Bildschirmfoto 2021 02 01 um 01.30.32Rabbi Chaim Kanievsky als Premierminister

Redaktion tachles

Tel Aviv (Weltexpresso) - Als der Moderator der israelischen Satire-Show «Eretz Nehederet» in einer aktuellen Folge den Premierminister Israels vorstellte, erschien nicht Binyamin Netanyahu. Stattdessen wurde ein Schauspieler, der Rabbi Chaim Kanievsky, den obersten Führer der orthodoxen Charedim-Gemeinde in Israel, spielt, von einem Schauspieler, der seinen Enkel Yanky spielt, auf das Set gerollt.

Der Sketch, der Kanievsky und seinen Enkel als diejenigen darstellte, die, wenn es um die Durchsetzung von Israels Shut-Down geht, das Sagen im Land haben, hat einige Charedim in Israel wegen der respektlosen Darstellung von Kanievsky in Rage gebracht.

Der Sketch spiegelt die Art und Weise wider, wie viele Israelis die momentane Situation in Israel sehen. Für viele ist das Ausbleiben eines harten Durchgreifens der Regierung gegen die charedische-Gemeinschaft, die sich kaum an die Schutzvorschriften gegen die Covid-19-Pandiemie halten, darauf zurückzuführen, dass Netanyahu auf Kanievsky und andere Charedi-Führer angewiesen ist, um politische Unterstützung zu erhalten. Kanievsky hat sogar die Eröffnung von Yeshiwot (Religionsschulen) genehmigt, auch wenn die Regierung die Öffnung von Schulen verbietet.

Kanievsky wurde 2017 nach dem Tod von Rabbi Aharon Leib Shteinman zum herausragenden Führer von Israels nicht-chassidischer charedisch-orthodoxer Gemeinde. Seitdem hält Kanievsky Hof in seinem Haus in der mehrheitlich ultraorthodoxen Stadt Bnei Brak, wo er Thora studiert und Fragen von Anhängern beantwortet, wobei seine Enkel als Vermittler für ihren schwerhörigen Grossvater fungieren. Ein Artikel in der «New York Times» betitelte Kanievsky als «Prinz der Thora» und beschrieb einen Mann, der der materiellen Welt entschwunden ist und fast alle seine wachen Stunden in Tora-Texten versunken verbringt.

«Er glaubt, dass die Thora die Welt erhält», sagte Kanievskys einflussreichster Enkel, Yanky, der «New York Times». «Ohne Thora-Lernen haben wir keinen Grund zu leben. Es steht in der Bibel geschrieben - wenn man aufhört zu lernen, wird die Welt zusammenbrechen.»

Viele Israelis, einschliesslich der Autor der Satire-Show, sehen diesen Ansatz als falsch, in einer Zeit in der das Befolgen von Regeln, welche die Ausbreitung von Corona stoppen sollen, an erster Stelle steht. Aber selbst einige derjenigen, die die zum Teil gewalttätigen Proteste der Charedim verurteilen, sagen, dass der «Eretz Nehederet»-Sketch respektlos gegenüber dem 93-jährigen Rabbiner sei.

Omer Yankelevitch, Israels Ministerin für Diaspora-Angelegenheiten, forderte den Sender auf, den Clip nicht zu zeigen.
«Die Produktion einer schädlichen und spöttischen Nachahmung Kanievskys ist eine tiefe Verletzung der Gefühle der Orthodoxen», liess Yankelevitch, die selbst orthodox ist, in einem Tweet verlauten. «Ich fordere die Macher der Sendung und den Kanal 12 auf, die Sendung nicht auszustrahlen und die Würde des Rabbiners und der grossen Gemeinde, die dadurch verletzt wird, zu wahren.»

Knesset-Mitglied Yoel Razvozov erwiderte prompt: «Wenn ein Satireprogramm zweimal nachdenken muss, bevor es einen Rabbiner imitiert, so großartig und respektabel er auch sein mag, müssen wir das Niveau der Meinungsfreiheit in unserem Land neu überprüfen».

Foto:
Eine Aufnahme aus der fraglichen Satire-Show - rechts der Schauspieler bei seiner Imitation von Rabbi Chaim Kanievsky.
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Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 2.2. 2021