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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2021 04 29 um 01.02.27Drei Stunden vor der TV-Direktübertragung einer geplanten Debatte des Obersten Gerichtshofs über den Rummel rund um die Ernennung von Benny Gantz zum israelischen Justizminister lenkte Premierminister Netanyahu ein

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Offenbar war sich der sonst doch eher «medienverrückte» israelische Regierungschef Binyamin Netanyahu seiner Sache mit einem Male nicht mehr so sicher, sprach doch praktisch alles dafür, dass der Premierminister an der für Mittwoch Nachmittag geplanten Debatte im Obersten Gerichtshof mit Übertragung an das ganze Volk – auch dies in dieser Form ein Novum für Israel – für ihn persönlich zu einer Riesenschlappe entwickeln dürfte.

Die Allgemeinheit hat nämlich die Nase gestrichen voll, laufend für persönliche Zwecke von Politikern missbraucht zu werden. Zuviele Probleme von nationalem Gewicht harren derzeit einer Lösung, zuoberst auf der Liste die Bildung einer entscheidungsfähigen und –willigen israelischen Regierung.

So machte am Mittwoch Mittag alles den Anschein, als ob Netanyahu einlenken würde. Er gab nämlich grünes Licht für die Ernennung von Benny Gantz (Blauweiß) zum Justizminister des Landes. Ob der Regierungschef tatsächlich «Teschuwa» gemacht hat oder ob sich hinter dem Einlenken eine weitere Finte des Premiers und seiner Gefolgschaft verbirgt, bleibe zunächst dahingestellt.

Tatsache ist, dass Gantz möglicherweise noch heute Mittwoch der alt-neue israelische Justizminister Israels sein wird. Netanyahu hingegen wird mindestens bis zur Veröffentlichung seiner Memoiren warten, bevor er dem Volk (mehr oder weniger) glaubhaft wird erklären können, warum ein Mann, den er gestern noch mit aller Macht als Justizminister ablehnte, nur einen Tag später schon auf genau diesem Stuhle sitzt. Netanyahus hat durch diesen Entscheid in letzter Minute einerseits ein Stückchen seiner schon arg angekratzten Ehre retten können, andererseits sollte er möglichst umgehend über seine Bücher gehen. Von dieser Ehre ist nämlich summa summarum nicht mehr allzu viel übrig. Politischer Alltag? Wenn dem tatsächlich so ist, werden die Israeli sich auf eine Reihe trüber Alltage gefasst machen müssen.

Foto:
Benny Gantz (links) und Binyamin Netanyahu auf einer Aufnahme aus dem vergangenen Jahr.
©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 28. 4. 2021