eigenen Universität gehörte. Die Frage der akademischen Freiheit oder der Redefreiheit sei hier nicht das Hauptthema. «Vielmehr geht es um die Bereitschaft deutscher Institutionen, Juden in ‚gute Jude‘ - wenn sie Zionisten sind - und ‚schlechte Juden‘ zu unterteilen, die in Deutschland möglicherweise nicht mit öffentlichen Geldern gefördert werden, weil sie den Staat Israel nicht ausreichend unterstützen. Die politische Meinungsfreiheit wird nicht jedem in Deutschland verweigert, sondern speziell den Juden unter Berufung auf die sehr problematische IHRA-Definition und die diffamierende Entscheidung des Bundestages gegen die Boykottkampagne vom Mai 2019.»

Hever, der sich nicht als Antizionist definiert sieht in dem Namen «Verlernen des Zionismus» keine Provokation. «Die Vorträge richten sich an ein Publikum von Menschen, die wie ich in zionistischen Schulen aufgewachsen sind und die zionistische Erzählung als Dogma studiert haben. Wir wollen ein Gespräch über diese Themen führen, das einen Raum für nicht-hegemoniale Ideen und Meinungen schafft.» Er sei jedoch sehr besorgt über die Reaktion der nichtjüdischen Deutschen auf das, was sie fälschlicherweise als «antisemitisches Projekt» bezeichnen.

Jud sieht die öffentliche Hochschule zu einem Gleichheitsgebot verpflichtet. «Ich kann nicht einzelne Studierende wegen ihrer israelisch-jüdischen Herkunft eine Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Biografie untersagen. Würde ich einzig dieser jüdisch-israelischen Gruppe eine Diskussion untersagen, dann wäre ich als Professor zu Recht zu belangen», führt er weiter aus. Es werde hier versucht in eine Kunstinstallation einzugreifen. Das sei primär ein Eingriff in die Freiheit der Lehre und in die Freiheit der Kunst. Die Freiheit der Lehre bedeute, dass «wir als zuständige Professoren über die Ressourcen, die Inhalte und das Programm unseres Lehrbereichs entscheiden. Wenn Gelder für einzelne Veranstaltungen gestrichen oder gesperrt werden von anderen Stellen, der Hochschulleitung oder gar des Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF, dann ist das ein Eingriff in die Freiheit der Lehre, weil nicht mehr wir Professoren, die fachlich und sachlich zuständig sind, über die Lehre entscheiden, sondern Verwaltungs- und Regierungsstellen entscheiden nun, dass dem ganzen Programm von jüdisch-israelischen Künstlerinnen keine finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden.»

Der Vorwurf des israelbezogenen Antisemitismus stellt laut Jud eine Kategorisierung auf, die gerade jene Räume der Reflexion zu schliessen versucht, die diese Kunstinstallation aufgemacht habe. Die Kunstinstallationen seien Teil eines zivilgesellschaftlichen, kulturellen Lebens in unseren offenen, demokratischen Strukturen. «Angelegt, als ein Ort der subjektbezogenen Betrachtungs- und Erzählweisen in der wir Gemeinsamkeit, Annäherungen und ein Nebeneinander erproben können. Wir können über unsere Biografien und über unsere eigene Identität nachdenken, das ist nicht nur in dieser spezifischen Installation spannend, das finden wir auch in anderen künstlerischen Forschungsvorhaben heute.» Und mehr noch als um eine generelle Form der Wertung und des Ausschlusses gehe es um die Option, eigene und neue Artikulationsweisen zu finden, die eben auch Stimmen und Positionen aufscheinen lassen, die ansonsten marginalisiert und zum Schweigen gebracht werden, schliesst Jud. «Wer hat Angst vor der Reflexion jüdisch-israelischer Frauen, die über ihre eigene Biographie, ihre Leben und ihre Identität nachdenken?» Es sei vielmehr notwendig, und darin liege auch «unsere Aufgabe einer öffentlichen Hochschule, die zivilgesellschaftlichen und kulturellen Optionen zu schützen, und mit ihnen Formen des Miteinanders, der Partizipation und des Austauschs zu ermöglichen.»

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