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Kategorie: Zeitgeschehen
Chaos auf dem Flughafen von Kabul 72.dpi 1Politiker versagen vor ihren Aufgaben

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Nichts war gut in Afghanistan, nichts ist gut in Afghanistan.

Und es hat den Anschein, dass sich daran in der nächsten Zukunft nichts ändern wird. Die Taliban konnten die Macht übernehmen, weil die westlichen Demokratien, allen voran die USA, ihnen das zerrüttete und ausgebeutete Land zur freien Verfügung überlassen haben.

Vier Jahrzehnte zuvor waren die Vorgänger der Taliban, die Mudschahedin, im Stellvertreterkrieg gegen die in Afghanistan einmarschierten Sowjets von den USA und einigen ihrer Verbündeten mit Geld und Waffen unterstützt worden. Erst nach den Anschlägen vom 11. September 2001 realisierten die USA die geopolitischen Gefahren, die aus den inneren Konflikten in einer der ärmsten Regionen der Welt erwachsen könnten. Denn die politisch und sozial Deklassierten erkennen nicht die Ursachen ihres Elends, sie kämpfen nicht für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, sondern für autoritäre, menschenverachtende Herrschaftsstrukturen, die ihre Legitimation aus einem neu belebten islamischen Fundamentalismus herleiten. Dieser manifestiert sich auch in der Terrorbewegung Al-Qaida, die dem kapitalistischen Imperialismus nur die dünne Suppe der Religion entgegensetzt, also ein irdisches Jammertal mit Selbstmordattentaten und der nicht belegbaren Hoffnung auf ein Jenseits. Die Ideologen des Islamismus sitzen in Riad, Islamabad und Teheran.

Die Antwort auf den 11.09.2001 hätte, der Logik von Militärs zufolge, ein Krieg gegen Saudi-Arabien, Pakistan und gegen Afghanistans Taliban sein müssen; unter Umständen auch gegen die Mullahs im Iran. Aber in Washington wurden die Fäden seinerzeit von Dick Cheney und Donald Rumsfeld gezogen, die den Verlust der amerikanischen Rüstungsgeschäfte mit arabischen Staaten, vor allem mit Saudi-Arabien und den Emiraten, befürchteten.

Deutschland als NATO-Partner hatte sich in diesen „Krieg gegen den Terror“ hineinziehen lassen und war von Anfang an beteiligt an der Festlegung unrealistischer Ziele. Das Schlagwort von der Verteidigung der deutschen Demokratie am Hindukusch, von Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) damals leichtfertig verkündet, lenkte ab vom Blick auf die Opfer, relativierte die 59 zu Tode gekommenen deutschen Soldaten, die Aussicht der Bevölkerung auf notwendige Veränderungen und die vergeblichen Hoffnungen junger afghanischer Frauen auf Menschenrechte.
Jetzt, nach dem übereilten Rückzug des Westens, ist man in Berlin noch nicht einmal dazu fähig, ein rasches und umfassendes Evakuierungsprogramm durchzuführen; man hatte trotz eindringlicher Warnungen aus der eigenen Botschaft in Kabul noch nicht einmal einen Notfallplan vorbereitet.

Das Afghanistan-Desaster passt zu anderen Unzulänglichkeiten und Unzumutbarkeiten. Als in Griechenland verheerende Waldbrände ausbrachen, reagierten andere EU-Länder rasch mit der Entsendung von Feuerwehren. Auch in Deutschland wurde ein Hilfs-Konvoi zusammengestellt. Der traf aber erst dort ein, als es kaum noch etwas zu löschen gab.
Bei der Aufarbeitung der Ursachen für die Flutkatastrophe wird allmählich deutlich, dass der Katastrophenschutz auf solche extremen Ereignisse schlecht vorbereitet war. Offenbar sind die Verantwortlichen der Meinung, dass die Auswirkungen des Klimawandels immer nur die anderen treffen.

Die Krone des Versagens gebührt jedoch dem anfänglich durchaus effizienten und vorbildlichen Kampf gegen das Corona-Virus. Doch das Schlechtreden von AstraZeneca, das ständige und Auf und Ab von Restriktionen und Lockerungen, die unfruchtbare Debatte über angeblich ausgesetzte Freiheitsrechte, die nicht konsequente Durchführung der Schutzimpfung, das Tolerieren von Urlaubsreisen trotz keiner bzw. nicht vollständiger Impfung stellen die demokratischen Institutionen infrage. Da man mit Covid-19 nicht verhandeln kann, so wenig wie mit den Taliban, könnte uns alsbald eine vierte Welle ins Haus stehen. Stattdessen im Überfluss unergiebige Diskussionen, bevorzugt in Talk-Shows, über den Wert von Inzidenzen. Weiß man doch, dass jede leichtfertig verursachte bzw. in Kauf genommene Infektion eine zu viel ist.

Bei der Bundestagswahl am 26. September könnte es ein Ergebnis geben, das einer überlieferten Weisheit nahekommt: Die dümmsten Bauern ernten die dicksten Kartoffeln. Was wiederum Friedrich Engels Ansicht bestätigen würde, dass die kapitalistische Gesellschaft auf die politische Bewusstlosigkeit der Mehrheit ihrer Mitglieder angewiesen ist.

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Chaos auf dem Flughafen von Kabul
© tagesschau.de
© Text: K.P.M. Non-Profit-Redaktion, Frankfurt a.M. 2021