Bildschirmfoto 2021 07 17 um 00.21.47Telefonat zwischen dem türkischen Präsidenten Erdogan und dem neuen israelischen Präsidenten Herzog

Redaktion tachles

Jerusalem (WEltexpresso) - Das Telefonat zwischen dem türkischen Präsidenten Erdogan und dem neuen israelischen Präsidenten Herzog reiht sich ein in eine ganze Reihe von Bemühungen Erdogans, verbrannte Erde irgendwie auszubessern. Seit dem misslungenen Putschversuch gegen ihn vor fünf Jahren hat sich Erdogan vom Westen abgewandt. Der Grund: Der Westen habe ihn in der Zeit der höchsten Not im Stich gelassen.

Das wiederholt der Präsident, so begründet er auch, warum er sich in den letzten Jahren immer mehr Moskau, Peking, Teheran und Katar zugewandt hat. Inzwischen aber musste Erdogan einsehen, dass seine außenpolitische Strategie hinten und vorne nicht funktioniert. Dass er den Einfluss, den er mit Hilfe seiner neuen «Partner» im Nahen Osten und in der muslimischen Welt gewinnen wollte, einfach nicht erlangt, ja schlimmer noch, dass sein Land wirtschaftlich zugrunde geht. Also zieht er los, um sich mit seinen alten Freunden zu versöhnen. Das scheint er zu hoffen.

Aber was ist an seinem Vorwurf, der Westen habe ihn im Stich gelassen? Simon A. Waldman vom renommierten Londoner King’s College weist in einem eindrucksvollen Artikel in der linksliberalen israelischen Tageszeitung «Haaretz» nach, dass die Mär des im Stich gelassenen Erdogan einfach nicht stimmt. Minutiös wird nacherzählt, wie schnell sich die EU, die USA und viele europäische Staaten meldeten und Solidarität mit der rechtmässig gewählten Regierung zeigten, den Putsch verurteilten und sich auch an die Seite des türkischen Volkes und seiner demokratischen Institutionen stellten.

Vor allem über Twitter kamen diese Bekundungen und sie kamen früher als Solidaritätsgesten aus Moskau oder Peking. Dass nach dem Putsch einige westliche Politiker wie der damalige US-Präsident Barack Obama zögerten, bis sie Erdogan anriefen, lag daran, dass sie ein Problem hatten, wie radikal und vor allem ungesetzlich und undemokratisch der türkische Präsident gegen seine tatsächlichen und angeblichen Gegner vorging. Und sie hatten auch Probleme mit seiner zunehmend autokratischen Art zu herrschen, die allmählich die Pressefreiheit und viele andere bürgerliche Rechte einschränkten und bedrohten. Doch letztlich zeigte sich der Westen mit Erdogan solidarisch. Und seine Abwendung vom Westen hatte nichts mit dessen Verhalten zu tun, sondern mit der völlig verkehrten Annahme, die neuen Partner könnten ihm schneller zum Totalaufstieg als neuer Sultan der muslimischen Welt verhelfen. Erdogan hat sich verrechnet. Er weiss das heute. Und er versucht das Rad der Zeit zurückzudrehen. Gelungen ist ihm das bislang aber noch nicht.

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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 16. Juli  2021