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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2021 06 06 um 23.08.05Hamas-Drohungen in Israel 

Jacques Ungar

Jerusalem (Weltexpresso) - Der durch die Jerusalemer Altstadt führende Flaggenmarsch vom Donnerstag könnte ein neuer Stein des Anstosses im ohnehin bereits angespannten Verhältnis zwischen Juden und Palästinensern in der israelischen Hauptstadt werden.

Der umstrittene Flaggenmarsch durch Jerusalems Altstadt, um dessen Bewilligung israelische Nationalisten und Rechtsextremisten bei den Behörden vorstellig geworden sind und der zuerst schon letzte Woche hätte stattfinden sollen, wurde neu auf den kommenden Donnerstag angesetzt. Die offizielle Bewilligung steht jedoch noch aus.

Die Wogen gehen aber bereits so hoch, als befänden Befürworter und Gegner sich bereits mitten im Kampf. Die Terrororganisation Hamas droht bereits damit, die Stadt in Grund und Boden zu brennen, sollten die Flaggen am Donnerstag durch die Stadt getragen werden. Israels Verteidigungsminister Benny Gantz hielt am Sonntag kurze Beratungen zum Thema ab, wobei nicht wenige Teilnehmer der Gesprächsrunde zu einer Annulierung des Anlasses rieten. Bei Ende der Gespräche gelangte Gantz zum Schluss, die Parade in Jerusalem diese Woche nicht durchführen zu lassen. Das könnte, so meinte er, die laufenden politischen Prozesse verkomplizieren. Ein endgültiger Entscheid soll im Laufe der Woche gefällt werden.

Am 11. Mai war der traditionelle Flaggenmatsch verschoben worden, nachdem im Vorfeld die Spannungen am Tempelberg und im Sheik-Jarrah-Viertel gestiegen waren. Verschiedene Jerusalemer Politiker hatten sich an Polizei-Chefinspektor Kobi Shabtai mit der Bitte gewendet, die Abhaltung des Marsches zu verhindern, da er zu sehr mit einer politischen Agenda belastet sei und  zu weiterer Gewalt führen könnte. Der Abgeordnete Nitzan Horowitz (Meretz) attackierte Premier Netanyahu, der versuche, «auf seinem Weg heraus aus der Premier-Residenz an der Jerusalemer Balfour-Strasse das Land niederzubrennen»: «Netanyahu hat den Verstand verloren und entwickelt sich zu einer echten Gefahr für die Sicherheit von Israels Bürgern».

Die nächsten Tagen dürften die ohnehin angespannte Atmosphäre in Jerusalem noch weiter anheizen. Einige palästinensische Bewohner des Sheik-Jarrah-Viertels warten auf den Beschluss des Obersten Gerichtshofs gegen die drohende Ausquartierung aus dem Viertel. Dann berichten die Polizisten von intensiven Zusammenstössen zwischen Gottesdiestbesuchern und Randalierern bei der Al-Aqsa-Moschee. Die Polizei benutzte Granaten in der Moschee, um Protestierende zu entfernen, die Steine in der Moschee angehäuft hatten, um sie als Waffen einzusetzen.

In den Tagen, in denen das neue Kabinett der israelischen Regierung auf die Beine gestellt werden soll, wären Politiker und die Polizei gut beraten, die Stimmung unter Kontrolle zu halten. Leider ist aber gerade die Kabinettsbildung ein «gefundenes  Fressen» für Freund und Feind, um das Zustandekommen jener Ruhe zu verhindern, auf die die Politiker in Jerusalem so dringend angewiesen wären.


Foto:
Immer wieder sorgen Siedler und Nationalisten mit den Flaggenmärschen für Unruhe
©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. 6. 2021