Theaterdoppelanlage Frankfurt 72 dpiTheaterbauten mit und ohne Zukunft

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Frankfurter – Theaterdoppelanlage aus Schauspielhaus und Oper wurde 1963 in Betrieb genommen.

Burgtheater Wien 72 dpi58 Jahre danach gilt sie endgültig als Sanierungsfall. Eine Instandsetzung wäre nach Einschätzung der politisch Verantwortlichen nicht nachhaltig und im Vergleich zu einem Neubau zu teuer. Vergleichbare Kulturbauten wie das Schauspielhaus Bochum, 1953 neu eröffnet, oder das Wiener Burgtheater, 1955 wieder eingeweiht, erweisen sich bis heute als stabile Gebäude. Obwohl auch sie auf den Fundamenten der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Vorgängerbauten errichtet wurden. Vieles deutet darauf hin, dass man sich in Bochum und Wien der kulturellen Bedeutung solcher Häuser von Anfang an bewusst war und ihre materielle Substanz nicht vernachlässigte.

Schauspiel Bochum 72 dpiIn Bochum, das Frankfurt geografisch näher liegt als Wien und wo viele Schauspieler engagiert waren, die heute auf den Städtischen Bühnen auftreten, würde kein Politiker (die Rechtsradikalen ausgenommen) es wagen, sowohl das Gebäude als auch den Standort infrage zu stellen. Und obwohl Bochum während der letzten 45 Jahre einen mehrphasigen wirtschaftlichen Strukturwandel durchleben musste (Kohlebergbau, Opel und Nokia sind verschwunden), war das Geld für eine laufende Wartung der Anlagen vorhanden. Baulichen Sanierungsbedarf in dem Umfang, wie er sich in Frankfurt aufgestaut hat, kennt man dort nicht. Frankfurts Intendant Anselm Weber, der davor in gleicher Position in Bochum tätig war, sollte das bekannt sein; es bleibt sein Geheimnis, warum er dazu offiziell schweigt.

Die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung und den Magistrat interessiert das anscheinend nicht. Kultur- und Kunstverständnis scheint ihnen abzugehen. Daraus lässt sich schließen, dass Schauspiel und Oper für sie lediglich repräsentative Aufgaben besitzen. Sie verstehen sie mutmaßlich als Orte, in deren Foyers und auf deren Gängen eine sich selbsternannte Stadtgesellschaft öffentlich glänzen kann. Kultur wird als Wesensausdruck einer Lifestyle-Gesellschaft verstanden, in der sich eindimensionale, auf Konsum dressierte Menschen ausleben und Statisten ihrer parlamentarischen Vertreter sein dürfen. Damit sie nicht auf die Idee kommen, sich selbst und ihre Lage kritisch zu reflektieren. Doch eigentlich sollte es die vordringliche Sache des Theaters sein, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und ihre Fehlentwicklungen aufzuzeigen.

Die Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig präsentierte vor zwei Wochen Hochglanzfotos der vorläufigen Architektenentwürfe für ein künftiges Schauspiel sowie einer neuen Oper. Dabei regte sie die Schaffung einer Kulturmeile zwischen Willy-Brandt-Platz und Kaiserstraße an. Solche Äußerungen assoziieren Vergleiche zur Shoppingmeile Zeil, auf der mittlerweile Kettenläden für den schlichten Geschmack dominieren und wo das Sterben einer einst pulsierenden Innenstadt unübersehbar ist. Wer angesichts solcher Entwicklungen von Potemkinschen Fassaden träumt, riskiert in fahrlässiger Weise auch den Tod des Theaterlebens. Denn von dessen Inhalten ist in keinem Entwurf die Rede. Dabei genoss bereits im klassischen Griechenland die Bühne absoluten Vorrang. Das geneigte Publikum durfte sich im Halbkreis drumherum versammeln. Die Gestalt eines Theaters, eines demokratischen allzumal, verläuft von innen nach außen.

Während Ina Hartwig öffentlich fantasierte, verlautbarte der neue Kämmerer, der Herr der Stadtfinanzen, dass die Stadt auf absehbare Zeit kein Geld haben wird für die Realisierung größerer Kulturprojekte. Es hat nicht den Anschein, dass das Kulturdezernat diese Botschaft verstanden hat. Denn eine Verschiebung der Projekte würde offensichtliche Probleme im derzeitigen Domizil nicht lösen. Der Brandschutz gilt als unzureichend, für die nur noch auf halber Kraft fahrende Be- und Entlüftung gibt es keine Originalersatzteile mehr, sodass sich die Betriebstechnik von Kompromiss zu Kompromiss durchhangelt (trotz Corona!) und auf der Intendantenetage regnet es durch. Diese und andere Instandsetzung können nicht erneut aufgeschoben werden, erst recht nicht um ein weiteres Jahrzehnt - bis die geplanten Neubauten fertig wären.

Die Höhe der von der Stabsstelle veranschlagten Sanierungskosten werden von Fachleuten außerhalb der Stadtverwaltung ohnehin in Zweifel gezogen. Der ehemalige Baudezernent Hans–Erhard Haverkamp und der frühere Leiter des Hochbauamts, Roland Burgardt, hatten in unabhängig voneinander erstellten Gutachten detailliert und in der Sache weitgehend übereinstimmend die Kosten für eine Sanierung auf ca. 200 Millionen Euro beziffert. Die offizielle Einschätzung liegt bei ca. 826 Millionen Euro, die für zwei Neubauten (ohne den Ankauf eines Grundstücks für die Oper) bei ca. 875 Millionen Euro.
Diese Kalkulationen passen nicht zusammen. Dadurch gewinnen erneut die Nachrichten von Whistleblowern an Wert, die bereits vor drei Jahren auffällige Unterschiede zwischen der Baubestandsaufnahme und der Umsetzung von Sanierungsarbeiten gemäß der „Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB)“ konstatierten. Letztere ist verpflichtend bei öffentlichen Aufträgen und dient zur Definition der Baumaßnahmen bei Ausschreibungen. Wegen dieser Ungereimtheiten hängt nach wie vor der Verdacht im Raum, dass die Theaterdoppelanlage zur Ruine erklärt wurde, obwohl sie es nicht ist. Und dass eine solide Sanierung mit allen Mitteln verhindert werden soll. Denn Immobilien- und Bauwirtschaft möchten das große Geld verdienen.

Die politisch Verantwortlichen in Frankfurt müssen sich zudem fragen lassen, ob sie aus der Zeit gefallen sind. Denn zeitgleich zur Präsentation der Neubauentwürfe begann in Glasgow die internationale Klimakonferenz, in der es um Auswege aus dieser existenziellen Krise ging. Mittlerweile steht fest, dass künftig sämtliche Handlungen im Horizont von Umweltneutralität und Nachhaltigkeit erfolgen müssen. Wenn die Frankfurter Stadtverordneten und der Magistrat tatsächlich etwas für die auch von ihnen propagierte Nachhaltigkeit tun wollen, dann müsste die Theaterdoppelanlage saniert werden. Es passt nicht zu einem tiefgreifenden Strukturwandel, wenn innerstädtische Flächen ohne Not weiterhin versiegelt und Verkehrsströme (beispielsweise zu den Städtischen Bühnen) auseinandergerissen würden.

Fotos:
Theaterdoppelanlage Frankfurt © hr
Burgtheater Wien © ORF
Schauspielhaus Bochum © WDR