INSM Anzeige Annalena StaatsreligionEine Hetzanzeige mit antisemitischem Unterton gegen Annalena Baerbock und die Grünen

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Bildmotiv und Aussagen dieser Agitation hätten auch im NS-Blatt „Der Stürmer“ stehen können.

Denn der „Führer“ schützte bekanntlich den Kapitalismus, obwohl er der Kopf einer sogenannten Arbeiterpartei war. Seine Nachfolger im Geiste tarnen sich in ähnlicher Weise, nennen sich u.a. „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, abgekürzt INSM. Das könnte auch für „Interessensgemeinschaft national-sozialistischer Monopolkapitalisten“ stehen, was der Sache vermutlich sehr nahekommt.

Es geht um eine ganzseitige Anzeige, die am 11. Juni in überregionalen Tageszeitungen wie der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht wurde – pünktlich zum Bundesparteitag der Grünen. Sie zeigt ein retuschiertes Foto der Grünen-Vorsitzenden und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Ihr wurde ein Gewand angezogen, das an den biblischen Moses erinnern soll. In Händen hält sie zwei Steintafeln, die denen der Zehn Gebote nachempfunden sind und sämtliche geschürten Vorurteile gegen soziale Umgestaltungen, gar Umverteilungen, enthält. Der einkopierte Titel lautet: „Wir brauchen keine Staatsreligion“.

Bewusst werden antijüdische Ressentiments verwendet. Das über Jahrhunderte als Gesetzesreligion verunglimpfte Judentum wird instrumentalisiert im Kampf gegen eine von Großunternehmen befürchtete Regulierung der Wirtschaft vor dem Hintergrund der Klimakrise. Im unteren Abschnitt der Bildmontage wird denn auch Klartext gesprochen:

„Die Verbote der Grünen lähmen unser Land. Das Gebot der Stunde aber ist der kreative Wettbewerb um die besten Ideen. Dafür braucht es Raum für Freiheit und Verantwortung. Das ist der Kern von sozialer Marktwirtschaft. Verbote haben noch nie ins gelobte Land geführt.“

Die Flucht der Israeliten aus der Knechtschaft in Ägypten in das gelobte Land war zumindest in der literarischen Verarbeitung, die in Exodus 20, Verse 1 bis 17, und in Deuteronomium 5, Verse 6 bis 21, nachzulesen sind, erfolgreich. Weil sich das Volk überwiegend an die Gebote und Verbote hielt. In Deuteronomium werden die zwei steinernen Tafeln erwähnt, die den Dekalog enthalten. Die eine Tafel führt die Gebote bzw. Verbote auf, die das Verhältnis Gottes mit den Menschen regelt („Ich bin der Herr, dein Gott, Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“). Die andere enthält die Regeln für das zwischenmenschliche Verhalten („Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“, „Du sollst nicht töten“, „Du sollst nicht ehebrechen“ usw.).

Aber so genau nehmen das die Schreiberlinge der INSM nicht. Sie appellieren an die offene und unterschwellige Voreingenommenheit von Menschen, um mit Hilfe des Antijudaismus der deutschen Bevölkerung jede Form von Humanität, gar von Sozialismus, auszutreiben. Und sie scheuen auch nicht davor zurück, von einer furchterregenden neuen Staatsreligion zu sprechen. Das Judentum und alles, was es hervorgebracht hat, wird unterschwellig als Quelle alles Bösen ausgegeben.

Beim Durchlesen der angeblichen Verbote, die Deutschland drohen könnten, falls die Grünen nach der Bundestagswahl die Kanzlerin stellen, erhält man einen Eindruck von der Angst, die in den Vorstandsetagen der Metall- und Elektroindustrie umgeht. Folglich wird nicht kunstvoll formuliert, sondern an die Dummheit appelliert. Ich habe mir erlaubt, die Phrasen kurz zu kommentieren:

1. Du darfst kein Verbrenner-Auto fahren.
Daran dürfte früher oder später kein Weg vorbeiführen. Die Diesel-Betrüger, also faktisch die gesamte Autoindustrie, haben diesen Wechsel in völliger Selbstüberschätzung mit eingeleitet.

2. Du darfst nicht fliegen.
Zumindest nicht mehr in dem Umfang wie bislang und auch nicht über Kurzstrecken.

3, Du darfst nicht am Freihandel teilnehmen.
An einem freien Handel jederzeit, aber nicht an einem, der die Teilnehmer wirtschaftlich und in ihren Rechten drangsaliert.

4.  Du darfst nicht schöner Wohnen.
Doch, aber nicht zu den Konditionen der Immobilienspekulanten.

5, Du darfst noch weniger von deinem Geld behalten, obwohl du jetzt schon hohe Steuern zahlst.
Anscheinend sind hier Milliardäre wie Quant gemeint. Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung dürfte das Problem nicht kennen.

6. Du darfst bei der Rente keine Rücksicht auf deine Kinder und Enkel nehmen.
Im Klartext: Begnüge Dich mit einer schmalen Rente (das verringert die Arbeitgeberbeteiligung an den Sozialkosten) und stirb früh!

7. Du darfst dich nicht in erster Linie auf dich verlassen. Der Staat weiß besser, was richtig für dich ist.
Der Staat ist bekanntlich die Gemeinschaft aller Bürger. Diese ist, bei guter Allgemeinbildung und hoher moralischer Integrität, durchaus vertrauenswürdig.

8. Du darfst deine Arbeitsverhältnisse nicht frei aushandeln.
Tatsächlich sollten befristete Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit und Tarifverträge unterhalb des Mindestlohns tabu sein.

9. Du darfst nicht hoffen, dass der Staat vernünftig mit deinen Steuern umgeht.
Falls die Bürger es schaffen, dass Lobbyismus und ähnliche Formen der außerparlamentarischen Einflussnahme verboten werden, darfst Du getrost vertrauen.

10. Du darfst nicht einmal daran denken, dass mit 10 Verboten Schluss ist...
Ein elftes Verbot könnte beispielsweise das Verbot des neoliberalen Kapitalismus sein. Ein zwölftes das Verbot des gewerblichen Immobilienhandels, ein dreizehntes das Verbot von Eigentumswohnungen, ein vierzehntes das Verbot der Veräußerung von Grund und Boden (das Klima oder die Natur gehören auch niemandem). Es gibt noch viele gute Ideen. Packen wir sie an!

Zugegeben: Das grüne Wahlprogramm gibt all das nicht her. Zwar beschreibt es sehr vage notwendige Veränderungen, aber es mangelt an konkreten Wegbeschreibungen. Vor allem an grundsätzlicher Infragestellung des Überkommenen. Vieles erscheint allzu naiv. Grundsätzlich würde man sich mehr Mut wünschen. Darüber ist mit Annalena Baerbock zu streiten. Aber bitte im Rahmen einer seriösen Streitkultur. Auf keinen Fall unter subkutaner Verabreichung von Antisemitismus und Antijudaismus.

Foto:
Anzeige „Wir brauchen keine Staatsreligion“
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