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Kategorie: Zeitgeschehen
gendersternchenEine Sozialdemokratin wirft ihrer Partei mangelndes Sprach- und Politikbewusstsein vor

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eine Frankfurterin, Mitglied der SPD, wurde zum Treffen des örtlichen wirtschaftspolitischen Gesprächskreises der Partei eingeladen.

Angesprochen wurde sie in der E-Mail mit „Liebe Wirtschaftspolitiker*innen der Frankfurter SPD“. Das löste bei ihr Verärgerung aus und sie protestierte gegen diese sprachliche Geringschätzung ihrer Person. Sie überließ mir sowohl die Einladung als auch ihre Antwort und bat mich, den Vorgang öffentlich zu machen. Dem Wunsch komme ich gern nach, ebenso der Bitte, ihren Namen nicht zu nennen (sie heißt in diesem Beitrag Barbara). Mit ihrer Erlaubnis gestatte ich mir eine jeweils kurze Analyse und Kommentierung.

Denn der Fall ist typisch für die Versuche einer bestimmten Schickeria, sich die Bedeutungsinhalte der deutschen Sprache aneignen zu wollen, um dadurch sehr eigene Interessen zu verfolgen. Diese Interessen können aus dem gesellschaftlichen und politischen Wettstreit hervorgehen, aber auch rein kommerzielle Ziele verfolgen. Die Praxis belegt, dass das sogenannte Gendern der kosmetischen Verschleierung all dessen dient, was eigentlich tagtäglich konkret zur Sprache gebracht werden müsste. Dabei kann Sprache als solche weder gerecht noch ungerecht sein; allein schon, weil sie – je nach Sachlage - sowohl abstrakt als auch konkret sein muss.

Das aus einer jahrhundertelangen Entwicklung hervorgegangene generische Maskulinum erweist sich dabei als ein sehr präzises, weil faktisch neutrales Instrument. Wer es ersetzen will, muss bessere Lösungen anbieten als Wortzusammenfügungen, die mittels Sternchen, Strich oder Doppelpunkt aneinander gekuppelt sind.
Wobei es auffällt, dass beim Gendern die weibliche Form immer der männlichen angehängt wird. So bleibt die Frau im orthodoxen Feminismus unwiderruflich eine Männin oder, wie Eva des Alten Testaments, auf ewig eine Rippe Adams.

Gerecht ist Sprache immer dann, wenn sie Recht und Unrecht eindeutig benennt. Das spricht nicht gegen die Notwendigkeit, lebendig zu bleiben. Sie wird sich im Zuge gesellschaftlicher Veränderungen, aber auch in der Auseinandersetzung mit den Bedingungen der natürlichen Umwelt, immer Neuem zuwenden und Überkommenes abstreifen müssen. Aber dieser Prozess muss die genuine Fortsetzung der geregelten und bewährten Sprachpraxis sein und dem geschulten Sprachverständnis der Bevölkerung entsprechen.

Barbara adressierte ihre E-Mail an den genannten Arbeitskreis, wandte sich aber an die SPD insgesamt:

„Liebe Genossinnen und Genossen, ich bin keine »*in« und lege Wert darauf, gemäß den Regeln der deutschen Grammatik und Rechtschreibung (also dem amtlichen Sprachgebrauch, der für Schulen, Universitäten und Behörden verbindlich ist) angesprochen zu werden. Diese wurden vor 25 Jahren in einer internationalen Vereinbarung, der Rechtschreibreform, neu festgelegt. Beteiligt waren Deutschland, Österreich, die Schweiz und Lichtenstein unter Einbeziehung der deutschsprachigen Minderheiten in Belgien und Luxemburg. Ein paritätisch besetzter Rat für deutsche Rechtschreibung verfolgt seither die Sprachentwicklung und schlägt gegebenenfalls Änderungen vor. Eine Weiterentwicklung kann nur aus der jeweils korrekt gesprochenen und geschriebenen Sprache hervorgehen, bedarf der Akzeptanz durch die jeweilige Bevölkerung und müsste ein international abgestimmter Akt sein.

Den letzten Versuch, die Deutungshoheit über die Sprache aus ideologischen Gründen zu erringen, entstammte der Giftküche von Joseph Goebbels und endete bekanntlich in einer Katastrophe – weil das NS-System sämtliche Werte umgewertet hat. Welche gesellschaftlich relevanten Schlüsse daraus gezogen werden müssen, kann man beispielsweise nachlesen im »Wörterbuch des Unmenschen« (Dolf Sternberger; Gerhard Storz; Wilhelm E. Süskind) und in Victor Klemperers »Lingua Tertii Imperii«.

Sprache wird der Gleichbehandlung der Geschlechter dann gerecht, wenn sie nichts verschweigt und nichts beschönigt. Wenn das, was sich aussagen lässt, klar gesagt werden kann (Ludwig Wittgenstein). Gegenderte Sprache hingegen reduziert die im gesellschaftlichen Diskurs notwendige Komplexität. In der Publizistik erleben wir aktuell, wie sie zu einem Niedergang des investigativen Journalismus führt (beispielsweise beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder in der Frankfurter Rundschau). Ohne diesen investigativen Journalismus, der ein unverzichtbarer Bestandteil der Demokratie ist, gehen der SPD wichtige Bündnispartner verloren – und Wähler.

Deswegen nehmt bitte zur Kenntnis: Ich erwarte von der SPD kein bildungsfernes Gesabber, sondern klares Denken, klares Sprechen und Schreiben. Über diese Erwartung diskutiere ich auch nicht mit euch. Wenn die Partei das nicht akzeptiert, akzeptiere ich nicht länger die Partei.“

Als aufmerksamer Beobachter der Sprachentwicklung beobachte ich das, was Barbara bei der SPD beklagt, auch bei anderen Parteien, insbesondere bei Grünen und Linken. Mutmaßlich ist es kein Zufall, dass es sich um Parteien handelt, die inhaltlich wenig zu sagen haben oder sich nicht trauen und sich stattdessen auf die äußere Verpackung ihrer dürren Botschaften konzentrieren. Mir ist auch bewusst, dass sich die rechtsextreme AfD zur Bewahrerin der deutschen Sprache aufplustert. Doch warum sollte ich, warum sollten andere, auf das Gekläffe von Dorfkötern hören und diesen das Thema Gendern überlassen?

Jeder, der seinen Verstand nicht verloren hat, weiß, dass elementare politische Fragen zur Lösung anstehen. Etwa das Eigentumsrecht an Grund und Boden, die Verhinderung einer Klimakatastrophe, ein von Grund auf reformiertes Gesundheitswesen, die Teilhabe sämtlicher Bürger am gesellschaftlichen Diskurs, der Vorrang des Gemeinwohls gegenüber Privatinteressen, der richtige Umgang mit einer neu entstehenden digitalen Infrastruktur, das richtige Maß an Mobilität, die Verantwortung für arme Länder, deren Bevölkerungen unsere Drecksarbeit erledigen usw. usw.

Lange Zeit habe ich darauf gesetzt, dass Literatur, die Kultur allgemein, in Verbindung mit der Wissenschaft, die tatsächlich Wissen schafft, Garanten für die humane Gestaltung der Zukunft sind. Doch weit gefehlt. Wenn ich Verlagsvorschauen oder den Newsletter des Börsenblatts des deutschen Buchhandels durchlese, stoße ich immer häufiger auf ein inhaltsleeres Schwafeldioxid, das zu allem Überdruss auch noch gegendert ist. Man merkt den Verfassern dieser Artikel an, dass sie in Bereichen arbeiten, die ihnen intellektuell verschlossen sind. Betriebswirtschaftsstudium plus Gastrolle in einem Start-up plus Lehrgang an einer Fachschule für Verlagswirtschaft reichen für den Kulturbetrieb (der eben kein Betrieb ist) nicht aus. Man wird auch nicht dadurch Schriftsteller, wenn man das Zehnfingersystem für Maschinenschreiben lernt. Politik und Kultur scheinen derzeit von ausgelutschten, blutleeren Gestalten geprägt zu sein, die sich vielfach hinter Gender-Stereotypen verbergen. Das sollte, das muss geändert werden.

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Gendersternchen
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