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Kategorie: Zeitgeschehen

Um die Fluchtsituation ranken sich Hoffnungen, Erwartungen, aber auch Befürchtungen

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie alljährlich gewohnt zu Beginn des Frühjahrs fand wieder im Gästehaus der Goethe-Universität Frankfurt ein Diskussionsabend des Managerkreises Rhein-Main der Friedrich-Ebert-Stiftung zu einem aktuellen Thema statt.

 

Geladen war Heinrich Alt, Altgedienter der Bundesarbeitsverwaltung, zuletzt Vorstand 'Arbeitsmarkt'. Er lieferte das Referat zum Thema 'Krise oder Chance? Integration von Zuwanderern in den deutschen Arbeitsmarkt'.- Fluchtbewegungen gab es zu allen Zeiten. Nach dem 2. Weltkrieg mussten 14 Millionen fliehen oder wurden vertrieben. Sie waren viele Jahre negativen Regungen ausgesetzt, obwohl sie überwiegend Landsleute waren. Daraus folgt, dass mit dem System der Emotionen von großen Teilen der menschlichen Art etwas nicht stimmt. Denn allein die Konkurrenzsituation mit den Alteingesessenen dürfte es nicht ausgemacht haben.

 

 

Die Neuen

 

Alt führt an, dass die Bevölkerung des Ruhrgebiets sich im Zuge der rasanten Industrialisierung über einen Zeitraum von 70 Jahren verzehnfacht hatte. Die Zugewanderten kam von weit her. Vor einigen Jahren kamen 800 000 Menschen aus der Sowjetunion. Nach der Wende drängte der Zuzug von Ost nach West. Alt konstatiert, dass die neuen Ankömmlinge einem ganz anderen Kulturkreis entstammen, mit tendenziell patriarchalischen, autoritären, den angestammten Rechten von Frauen überwiegend nicht sehr zugeneigten Einstellungsmustern, in denen Israel als Ursache allen Übels fungiert. Die Hauptaufgabe, die sich der aufnehmenden Gesellschaft stellt, ist die gut durchdachte und bestens organisierte Integration. Die demokratischen Gepflogenheiten müssen in den neuen Köpfen einwohnend gemacht werden.

 

Die neuen Geflüchteten sind beweglich, wissen im allgemeinen, was sie wollen und können wollen, sind mehrheitlich motiviert. Von den berühmten 1,1 Millionen sind noch 800 000 da, die anderen sind schon wo anders als erwartet untergekommen. Mit den Zuletztgekommenen verbindet sich ein Rückstau, die Aufnahme und Weiterbegleitung läuft nur schleppend an. Hier gibt es ein Versagen der 'Behörden'. Großartig ist das Wirken derjenigen, die freiwillig im Einsatz sind. Es sind die positiv und pragmatisch Gestimmten. In 2015 wurden 280 000 - anstehende - Entscheidungen getroffen, die Anerkennungsquote liegt um 50 Prozent. 370 000 waren noch nicht entschieden.

 

Ein abendlich Gekommener – er darf mit Sicherheit dem Managerkreis zugerechnet werden – kritisierte ganz aufgebracht ein menschlich und im rationalen Sinn ungeeignetes Asylrecht, eine Verwaltung, die unfähig ist und eine Bürokratie mit einer Zettelwirtschaft von 15 Seiten. So vergeht Zeit. Auch sind die 16 IT-Systeme der Länder uneinheitlich, nicht kommensurabel; das Informationssystem der Polizei ist überhaupt nicht kompatibel und das des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gar nicht. In Belgien kommt man mit einer Erfassungsprozedur von einer Seite aus.

 

An dieser Stelle offenbart sich auch die klägliche Unterfinanzierung der Zivilgesellschaft, die weite Bereiche umfasst. Wir sind auf dem abschüssigen Weg in ein Entwicklungsland. Aber auch Teile der Wirtschaft reden komisch daher. Der Ökonom Fuest sieht die Geflüchteten wie ein Oberlehrer nur als Passive. Er lag schon daneben, als er eine Million Arbeitslose als Auswirkung des Mindestlohns prognostizierte. Er gab zu, dass eine Geschichte zu erzählen der Realität vorzuziehen sei (FR 18.02.2016). Die Wirtschaft war im übrigen eine Unterstützerin der Kanzlerin im Hinblick auf Zuwanderer und Geflüchtete.

 

 

Integration, Arbeit, Kosten - und wie vorgehen?

 

Jedes Jahr entstehen um die 500 000 Arbeitsplätze. Wir haben zu wenige nachfolgende eigene Geburten. Die aufnehmende Gesellschaft müsste innerhalb kürzester Zeit die Talente der Geflüchteten erkennen und an diesem Potential ansetzen. Die Lagersituation ist so schlecht wie nur etwas. Das Manko der Langzeitarbeitslosigkeit war bislang schon ein abschreckendes Nicht-Vorbild. Geflüchtete erkennen unmittelbarer als die Inländischen die Chance einer Selbständigkeit und Eigeninitiative.

 

Der Manager, der eingewandt hatte, kennt zwei Afghanen, die er aufgenommen hat, als motivierte und schon umsichtig tätige Potentials, an deren Entwicklung er arbeitet. Es ist alles eine Frage der Investition, denn Ökonomie weiß: sehr vieles ist marktfähig. Die Vorrang-Prüfung (Inländervorschrift) muss abgeschafft werden. Alle Hürden müssen fallen, sie helfen nicht nur nicht den Angekommenen, sondern auch nicht den 'Einheimischen'. Die Geflüchteten können zum Investitionsprogramm werden, das eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts nach sich zieht. An Investitionen mangelt es im Land ohnehin notorisch, daher die Null-Zins-Politik. 'Refinanzierungseffekte' wären also gegeben.

 

Die AWO gibt kostenfreie Deutschkurse, die freiwilligen Helferinnen und Helfer auch. Die Integration und Qualifikation der Geflüchteten ist als Gemeinschaftsaufgabe zu ergreifen. Die Kursleiter/innen sind grottenschlecht bezahlt, ihr Problem ist die Befristung, als „Selbständige“ müssen sie die Sozialbeiträge selbst schultern. Da bleibt nicht viel zum Leben übrig. Das Goethe-Institut bietet für den Übergang eine Sprach-Lern-App an.

 

Die Integration muss umgehend starten, Kinder sollten 'sofort integriert werden', aber die Methode muss sorgsam sein. Nach dem 2. Weltkrieg kamen 12 Millionen Vertriebene, auch das wurde geschultert. Es gab damals auch Widerstände, groteske sogar. Als überwiegend Motivierte sollten Zugewanderte nicht in Niedriglohnjobs gebunkert werden.

 

 

Finanzierung

 

Überlegt werden sollte - war der Vorschlag -, ob es nicht dienlich wäre, die Kosten der Integration nicht allein wieder nur den Sozialkassen aufzubürden - wie zur Vereinigung. Wenn Sozialkassen nicht auch legitimerweise steuerlich unterstützt werden, leidet die Konjunktur. Andere Möglichkeit: ein Fond zu 1 Prozent Zinsen. Und ob nicht alle, im Rahmen ihrer Möglichkeiten - also dynamisch progressiv -, an den Kosten beteiligt werden sollten - ob der Größe der Aufgabe. Und ob nicht eine Vermögenssteuer kommen sollte.

 

Wohnungen können zum sozialen Konfliktstoff werden. Viele, die wir noch brauchen könnten, wurden an Heuschrecken abgestoßen, eine schwere Untat - der Sonderklasse - in Bund, Ländern und Gemeinden. 1,7 Mill. Wohnungen stehen leer, aber weniger in Städten als: im Osten, in der Eifel und auf dem flachen Land.

 

Die Kosten belaufen sich kurzzeitig auf 25 Mrd. Euro, langfristig auf 20-50 Mrd., aber es kommt auf Dauer auch ein Gewinn zurück. Der ist steuerbar. Man schätzt, dass die Geflüchteten nach einem Zeitmuster wie folgt in den Arbeitsmarkt integrierbar sind.: 10 Prozent in einem Jahr, 50 Prozent in 3-10 Jahren, 70 Prozent langfristiger. Aber das sind nur Annahmen, wie sie auch immer gern vom oft bemühten demographischen Argument ausgehen. Entscheidend ist die Dynamik, die eine Gesellschaft entwickelt; was sie aus sich und ihren neuen Mitgliedern zu machen bereit und willens ist.

 

 

Info:

Managerkreis Rhein-Main der Friedrich-Ebert-Stiftung, 'Krise oder Chance? Integration von Zuwanderern in den deutschen Arbeitsmarkt', 10. März 2016, Gästehaus der Goethe-Universität Frankfurt, mit Heinrich Alt, dem ehemaligen Mitglied des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit. Zum Referat wurden Fragen gestellt und beantwortet.