Bildschirmfoto 2021 05 14 um 00.04.18Israel in Flammen

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Das Geschehen in der Nacht auf den Donnerstag lässt sich am ehesten umschreiben mit den schon bald banalen Worten: «Katastrophe wie gehabt». Schwerer Raketenbeschuss landesweit, Tote und Verletzte. Die Menschen befinden sich zwischen zwei Fronten, eingeklemmt in einem ethnischen Flächenbrand.

Der IDF-Offizier Omer Tabib, 21, hätte im nächsten Monat aus dem Dienst entlassen werden sollen. Stattdessen fiel er Mittwoch Abend in einem sinnlosen, immer verbissener geführten, nicht deklarierten Krieg. In Sderot starb ein erst sechsjähriger Junge, als der Splitter einer Rakete sich den Weg ins Kinderschlafzimmer bahnte. Die Welt ist in ihren Reaktionen auf das Geschehen immer noch darauf bedacht, ein neutrales Gleichgewicht zu bewahren und nennt die toten und verletzten Israeli weiterhin in einem Atemzug mit den zahllosen palästinensischen Terror-Raketen, die die ganze Nacht über vor allem im Süden auf die Dörfer und Kibbuzim von Zivilisten fielen.

Immerhin bestätigen einige der Beobachter das Recht auf Verteidigung der Israeli. Auf der palästinensischen Seite notierte man bis Donnerstagmorgen 67 Tote und über 400 Verletzte – all das in einer einzigen Nacht. In Israels Öffentlichkeit schenkt man den Berichten vom Einverständnis der Hamas zum Waffenstillstand keinen Glauben. Die IDF sind an einer solchen Entwicklung sowieso nicht interessiert, jetzt, da man so recht in den Schwung der Rache geraten ist. Die israelische Armee legte in Gaza zwei Hochhäuser platt.

Für Israel entwickelt sich das Geschehen zusehens zu einem Krieg zwischen zwei Fronten. Hier der nicht nachlassende Raketenregen, der zeitweise die Schließung des internationalen Flughafens bei Tel Aviv erfordert. Dort die zunehmende Verbissenheit, mit dem sich jüdische und arabische Israeli bekämpfen. Weder Synagogen auf dieser Seite, noch Moscheen auf der anderen Seite sind sicher vor der Volkswut, die in vielen Fällen nicht von Ortsansässigen geschürt wird, sondern von Aufwieglern aus dem Norden und dem Süden Israels. Die Polizei verhaftet hunderte von Menschen, doch deren Reservoir an Kämpfern und Aufhetzern scheint unendlich gross zu sein, gewachsen in jahrelanger Entfremdung. Heute spricht man schon von «Pogromen des Jahres 2021». Dazwischen die Meldung von Angriffen der Luftwaffe auf Terrorziele in Khan Yunis oder in Gaza-Stadt. In Petach Tikva melden die Behörden nach Strassenkämpfen zwischen Juden und Arabern dutzende israelische Verletzte, auch Polizisten, Unmengen zerstörter Fahrzeuge und geplünderter Geschäfte. Die Zeitungen und das Fernsehen sind voller trauriger Bilder aus Akko, Lod, Yafo und Haifa – die Liste der Schande wird stets länger, und niemand scheint entschlossen zu sein, sie zu stoppen.

Wie aus einer Sammlung fauler Witze muten angesichts der Wirklichkeit voller Blut und Feuer die Schlagzeilen von den nach wie vor erfolglosen Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen israelischen Regierung an. Wer wird es denn auch wagen, in diesem Inferno des Wahnsinns Binyamin Netanyahu die politische Stirne zu bieten? Der Noch-Premierminister kann es sich leisten, sich in sonorer Stimme hin und wieder zu Worte zu melden, den Drohfinger zu heben und ab und zu fotogene Besuche beim gepeinigten Volk zu zelebrieren. Das Geschehen an den Fronten spielt zu seinen Gunsten, ohne dass er auch nur die geringste Kompromisse einzugehen hätte. Von einer arabischen Beteiligung an der neuen israelischen Regierung spricht zur Zeit niemand mehr. Wie soll diese Beteiligung in der Praxis denn auch aussehen? Bilder von den arabischen Abgeordneten beim Aufräumen des Kampfschutts der letzten Nacht?

Der ethnische Flächenbrand, der sich in Israel und den Palästinensergebieten breit macht, scheint unaufhaltsam zu sein. Was bleibt, sind Tränen der Wut, Verzweiflung und des Schmerzens, doch mit diesen alleine lässt sich keine Zukunft aufbauen.

Foto:
Der getötete IDF-Offizier Omer Tabib
©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 13. 5. 2021