Die Linke vielstimmig und nirgendwo eindeutigDie Existenz einer Partei, die sich nie anpassen wollte, steht auf dem Spiel

Juliane Schätze

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Krise der Linke ist so tiefgreifend, dass nur ein radikaler Neuanfang ihr Überleben sichern kann.

Mit dem Rücktritt von Susanne Hennig-Wellsow ist die Doppelspitze der Linken zerbrochen. Er war allerdings konsequent, hat die Ko-Vorsitzende doch erkannt, dass ihre Kräfte und Anstrengungen nicht ausreichen, den desolaten Zustand der Partei zu beheben. Die parteiinternen Sexismus-Vorwürfe haben das Fass zum Überlaufen gebracht. Sie hat entnervt aufgegeben. Obwohl die Probleme damit nicht gelöst sind, ist ihr ein Weckruf gelungen.

Als das Vorsitzenden-Duo, Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler, im Februar 2021 gewählt wurde, waren die Parteiflügel und separaten Gruppen zerstritten und bekämpften sich. Die Partei sollte mit den neuen Führungskräften zu einem „Pol der Hoffnung“ für einen politischen Aufbruch gemacht werden. Das Ziel wurde nicht nur nicht erreicht, der Scherbenhaufen hat sich vergrößert.

Inhaltliche Positionen sind offen und ungeklärt. Die Partei spielt in der öffentlichen Wahrnehmung als politisch progressive Kraft keine Rolle mehr, ablesbar am Ergebnis der Bundestagswahl im September letzten Jahres mit 4,9 Prozent.

Die Partei versteht sich als pluralistisch und sie will Interessenvertreter aller in unserem politischen und Wirtschaftssystem Benachteiligten sein. Der praktizierte Proporz, der zu einer umfassenden Meinungsbildung beitragen soll, erweist sich als Hemmnis und führt zu einer toxischen Debattenkultur. Die Flügel befehden sich, beharren auf ihren Standpunkten und das nicht intern, sondern öffentlich über die Medien.

Wofür Die Linke steht, verschwimmt im Nebel. Soll angepasst an die neue Situation an den alten Grundsätzen festgehalten werden, durch die die Partei sich ein Alleinstellungsmerkmal erarbeitet hatte? Welche Position muss Die Linke zu Außen-, Flüchtlings-, Klima-, Sozial- und Genderpolitik vertreten? Welcher Stellenwert wird Regierungsbeteiligungen zugemessen? Da die Grundpositionen nicht mehr erkennbar sind, kam und kommt es weiterhin zu widersprüchlichen, teils skandalösen Antworten, werden Entwicklungen nicht wahrgenommen oder ignoriert, werden Dispute nicht ausdiskutiert, Konsequenzen nicht erkannt und folgen keine oder falsche politische Schritte.

Folgende Beispiele stehen für viele weitere:

Haltung zur Rettung der Ortskräfte in Afghanistan, Diskussionen, auf dem Niveau der AfD, zu den Schutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie, dem spalterischen Verhalten von Sahra Wagenknecht,der Position von Oskar Lafontaine zur Nicht-Wahl der Linken im Saarland und seinem Parteiaustritt,zum Krieg Putins gegen die Ukraine und den Waffenlieferungen zu ihrer Verteidigung,schließlich die Vorwürfe zum sexualisierten Machtmissbrauch.

Um nach außen wieder wirksam werden zu können, bedarf es zunächst eines internen respektvollen Umgangs. Damit die Partei wieder zu einer wahrnehmbaren Stimme für Frieden, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit wird, muss sie Handlungsfähigkeit herstellen.

Das bedeutet aber auch, mit der Neuwahl des 44-köpfigen Gremiums des Bundesvorstandes auf dem Parteitag im Juni ist es nicht getan. Ein-weiter-so ist unmöglich und führt weder durch den Vorstand noch der Fraktion zur Überwindung der multiplen Krise. Alles muss auf den Prüfstand und gelöst werden, damit ein inhaltlicher Neuanfang gelingen kann.


Aktualisierter Zusatz:

Am 25. Mai wurden Kandidaturen für den Parteivorsitz bekannt gegeben. Seit dem Rücktritt von Susanne Hennig-Wellsow führt Janine Wissler die Partei allein. Sie kandidiert erneut für den Vorsitz. Männliche Kandidaten sind Sören Pellmann und Martin Schirdewan.

Sören Pellmann hat mit seinem Direktmandat in Leipzig dazu beigetragen, dass die Partei noch im Bundestag vertreten ist. Er ist Ost-Beauftragter der Fraktion und kritisiert die Waffenlieferungen in die Ukraine. Darin wird er von Sahra Wagenknecht unterstützt.

Martin Schirdewan ist Fraktionsvorsitzender der Linken im Europaparlament. Die Vorwürfe des sexualisierten Machtmissbrauchs aufzuarbeiten und die notwendigen Konsequenzen umzusetzen, sind für ihn Schwerpunkt. Er wird von Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow unterstützt.

Foto:
© ARD