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Kategorie: Zeitgeschehen
Nawalny 4Nach dem Intermezzo Trumps hat sich das Verhältnis der die Weltpolitik bestimmenden Staaten neu aufgelegt,  Teil 2/3

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Monatswechsel von Ende Januar auf Anfang Februar 2021 wurde ein besonderer aufgrund des zweifelhaften Trumpschen Vermächtnisses einerseits und des Erwachens einer jungen russischen Zivilgesellschaft andererseits.


Die auf zeitkritische Berichterstattung und sorgsame Qualität Wert legenden öffentlich-rechtlichen Medien haben über vierzehn Tage stets die aktuellsten Stände der Entwicklung Nordamerikas und Russlands immer gleich zu Anfang einer Tagesschau oder einer heute-Sendung behandelt – eine Leistung, die dem deutschen Osten ein Gräuel zu sein scheint, weil ihm die Richtung nicht passt.

Einstmals konnte man sich verwundern, als der mdr vor einigen Jahren den Auftritt von Jimi Hendrix auf der Isle of Wight aus der Konserve gesendet hat. Das war mutig. Wie furchtbar müssen da gewisse deutschnationale Kreise innerlich gewütet haben.


Nawalny - Unruhestifter

In rund hundert Städten waren, wie wir schon andeuteten, russlandweit Tausende auf die Straße gegangen. Dabei kam es zu Protesten, Festnahmen und Gewalt seitens des Staates und seiner grauen Hintermänner. In elf Zeitzonen, unter anderem in St. Petersburg, Wladiwostok, Jekaterinburg und Jakutsk.

Die fernsibirisch erscheinende Anna äußert sich: „Ich mag wirklich keine Lügner, Diebe und all das. Mein ganzes Leben schon nicht...also bin ich gekommen“. In ihrer Nähe wird wieder einer flachrücks weggetragen. Alle treibt die Sehnsucht nach Veränderung. Die Journalistin Phoebe Gaa, von Petra Gerster (ZDF) befragt, ob die Proteste Putin gefährlich werden könnten, urteilt, dass die Proteste dem Kreml wohl gefährlich werden könnten. Früh war schon die Moskauer Innenstadt abgeriegelt worden. Die Polizei hat überall in der Stadt versucht, Protestierende zu vertreiben. Es war ein Katz- und Mausspiel. Willkürliche Festnahmen wurden brutal vollzogen.

Bedenkt man die Einschüchterungsversuche, die Verhaftungen und gezielten Festnahmen, „dann scheint es so, dass die russische Staatsmacht sich entschieden hat, diese Protestbewegung im Kern ersticken zu wollen, bevor sie Wladimir Putin gefährlich werden könnte“.


Das Symbol Klobürsten

Passend zum verspielten Wochenende waren in mehr als 100 Städten wieder zu sehen, hochgereckte Klobürsten, „in den Händen tausender Menschen“. Die Bewegung will damit sagen, „dass Wladimir Putin in schmutzige Geschäfte verwickelt ist“. So putzig diese Geste wirken mag, sie zeige, „der Kreml kann die Proteste nicht einfach mehr abbürsten“.

Jo Angerer, Fernsehkorrespondent der ARD berichtet von einer massiven Polizeipräsenz in Moskau. In ganz Russland waren mehr als 5000 Menschen festgenommen worden. Die DemonstrantInnen fordern Freiheit für Nawalny, ihrem Symbol des Widerstands, das Ende der Korruption und eine neue Politik.


Ein neues Russland gegen Willkür und Gesetzlosigkeit

Beachtlich ist das Statement einer Demonstrantin: Es gehe doch hier nicht um Nawalny, er sei das Symbol des Protests, „der einzige, der sich traut“; er habe dem Kreml den Fehdehandschuh hingeworfen.- Sie argumentiert: „Er hat es für uns alle getan. Deswegen gehen wir auch für ihn raus“. Und die Demonstrationen finden in bitterster Kälte statt, wie in Jakutsk, Sibirien, bei minus 42 Grad. Ein Demonstrant wirft ein: „Ich bin das erste Mal bei einer Demo, ich bin es leid, die Willkür und die Gesetzlosigkeit der Herrschenden hinzunehmen“.

Und was die Menschen erbose, sei dieses dubiose Anwesen an der Schwarzmeerküste. Ein Palast für Putin nennt es Alexej Nawalny in seinem Film. Dieser sei von Putins Vertrauten gebaut und finanziert mit Schmiergeldern. Der Kreml dementiert dies. Und in dem Streifen, in dem Schaulustige auf das mächtige Gebäude draufschauen, taucht der angebliche Besitzer auf, der Oligarch Arkadi Romanowitsch Rotenberg, einer der reichsten Männer Russlands und Vertrauter Putins. Doch es wird gesagt, das Anwesen sei ein Hotel. Jo Angerer dazu: „Diese Geschichte glaubt hier niemand“.

„Putin in den Ruhestand“ und „Du bist ein Dieb“, ruft die Menge in St. Petersburg. Die Polizei geht mit Elektroschockern vor (in einem Videoausschnitt zu sehen) und nimmt dabei viele fest. Die neue Bewegung gegen die erstarrten Verhältnisse sei mit der von Belarus nur bedingt vergleichbar, doch komme auch hier eine Art neugewonnener Identität zum Ausdruck. Aber es gehen auch Menschen, die aus rein wirtschaftlichen Gründen auf die Straße gehen, weil das Geld nicht mehr reicht und die Korruption drückt. Denen gehe es weniger um Politik und überdies: es gebe Wohlhabende, „die einfach nur schlicht Demokratie wollten“.

Hinzu kommt für eine Bewertung des Stellenwerts Proteste: die Polizei greift hart durch, weil der Kreml die Proteste doch sehr ernst nimmt. Es droht ihm unterschwellig Gefahr. Ungewöhnlich ist auch, dass Putin selbst Nawalny kommentiert hat. Er habe gesagt, dass mit dem angeblichen Palast, „das sei alles Quatsch“. Das darf als ungewöhnlich erscheinen.


Vorgehen international verurteilt

Der Konflikt um die Person Nawalny wird in Europa streng verfolgt, die SPD legte Protest gegen die Verletzung der Menschenrechte ein. Der EU-Außenbeauftragte, der vom russischen Außenminister Sergej Lawrow während einer Pressekonferenz in den Senkel gestellt wurde, verurteilte die mehr als 5000 Festnahmen. Lawrow droht mit einem Abbruch der Beziehungen mit der EU, falls die EU weitere Sanktionen verhängen sollte.


Nawalny vor Gericht – es drohen mehrere Jahre Haft

Der Kreml-Kritiker Nawalny, hinter Panzerglas persönlich vor Gericht. Der Vorwurf lautet, er habe gegen Meldeauflagen der Bewährung verstoßen. Das System entblödet sich nicht, ihm das vorzuwerfen, obwohl er über informelle Geheimdienstkanäle aufs Schlimmste (mit dem hochwirksamen Nervengift Nowitschok) vergiftet wurde und in der Berliner Charitè um sein Leben kämpfte und die Reha erst am 15. Januar zu Ende ging. Schon am 17. Januar begann das Polizeiaufgebot aus Anlass seiner Rückkehr. Es ging also darum, ihn verstummen zu lassen und die Öffentlichkeit auszugrenzen. Auch gegen den ‚Bewährungsauflagenvorwurf‘ ging die Protestbewegung auf die Straße. Die russische Justiz forderte schon vor Aufnahme des Verfahrens 3½ Jahre Haftstrafe. So kam es dann auch. Und zu aller Schande lautete der Vorwurf, Nawalny habe das Land verlassen, ohne sich abzumelden.


Nervosität

Vor Gericht Hundertschaften an Spezialmannschaften. Der Zugang ist gesichert wie eine Staatsgrenze. Viele Unterstützer sind gekommen. Es ist ein Arbeitstag. Tausend werden festgenommen. Die Protestierenden respektieren Nawalny und machen sich Sorgen um das Land. Abends verlässt Julia Nawalnyaja den Gerichtssaal. Ihr konnte ihr Mann nur ein Herzchen auf die Scheibe des ihn umschließenden Glaskastens malen. Ausländische Diplomaten hatten dem Verfahren auch beigewohnt. Moskau bezeichnete das als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Das ist die allertypischste Polit-Floskel aus Sowjet- und DDR-Zeiten. Warum durften die Diplomaten dann überhaupt in den Gerichtssaal?

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