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Kategorie: Zeitgeschehen
Bildschirmfoto 2023 01 09 um 03.20.32Die Pläne des israelischen Justizministers, die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs einzuschränken, führten zu Protesten in Tel Aviv

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Der israelische Justizminister Yariv Levin hat Pläne für Rechtsreformen angekündigt, die die Umgestaltung des israelischen Justizsystems sowie die Einschränkung der Befugnisse des Obersten Gerichtshofs zum Ziel haben. In einer Rede vor der Knesset bezeichnete Levin die Pläne als «verfassungsrechtliche Revolution». Inzwischen beschäftigte sich der Gerichtshof an einer Sondersitzung von elf Richtern sechs Stunden lang mit diversen Berufungsanträgen, dem vorbestraften Vorsitzenden der Partei «Shas», Arieh Deri, die Ernennung in die neue Regierung Netanyahu streitig zu machen. Mit einer Verkündung des Richterbeschlusses darf frühestens nächste Woche gerechnet werden.

Noch letzte Woche hatte Minister Levin an einer Pressekonferenz seinen Plan für die Reform des Justizsystems unterbreitet. Dieser Plan beinhaltet laut israelischen Presseberichten Veränderungen für zentrale rechtliche Prinzipien und Institutionen. Zweck wäre eine Stärkung der Legislative und der Exekutive zu Lasten des Gerichtswesens. Der «Jerusalem Post» entnimmt man folgendes Zitat des Justizministers: «Wir gehen an die Wahlurnen, stimmen ab und wählen, doch immer wieder entscheiden dann Leute für uns, die wir nicht gewählt haben.» Levin kritisiert die «Verfassungskrise» und die zunehmende richterliche Intervention in Regierungsbeschlüsse. Levin entschloss sich zu seinem Gang an die Öffentlichkeit weniger als 24 Stunden bevor der Oberste Gerichtshof sich mit den Berufungen gegen die Ernennung des mit Vorstrafen belasteten Arieh Deris zum Minister in Binyamin Netanyahus Kabinett zu befassen hatte. «Sollten die Richter die Ernennung Deris ablehnen», schreibt die «Post», «wäre das weiteres Futter für Levin, die richterliche Intervention anzugreifen».

Der zu erwartende Richterbeschluss in Sachen Deri und die anlaufende Diskussion über Levins juristische Revolutionspläne bieten mehr als genug Zündstoff, um das Gerichtswesen, aber auch Israels Öffentlichkeit für die nächsten Monate beschäftigt zu halten und vom Prozess gegen Regierungschef Netanyahu abzulenken.
Am Samstagabend kreuzten Yariv Levin und der ehemalige Präsident des Obersten Gerichtshof, der inzwischen 86-jährige Aharon Barak in getrennten Interviews die Klingen. Vor allem in der Definition des Demokratiebegriffs prallten die Meinungen praktisch unversöhnlich aufeinander. Barak kritisierte Levins juristischen Revolutionsplan als «sehr gefährlich für das Volk». Er sah keinen anderen Weg als entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten den Weg zu den Medien zu suchen. Ebenfalls am Samstagabend demonstrierten in Tel Aviv rund zehntausend Personen unter dem Slogan «Gegen Levins juristischen Reform-Staatsstreich».

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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 9. Januar 2023