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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2022 04 28 um 00.58.33WARNUNG ZUM HOLOCAUST-GEDENKTAG 

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Schlagzeile des diesjährigen Jahresberichts des Zentrums für zeitgenössisches europäisches Judentums der Tel Aviv Universität: Geht der Kampf verloren?

Die Autoren des Berichts warnen eindringlich: «Trotz der extensiven Bemühungen und der hohen, in den letzten Jahren investierten Mittel in die Bekämpfung des Antisemitismus, nimmt das Phänomen zu. Mehr Mittel, mehr Konferenzen und mehr Gesetze werden nicht notwendigerweise den Unterschied herbeiführen. Wir müssen die Wirksamkeit der bestehenden Strategien ohne Wenn und Aber einer Prüfung unterziehen».

Der Bericht identifiziert einen dramatischen Zuwachs antisemitischer Zwischenfälle in fast allen Staaten mit einer grossen jüdischen Bevölkerung. In den meisten Ländern war der Zuwachs auch substantiell, verglichen mit 2019, bevor die Restriktionen im Zusammenhang mit Covid-19 eingeführt worden sind.
Die wichtigsten Gründe für die Zunahme des Antisemitismus 2021 sind: Das Erstarken der radikalen Rechten und Linken in verschiedenen Staaten, und der Boom an Verschwörungstheorien, entstanden durch die Covid-19- Krise.

Wenn Israel sich selbst verteidigt, werden Juden weltweit das Ziel der Hetze und von Hassverbrechen – der Konflikt zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen im Mai 2021 führte zu einer scharfen Zunahme der antisemitischen Zwischenfälle.

Am Vorabend des Holocaust-Gedenktages publizierte das Zentrum für das Studium des zeitgenössischen europäischen Judentums an der Fakultät für Humanitäten der Tel Aviv Universität seinen 28. Jahresbericht des weltweiten Antisemitismus. Der Bericht, der Ereignisse im Jahr 2021 abdeckt, basiert auf der Analyse von dutzenden von Studien aus aller Welt, neben Informationen von Behörden der Gesetzesverwirklichung, der Medien und jüdischen Organisationen in verschiedenen Ländern. Die beunruhigenden Ergebnisse weisen auf eine scharfe Zunahme in der Zahl der antisemitischen Zwischenfälle in vielen Ländern hin, sogar im Vergleich zum vor-pandämischen Jahr 2019.

Die Autoren schreiben von einer dramatischen Zunahme der Zahl antisemitischer Zwischenfälle in den USA, Kanada, Grossbritannien, Deutschland und Australien, sowie weiteren Ländern. Laut dem Bericht rührt der Zuwachs von einer Erstarkung sowohl der radikalen Rechten und politischer Bewegungen auf der Linken in verschiedenen Staaten her, sowie vom riesigen Einzugsgebiet sozialer Netze zur Verbreitung von Lügen und der Hetze. Ganz spezifisch muss hier der Bom an Verschwörungstheorien genannt werden, die von der Pandaemie herrühren, aber auch vom Konflikt zwischen Israel und der Hamas in Gaza im Mai 2021. All dies schuf akuten Zuwachs an Antisemitismus.

Prof. Uriyah Shavit, Leiter des Zentrums für die Studie des zeitgenössischen europäischen Judentums, sagt: «Irgendwo klappt es einfach nicht. In jüngsten Jahren flossen dem Kampf gegen den Antisemitismus weltweit ausgedehnte Mittel zu. Trotzdem, ungeachtet vieler wichtiger Programme und Initiativen, eskaliert die Zahl antisemitischer Zwischenfälle, einschliesslich gewaltsamer Attacken, rapide. Leicht wäre es, zu sagen, man braucht mehr Mittel und mehr Gesetze. Was wir aber effektiv benötigen, ist eine mutige, sachliche, ungeschminkte Untersuchung der Wirksamkeit existierender Strategien». Shavit fügte hinzu: «Russische Kriegsverbrechen, begleitet von der zynischen Verzerrung der Erinnerung an den Holocaust, beweisen, dass einige der Personen, die ihre Verpflichtung gegenüber dem Kampf gegen den Antisemitismus erklärt haben, nicht unbedingt seriös waren in dieser Hinsicht. Auch haben sie die Lektion aus dem Zweiten Weltkrieg nicht wirklich gelernt. Die Jüdische Welt muss sich zusammentun und verstehen, dass der Kampf gegen den Antisemitismus und der Kampf für liberale demokratische Werte ein und dasselbe sind».

Dina Porat, die Gründerin des Zentrums, analysiert die Gründe für den Zuwachs antisemitischer Zwischenfälle. Dabei unterstreicht sie die negativen Einflüsse sozialer Netze für die Erweiterung des Antisemitismus. Laut Porat ist die Aussetzung zu Verschwörungstheorien, die auf dem Internet frei wirken können, während Lockdowns der Pandemie gewachsen. Die Menschen mussten zu Hause bleiben, mit den Augen fast ununterbrochen auf den TV-Schirm geheftet. Diese vergifteten Ideen schlossen Behauptungen ein, wonach der Covid-19-Virus von Israel und den Juden gelenkt und ausgeweitet worden ist, erklärte Porath. Einige Kreise, die von solchen Ideen über eine so lange Zeitperiode hinweg vergiftet worden sind, sind aus diesen Lockdowns bitter und aggressiv hervorgegangen. Porat unterstreicht auch die Bemühungen Irans, antisemitische Propaganda durch die sozialen Medien zu verbreiten und spezielle Kanäle zu finanzieren, und die Notwendigkeit, diese Bemühungen bekannt zu machen und zu verurteilen.

Der weltweite Antisemitismusbericht 2021 der Tel Aviv Universität fällt durch eine alarmierende Breiten- und Tiefenzunahme antisemitischer Zwischenfälle auf. Schockiert wird die seit Jahren an solche Entwicklungen gewöhnte Leserschaft aber durch die Schlagzeile im Titel des Berichts: Geht der Kampf verloren? Auf diese Frage bleiben die Autoren des Berichts eine klare Antwort leider schuldig. Oder haben sie die Antwort vielleicht bewusst weggedrückt, da sie sich ja das mögliche Leitthema für den Bericht 2022 nicht aus eigener Initiative unter den Teppich der Weltgeschichte kehren lassen wollen. Wie dem auch sei: Ein schaler Nebengeschmack bleibt am Holocaust-Gedenktag 2022 zurück. Vielleicht sind wir auch einfach übersättigt. Nicht mit der Problematik, denn die verfolgt uns Tag und Nacht, aber schon mit den Versuchen, praktikable Lösungen aufzubereiten und an den Mann oder die Frau zu bringen.

Foto:
Holocaust-Mahnmal in Berlin
©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 26. April 2022