Wie rechtzeitige Recherche hätte helfen können

Klaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso) – "Petition: Millionen Bäume in Tansania retten! Betreff: Neue Chance in Tansania. Nach dem Tod des Präsidenten: Können wir den Staudamm in Selous jetzt verhindern?" Das fand kürzlich ein befreundeter Bremer in seiner Mail. Dessen sachkundigen Rat hätte man besser früher eingeholt.



Liebe Freundinnen und Freunde des Regenwaldes,


noch ziehen Elefanten und Giraffen durch die Savanne, dümpeln Flusspferde im flachen Wasser, schleichen Löwen auf der Jagd durchs Gras. In Tansanias Selous Game Reserve pulsiert das Leben – und ist zugleich bedroht, weil in der Schlucht Stiegler's Gorge ein Staudamm gebaut wird. Ein ökologisches Desaster. Im Herzen des UNESCO-Welterbes soll er den Fluss Rufiji stauen. 1.500 Quadratkilometer Wald und Savanne werden überflutet. Der Damm würde selbst flussabwärts bis ins Delta und die Mangroven-Wälder Schäden verursachen. 200.000 Menschen, insbesondere Bauern und Fischer, würden darunter leiden. ...
Der am 17. März 2021 verstorbene Präsident John Magufuli wollte als Macher gelten und das Projekt ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt durchsetzen. Nach seinem plötzlichen Tod wurde Samia Suluhu Hassan als neue Staatspräsidentin vereidigt. Es ist denkbar, dass sie vom beinharten Kurs ihres Vorgängers abweicht. ...

Wir haben bereits 300.971 Unterschriften gesammelt und wollen sie demnächst der neuen Präsidentin zustellen.

Rettet den Regenwald e. V.


Der Bremer Klaus v. Freyhold hat jahrzehntelang afrikanische Entwicklungsprojekte evaluiert. Seine aus Original-Quellen gestützte Antwort belegt, guter Wille ist gut, gute Recherche wäre besser gewesen:


Ich wurde um Unterstützung der Unterschriftenaktion der Regenwaldfreunde gebeten. Dazu kann ich nur sagen, dass die neue Präsidentin (Samia Suluhu Hassan) dieses schon weit fortgeschrittene Projekt weder aus außenpolitischen noch aus innenpolitischen Gründen – nachdem schon Millionen $ in Beton umgewandelt worden sind – einfach wegen einer Million Bäumen und Tieren aufgeben wird. Dass das ganze Projekt schon von Anfang an als wenig überzeugend anzusehen war, ändert an der jetzigen Situation nichts mehr. Der deutsche Botschafter in Tansania hatte schon 2017 auf die negativen Auswirkungen auf die Ökologie des Selous Game Reserve (deutsches EZ-Projekt) hingewiesen (siehe beiliegenden Artikel vom 28. Juni 2017, The Citizen), geholfen hat es nicht. Eine "neue Chance" für eine umweltverträglichere und wesentlich wirtschaftlichere Energieversorgung ist sowieso auch vertan worden.

Nicht ganz ernsthaft gemeint ist die Frage, woher der Verein Rettet den Regenwald die 3 Milliarden US$ herbekommen will, die die Präsidentin einfordern würde, wenn sie wirklich das Projekt aufgeben wollte. Denn vor jedem internationalen Schiedsgericht würde das ägyptische Bauunternehmen die entsprechende Summe als Schadensersatz erfolgreich einklagen können.

Ernsthaft ist dagegen mein Hinweis auf die außenpolitische Dimension dieses Projekts. In dem beiliegenden Artikel vom 10. Dezember 2016 (ippmedia) legt der Managing Director der tansanischen Elektrizitätsgesellschaft dar, wie die Stromversorgung des Landes in den nächsten Jahren aussehen soll. U.a. weist er darauf hin, daß Tansania vor habe, Strom aus dem groß dimensionierten äthiopischen Nilwasserkraftwerk "Grand Ethiopian Renaissance Dam" (GERD) über eine Fernleitung durch Kenia zu beziehen.

Diese Ankündigung rief umgehend die ägyptische Regierung auf den Plan, die unbedingt verhindern wollte, dass zu viele internationale Abnehmer äthiopischen Stroms aus dem GERD vielfältige Abhängigkeiten schaffen würde, die den ägyptischen Interessen widerliefen. Ägypten hat schon mehrfach militärisches Eingreifen angedroht, im Falle, dass es mit Äthiopien keinen für Ägypten akzeptablen Vertrag über sein Nilwasserkontingent erreicht. Im GERD sieht Ägypten eine ernsthafte Gefahr für seine Nilwasser-Versorgung.

Vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass der ägyptische Präsident damals sogleich nach Tansania gereist ist, um der tansanischen Regierung den Bau eines eigenen großen Wasserkraftwerks durch einen – wohl sehr großzügigen – Kredit schmackhaft zu machen; außerdem sei damit ja auch der Bau einer großen und teuren Überlandleitung nach Äthiopien überflüssig.

Sollte sich Tansania, nachdem der Kraftwerksbau schon halb fertiggestellt ist, jetzt dazu entscheiden, die Fertigstellung des Projekts zu beenden, käme zu dem wirtschaftlichen Schaden (siehe oben) noch der außenpolitische Schaden durch eine voraussichtlich folgenschwere Verschlechterung der Beziehungen zu Ägypten hinzu.

Die Petition des Vereins Rettet den Regenwald wird aufgrund seiner äußerst miserablen Recherche über die innen- und außenpolitischen Hintergründe und über den gegenwärtigen Stand dieses Projekts zwei negative Folgen nach sich ziehen. Zum einen werden die gutwilligen, aber unzureichend aufgeklärten Unterzeichner mit dem Frust leben müssen, dass ihr Enthusiasmus für das "Gute" am Ende nichts gebracht hat. Zum anderen werden sie der neuen tansanischen Präsidentin sehr negativ gegenüber eingestellt sein, weil sie die Bäume und Tiere nicht gerettet habe, obwohl sie es doch ihrer (Petitenten) Überzeugung nach hätte tun können.

Dabei wird vollkommen übersehen, dass die neue Präsidentin von der Teilrepublik Insel Sansibar mit ihren 1,5 Mill. Einwohnern – gegenüber der Bevölkerung des Festlands von knapp 60 Millionen – stammt. Sie hat also erst einmal ein sehr großes Problem damit, sich im Gesamtstaat – bestehend aus dem ehemaligen Tanganyika und dem früheren Sultanat Sansibar – durchzusetzen und ihre Macht in einer männerdominierten Gesamtgesellschaft zu etablieren. Kann sie das mit dem sofortigen Abbruch eines von ihrem von vielen Tansaniern verherrlichten Vorgänger initiiertem und überschwänglich gelobtem Projekt erreichen?

Die Präsidentin hat einen Vizepräsidenten vom Festland zur Seite gestellt bekommen, den bisherigen Finanzminister. Dr. Mpango (Studienfächer Wirtschaft, Planung, Finanzmanagement) ist vom Parlament sogleich einstimmig bestätigt worden. Ein Wirtschaftsprofessor der Universität Dar-es-Salaam, befragt dazu, sagt: "Beide werden harmonisch zusammenarbeiten und dafür sorgen, dass alle schon unter Präsident Magufuli begonnenen Projekte abgeschlossen werden."

Das Projekt ist von dem tansanischen Präsidenten mit dem ägyptischen Präsidenten ausgehandelt worden, wie hoch der ägyptische Kredit bei einem Gesamtprojektvolumen von 3 Milliarden US$ ist, ist mir nicht bekannt. Bekannt aber ist, dass das Projekt von der mit dem Bau beauftragten ägyptischen Firma als schlüsselfertiges Wasserkraftwerk übergeben werden soll. Die Firma hat auch die Zufahrtsstraßen für den Dammbau und das Camp für die ägyptischen Ingenieure und Arbeiter gebaut.

Dieser Damm stellt den zweitgrößten Damm für die Erzeugung von Strom in Afrika dar. Tansania sieht das Unternehmen als ein Projekt der afrikanischen wirtschaftlichen Emanzipation (African economic emancipation) an. Der Aufsichtsratsvorsitzende des staatlichen Elektrizitätsversorgungsunternehmen erhofft sich von dem Projekt, dass Tansania dadurch zum bevorzugtesten Investitionsziel in Afrika aufsteigen wird. Die im Kraftwerk erzeugte Elektrizität soll der mit der Vision 2025 bezeichneten Industrialisierung des Landes dienen. Aber als erstes soll es den dringend benötigten Strom für die neue im Bau befindliche elektrisch betriebene Eisenbahn von Dar-es-Salaam zum Viktoriasee sicherstellen. (Der erste Streckenabschnitt ist z.Z. im Test).

LERNEFFEKT: Vor Petitionen Fachleute fragen!