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Kategorie: Zeitgeschehen
hdg.deZur Klageerhebung gegen eine ehemalige KZ-Sekretärin

Adele Hübner-Neuwerk

Insel Neuwerk (Weltexpresso) – Ich weiß nicht, über was ich mich mehr aufregen soll: Dass  die Sache mit der KZ-Sekretärin erst jetzt ins Rollen kommt,  oder dass die Frau immer noch so tut, als hätte sie von den Nazi-Verbrechen nichts gewusst.

Seit Kriegsende sind 76 Jahre vergangen. In dieser Zeit hätte die Justiz solche Leute längst zur Rechenschaft ziehen können, und wer nicht allzu viel  Dreck am Stecken hatte, konnte von sich aus klarmachen, dass er mit Nazis nie wieder was zu tun haben wollte. Aber sich jetzt immer noch blind und taub zu stellen und zu behaupten, man habe als Sekretären eines KZ-Kommandanten erst nach Kriegsende von den Morden erfahren, ist eine Frechheit. Für wie blöd hält die uns denn?

Die Kommandantur im Lager Stutthof, wo die Sekretärin gearbeitet hat, lag direkt neben dem Haupteingang. Bei einer früheren Vernehmung hatte sie ausgesagt, über ihren Tisch sei der gesamte Schriftverkehr mit dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt gegangen. Sie wusste also, was dort los war. Zwischen 1939 und 1945 wurden in Stutthof etwa 65.000 Menschen ermordet. Vorübergehend wurden die Opfer in einer Gaskammer und einem Gaswagen mit dem auch in Auschwitz verwendeten  Giftgas Zyklon B ermordet. Nach Aussagen von Überlebenden wurden Kinder als erste vergast und verbrannt. Andere Opferr starben in einer Genickschussanlage oder wurden mit der Giftspritze getötet. Und von all dem will die Frau nichts mitbekommen haben?


Ein Historiker kam im Auftrag der Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis, dass die Arbeit der Sekretärin für den Betrieb des Konzentrationslagers elementar gewesen sei. Trotzdem wird ihr nicht viel passieren. Ein ehemaliger SS-Angehöriger der Wachmannschaft von Stutthof kam vergangenes Jahr mit einer zweijährigen Jugendhaft auf Bewährung davon. Ihm hatte man Beihilfe zum Mord in mehr als 5 000 Fällen zur Last gelegt. Der KZ- Sekretärin werden mehr 10 000 solcher Fälle zugerechnet. Weshalb die Justiz so spät in die Hufe kommt,  hat natürlich seinen Grund.

Früher hieß es, nur wer persönlich jemanden erschossen oder sonst wie getötet hat, kann zur Verantwortung gezogen werden. Den  Leuten, die vom Schreibtisch aus gemordet haben, konnte man das nie nachweisen. Sie saßen ganz schnell wieder an höchster Stelle. Obwohl Hans Globke mit seinem Kommentar zu den Nürnberger Nazigesetzen juristisch den Weg zur Judenverfolgung und zum Massenmord von  Auschwitz geebnet hat, machte ihn Konrad Adenauer zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt, so als sei alles nur Pillepalle gewesen.

Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer wollte das ändern. Alle, die an der Todesmaschinerie hantiert hätten, müssten als Mittäter belangt werden, verlangte er. Nur so würden die Menschen Lehren für die Zukunft ziehen. Aber damit kam er beim Bundesgerichtshof nicht durch. Der entschied am 20. Februar 1969 als letzte Instanz, nicht jeder, der irgendwie in das Vernichtungsprogramm eingegliedert gewesen sei, sei für alles Geschehene verantwortlich. Damit bestätigt er den Freispruch eines der Angeklagten im Auschwitz-Prozess. Da haben sich viele heimlich die Hände gerieben.

Anderen hat das gestunken. Eine jüngere Juristengeneration wollte mit dieser Leiche im Keller nicht leben. So kam es Jahre nach Fritz Bauers frühem Tod zu den Prozessen gegen den ehemaligen SS-Wachmann im Lager Sobibor, Demjanjuk, und den Buchhalter von Auschwitz, Gröning, die selbst niemanden getötet hatten, aber wegen Mordbeihilfe zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Und jetzt soll einer ehemaligen Sekretärin aus dem Konzentrationslager Stutthof auf den Zahn gefühlt werden, wie das denn so war mit ihrer Rolle als kleines Rädchen, das nichts mitbekommen haben will von dem Leiden und Sterben und von jener Zeit, die der Wortführer einer Bundestagspartei als „Vogelschiss“ abgetan sehen möchte.

Foto:
Nein, das Foto der KZ-Sekretärin wollten wir nicht zeigen. Aber eine gute Gelegenheit, an Fritz Bauer auch im Bild zu erinnern, der wie im Text ausgeführt, schon vor über 60 Jahren die Rechtsauffassung hatte, die sich jetzt erst durchgesetzt hat
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