Bildschirmfoto 2022 05 12 um 04.18.31Gerangel um eine Journalistin beeinflusst Knesset

Jacques Ungar

Tel Aviv/Jenin (Weltexpresso) - Kommt es dazu, dass der Erschießungstod einer Journalistin das politische Geschehen in der Knesset übermässig beeinflusst? Am Mittwoch wurde die al-Jazeera-Reporterin Shireen Abu Akleh (50) In der Westbankstadt Jenin durch einen Direkttreffer in den Kopf so schwer verletzt, dass sie laut dem  palästinensischen Gesundheitsministerium kurz darauf starb.

Das israelische Militär, dass in Jenin seit Tagen auf der Suche nach Terroristen und potentielln Gehilfen ist, meinte in einer Stellungsnahme, dass es die Möglichkeit prüfe, dass Akleh möglicherweise durch Schüsse palästinensischer Scharfschützen getoffen worden sei. Abu Akleh, die bereits 25 Jahre für el-Jazeera tätig war, hatte zuvor für die Radiostationen Amman und Monte Carlo gearbeitet. Sie war Besitzerin der US-Staatsbürgerschaft und machte aus ihrer Palästinenserfreundlichkeit zwar keinen Hehl, galt bei Experten aber trotzdem als objektiv und fachkundig.

Zuerst hatte das Gerücht für einige Unruhe gesorgt, dass die Vereinigte Arabische Liste (Mansour Abbas) wegen des Todes der Reporterin ihren Entscheid vertagen würde bezüglich der Unterstützung oder Ablehnung eines Misstrauensantrags gegen die israelische Regierung. Am Mittwochmittag aber machte Mansour Abbas alles vorläufig klar, als er verkündete, dass seine Partei (Raam) der Koalitions noch eine Chance geben wolle, um die Interessen des arabischen Bevölkerungsteils in Israel wahrzunehmen. Abbas nannte als Beispiele die Entwicklung des Wohnungsbaus für den Sektor und die Bekämpfung des Verbrechens in der arabischen Gesellschaft.

Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas machte Israel «voll verantwortlich» für den Tod der Journalistin. Die israelische Armee hatte vorgeschlagen, die Ursachen des Todes der Frau durch eine gemischte israelisch-palästinensische Kommission untersuchen zu lassen, doch daran schienen die Palästinenser kein übermässiges Interesse zu haben. Die Beerdigung Akleh war für Donnerstag Nachmittag angesetzt. Eine vorherige Autopsie war nicht vorgesehen, und das Palästinensische Rote Kreuz bemächtigte sich unmittelbar nach der Schießerei der Leiche.

Die israelische Botschaft in der Schweiz veröffentlichte am Mittwoch eine Stellungsnahme zum Geschehen, in der es unter anderem heißt: «Dies ist eine Umgebung (gemeint ist Jenin), die von Terroristen durchdrungen ist, die im Gegensatz zu IDF-Soldaten wahllos schiessen.» Die Botschaft in Bern forderte die Seiten zur Durchführung einer pathologischen Untersuchung auf, um die Dinge zu klären. Die Botschaft meinte aber, die palästinensische Seite habe sich (bis zum jetzigen Zeitpunkt) geweigert, «möglicherweise, um die Wahrheit zu verbergen». Der Tod der Journalisitin macht die Botschaft in Bern «betroffen», denn man messe der Pressefreiheit äußerst große Bedeutung bei und setzte sich für deren Erhalt ein. Wenn man sich jedoch in Gebiete begebe und dort aufhalte, «in denen Schießereien von terroristischen Akteuren verübt werden», sei, so die israelische Botschaft zum Abschluss ihrer Stellungsnahme, «Vorsicht geboten.» Nicht auszuschliessen, dass der Zwischenfall von Jenin von interessierten Kreisen zum Anlass genommen wird, die Stimmung unbesehen anzuheizen.


Foto:
Zwei Palästinenser hängen ein Bild von Thayer Khalil Yazouri und Shireen Abu Akleh in Ramallah auf. Ersterer ist ein 18-Jähriger Junge, der heute vom israelischen Militär in Jenin erschossen wurde
©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 11. Mai 2022