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Kategorie: Zeitgeschehen
bpb.deAuslandseinsätze sind verfassungswidrig – sagt ein namhafter Jurist

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) - Es gibt Töne, die Mauern einstürzen und Staaten zusammenbrechen lassen, so wie der legendäre Ruf „Wir sind das Volk“, der nichts gefordert und nichts verurteilt, sondern nur etwas festgestellt hat, das nicht zu bestreiten war. Solche Töne schlägt auch Heribert Prantl an. „Nichts von dem, was die Bundeswehr im Ausland macht, ist im Grundgesetz zu finden“, schreibt er in der Süddeutschen Zeitung“ vom 28./29. August, und niemand widerspricht. Dabei enthält das, was so harmlos daherkommt, eine ganz ungeheuerliche Feststellung: Alle Beteiligten an Auslandseinsätzen der Bundeswehr bewegen sich außerhalb des Grundgesetzes, sind also Verfassungsbrecher.

Prantl weiß, wovon er spricht. Er hat Jura studiert. Seine Aussage steht in einem Aufsatz zum 70jährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts und er nimmt Karlsruhe von seiner schneidenden Kritik auch nicht aus. Schleichend und ohne Verfassungsänderung sei die Bundeswehr in eine Kriseninterventionsarmee verwandelt worden. Die Tätigkeit der Truppe und ihre Aufgabenbeschreibung in der Verfassung hätten nichts mehr miteinander zu tun.

Der Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung wirft dem Gericht vor, es habe die verfassungsrechtlichen Probleme, die die Auslandseinsätze mit sich brächten, schleifen lassen. Unabhängig davon, wie man zu solchen Einssätzen steht, ob man sie begrüße oder ablehne: Im Grundgesetz stehe davon nichts. Der zentrale Satz dort laute: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Und: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“

Als es Anfang der 1990er Jahre darum ging, die Auslandseinsätze zu legitimieren, handelte das Bundesverfassungsgericht gemäß Staatsräson und dem Motto: Wasch’ mir den Pelz, aber mach’ mich nicht nass. Es las etwas aus der Verfassung heraus, das nicht drin steht und erlaubte der Bundeswehr die Teilnahme an Missionen, denen ein Mandat des UN-Sicherheitsrates zugrunde liegt und die vom Bundestag beschlossen wurden.

Dreißig Jahre danach schreibt Prantl, wenn es um Leben und Tod geht, reiche es nicht, den Verteidigungsbegriff einfach neu zu definieren. Das Gericht hätte auf die Verfassungswidrigkeit der Einsätze hinweisen und verlangen müssen, für die neue Wehrpolitik die Verfassung zu ändern. Der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan lenke den Blick  „neu auf ein schon altes Karlsruhe Elend“. Das Grundgesetz sei heute der blinde Spiegel der Bundeswehr. Sie schaue dort hinein – und sehe sich nicht.

Denkwürdige 108 Druckseiten brauchte das Bundesverfassungsgericht, um im  Out-of-Area-Urteil vom 12. Juni 1994 zu begründen, dass deutsche Soldaten unter gewissen Voraussetzungen außerhalb Deutschland für Zwecke eingesetzt werden dürfen, die nichts mit der Landesverteidigung zu tun haben. Für eine Grundgesetzänderung bedarf es einer Zweidrittelmehr im Bundestag und im Bundesrat. Kaum vorstellbar, dass sie jemals zustande kommt. Die Feststellung, dass nichts von dem, was die Bundeswehr im Ausland macht, im Grundgesetz zu finden ist, sollte alle alarmieren.

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