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Kategorie: Zeitgeschehen
Rauch uber dem Gaza Streifen 1In Palästina brennt es wieder

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Am achten Tag der Schöpfung teilte Elohim die Erde auf. Er gestand dem von ihm erwählten Volk das kleine Land zu, wo Milch und Honig fließen, nachdem es die ansässigen Kanaanäer vertrieben hatte, und überließ den anderen Völkern den großen Rest.

Zugegeben: Das ist eine fiktive Ergänzung der ebenfalls fiktiven, also nicht historischen Schöpfungsberichte der hebräischen Bibel. Aber sie trifft die Realität. Denn einer solch infantilen, sogar reaktionären Interpretation religiöser Offenbarungen hängt die jüdische Orthodoxie nach wie vor an. Ihr Verständnis deckt sich in keinem Punkt mit der Theologie der großen jüdischen Denker. Nicht mit dem von Philo, Maimonides oder Spinoza und auch nicht mit dem liberalen und reformierten Judentum, wie es in Deutschland seit der Aufklärung bis zur Nazi-Diktatur typisch war. Ich denke an Moses Mendelssohn, Abraham Geiger, Hermann Cohen, Leo Baeck und auch an Erich Fromm.

Orthodoxe finden üblicherweise ihre Entsprechung in den Fundamentalisten anderer Konfessionen, sie bedingen sich gegenseitig – trotz ihrer Konkurrenz zueinander und sogar trotz der Verachtung, die sie gegenüber den anderen empfinden. So in der islamisch-fundamentalistischen Welt, wo der völlig unhistorische Umgang mit religiösem Glauben ebenfalls zur Begründung territorialer Ansprüche von autoritären Regimen herangezogen wird. Die verbrecherische Clique im Gaza-Streifen, propagandistisch und materiell unterstützt von Diktaturen anderer muslimischer Länder, die ihr eigenes Volk verheizt, greift die Steilvorlage von orthodoxen Siedlern in Israel auf, die arabische Bürger enteignen wollen. Gott habe das so vorherbestimmt. Ein derartig geballter Irrationalismus löst zwangsläufig gewaltsame Notwehrhandlungen aus, die ihrerseits ins Irrationale umschlagen und die – nicht zum ersten Mal – in Kriege mit weltweiten Folgen führen.

Die Sache mit Gott ist dem kritischen Verstand nicht vorbehaltlos zugänglich. Ein Gott, der lediglich im Glauben seiner Anhänger existiert, kann für den Nicht- oder Andersgläubigen keine Autorität besitzen. Denn andernfalls setzte es die Bereitschaft voraus, eine Dimension für real zu erklären, über die sich nach den Regeln der Logik nichts aussagen lässt. Ein Gott als Schöpfer, Erblasser und Notar der Weltgeschichte, nach dessen Allmacht, Willen und Beurkundung sich alle zu richten haben, ist in der säkularen Wirklichkeit nicht denkbar und kann folglich nicht relevant sein für das Handeln von Menschen. Letzteres vollzieht sich nach Regeln, die auf historischen Erfahrungen, wissenschaftlicher Erkenntnis und gewachsenen ethischen Grundsätzen aufbauen. Diesen stehen sowohl die jüdische Orthodoxie als auch der islamische Fundamentalismus diametral entgegen. Und das gilt ebenso für erzkonservative Strömungen im Christentum.

Denn diese institutionalisierte Religion mit ihrer allein seligmachenden, nach Weltherrschaft gierenden Katholischen Kirche, hatte einst die Welt geschieden in eine irdische Sphäre und in eine jenseitige. Im Hier und Jetzt wurde die Unvollkommenheit heiliggesprochen, was auf die Tolerierung gesellschaftlich akzeptierter Sünde hinauslief. Theologisch begründet wurde und wird das mit der Zwei-Reiche-Lehre, die auch von den Lutheranern rezipiert wird. Die endgültige Befreiung vom Bösen wurde dem erlösenden Christus, Sohn des allmächtigen Gottes, anheimgestellt, dessen Wiederkunft aber auf sich warten lässt. Was wiederum kein Wunder ist. Zu sehr erinnert die verklärte Figur des Jesus an die altgriechische Götterwelt mit ihren Kopfgeburten, ihren Ränkespielen nach Menschenart, ihrer Fixiertheit auf Blut und Opfertod.

Das christliche Abendland hat nicht nur überholte Gottesvorstellungen hervorgebracht, die eigentlich kennzeichnend für die Alte Welt waren. Es hat auch eine Ethik begünstigt, die für die diesseitige Welt andere, nämlich laxere Maßstäbe setzt als für eine jenseitige. Typisch dafür ist das falsch verstandene alttestamentliche Gebot „Macht euch die Erde untertan“. Exakt an dieser Stelle erweist sich eine Theologie, welcher es an der Fähigkeit mangelt, religiöse Legenden historisch einzuordnen, als Brücke zum Kapitalismus. Die besitzenden und profitorientierten Klassen kommen längst ohne die Inanspruchnahme von Glaubenslehren aus. Ihnen reichen die säkulare Gesetze, in denen sich ihre Interessen spiegeln. Die widerrechtliche private Aneignung der natürlichen Welt – einschließlich der von Grund und Boden – hat vieles gemeinsam mit den Begehrlichkeiten von Religionen, über den Menschen zu bestimmen und ihn faktisch entmündigen zu wollen. Hierin liegt eine der Hauptursachen für die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Aber ebenso für Naturkatastrophen, Krieg, Völkermord und rassistischen Genozid.

Der neu aufgeflammte Palästinakonflikt ist ein typisches Beispiel dafür, wenn das, was weder rational noch ethisch begründbar ist, zum Motor eines verhängnisvollen politisch-gesellschaftlichen Konflikts wird.

Foto:
Rauch über dem Gaza-Streifen
© ZDF