Massenweise maschinelle Tötung von zu klein geratenen Lebewesen, die als geringwertig gelten – kein Problem für deutsche Justitia


Heinz Markert


Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Was deutsche Richter sich in ihrer Abgehobenheit und Losgelöstheit von den Realien, vom wirklichen Leben also, so leisten, lässt immer wieder den Kamm schwellen. Soeben hat das Bundesarbeitsgericht es zudem für legitim erklärt, einmal mehr in der Arbeitswelt mit zwei Klassen von Menschen der Arbeit zu operieren.

 


Rumhacken auf den Mindestlöhnern – Beschämen macht Spaß


Mit der von der Politik in voller Absicht seit 2002 generierten Teilung des Arbeitsmarkts in Niedriglöhner, die den internationalen Wettbewerb anzuheizen haben und in die durchaus auch mit ein wenig Fortune in Amt und Würden gelangten wie gebliebenen Normallöhner begann die neue postdemokratisch-rheinische Zeitrechnung.


Zu jedem Jahresende können nun die Mindestlohnempfänger per neuestem Gerichtsbeschluss des Bundesarbeitsgerichts wieder einmal beurkundet finden, dass sie weniger wert sein sollen, wenn sie das auf dem Vor-Mindestlohn basierende, vergleichsweise geringere Weihnachtsgeld auf dem Gehaltszettel ausgewiesen bekommen, statt der vollwertigen Gratifikation der höheren Kaste der Arbeit.


Basis für die Berechnung des ‚Weihnachtsgeldes im konkreten Fall (‚Niederlage für Mindestlöhnerin‘, FR 27.05.2016) ist der Lohn von 8,03 Euro aus der Vorreformzeit, also 47 Cent weniger als 8,50 Euro, worauf der Arbeitgeber ausdrücklich Wert zu legen scheint. Kleingeist, Dein Name ist Arbeitgeber. Arbeitsmarktspalter, Dein Name ist Richter. Zusammen genommen sind es die Weltbestimmer unter sich.

 


Küken sind auch wie Menschen, kleine Menschen heißen sogar ‚Küken‘


Derselbe kapitale Fehler wird gemacht, wenn zwischen lieblichen Entlein, glücklichen Kühen und zu vernachlässigenden Kleinlebewesen der ‚Chickenproduktion‘ aus dem Paragraphenblickwinkel ein Unterschied gekürt wird wie im Fall der gemetzelten männlichen Küken, die im Verwertungsprozess anfallen, aber im wirtschaftlichen Sinn eines Lebens als unwert gelten, weil sie zu wenig Ertrag abwerfen oder einfach nur lästig sind. So entschied das Oberverwaltungsgericht Münster. Wie existenzvergessen muss eine abgespaltene Art der vom Leben entfremdeten Richterschaft eigentlich sein, um sich herauszunehmen, in breitem Gestus über kleine Leichen zu schreiten.


Denn zwischen den Lebewesen Mensch und Tier den Unterschied zu machen, ist durchaus abwegig, zumal wenn über die Differenz von Leben und Tod einfach mal so locker hinweggesenst wird, als ob es sich um ein bloßes Mähgut handelte.
Aber nicht nur existenzvergessen sind einige deutsche Richter, sie sind offensichtlich auch kulturfern und bar der Kenntnis der Tradition der Aufklärung, die den Schutz des Lebens längst universell definiert hat, unabhängig von Nutzen, Kosten, wirtschaftlichem Kalkül oder wie auch noch so der Daumen einfach gehoben oder gesenkt wird.

 


Buddhismus und Romantik – keine Ahnung davon?


Schopenhauer hat vor über 150 Jahren die Humanität in Anknüpfung an die durch ihn so sehr verehrten hochgebildeten Weisen Asiens auch auf die Tiere übertragen. Aus der Überlieferung der altindischen Upanischaden bestimmt dies der unvermittelt ausgestoßene Ausruf des ‘Tat tvam asi‘, des: ‚Das bist Du!‘, der besagt: selbst dieses jeweilige, unscheinbare, verletzliche Wesen könntest auch Du sein. Dies entspricht auch der Grundüberzeugung des Buddhismus. In ältesten Zeiten schon war die hohe Schule der Empfindsamkeit ergriffen von der Einsicht: dieses kreatürliche, genauso empfindende, dem Leiden gleichermaßen ausgesetzte Wesen - wie Du es bist! - hat denselben Anspruch auf Leben und Vermeidung von Leiden. 


Durch die Rezeption von Schopenhauer, die Kenntnisnahme der Schriften der altindischen Veden und Upanischaden sowie der unabgeschlossenen deutschen Romantik – sie rückt wieder neu ins Bewusstsein - müsste eigentlich auch dem grundgutgebildeten deutschen Richter die Achtung vor der tierischen Existenz eine Selbstverständlichkeit sein, wobei der Richter wissen müsste: auch Menschen weisen einen wesentlich animalischen Anteil auf, ihr Bewusstsein ist nur Firniss.


Doch es verhält sich gegenteilig infolge Kunstferne und Kulturfremdheit, wie wohl auch als Spätfolge des abgebrochenen oder verworfenen Kanons einer weiter rückgebundenen Bildung, von der eine Richterschaft wohl kaum mehr geprägt ist.

 


Die Gerichtsbarkeit braucht eine kopernikanische Wende ins volle Leben


Schopenhauer ging gar soweit, dass er, ähnlich wie Sigmund Freud, den Menschen geradezu zurück ins Tierreich versetzt hat, was auch die Naturwissenschaft tat und zwar nicht deswegen, weil wir uns nun gar nicht mehr von den Tieren unterschieden, sondern weil Tiere und Menschen als in gleicher Weise empfindende Wesen doch sehr verwandt, sich sehr ähnlich sind am Ende einer langen Abstammungskette. Was wissen wir denn näher über Vögel, sobald wir bemerken, dass sie sich in einer anderen Art Sprache sogar miteinander zu unterhalten scheinen.


Blockiert man unbeabsichtigt ein Nest von Blaumeisen, die sich nahe der menschlichen Behausung in einem Verschlag ein Nest gebaut haben, um Junge großzuziehen, so wird bald klar, dass Meisin und Meise miteinander kommunizieren, sich gegenseitig warnen und darüber informieren, was gerade Sache ist. Sie haben eine Sprache, die nur eine andere Denkstruktur als die unsere hat. Zuweilen scheinen sie gar auf den Menschen zu schimpfen.


Sollten etwa die possierlichen Küken aus dem menschlich verhängten Todeslager so ganz anders sein, sich in ihrer Wertigkeit so ganz unterhalb jener zwitschernden Blaumeisen befinden? Nein, denn Tiere, Menschen, Vögel sind in ihrer Existenzhaftigkeit nur sehr wenig voneinander verschieden, sofern unserer fragwürdigen Gattung überhaupt das Recht zukommt, über ein anderes Wesen in überlegen daherkommendem Richtspruch eine Wertung aufzudrücken.


Die Reaktion der Leserschaft auf das Urteil zu den ‚aufwandsbezogen‘ angeblich nicht des Lebens werten Küken weisen in die Richtung, dass Menschen von jenseits der Paragraphenwelt eine Fürsorgepflicht für das Leben vernachlässigt sehen und den Richterspruch mit einer wachsenden Verrohung identifizieren. Sie erkennen darin auch die Neuauflage der Anwendung der Praxis des ‚lebensunwerten Lebens‘. Es scheint als ob die Justiz sich mit dem Tuch vor dem Auge der Justitia immer mehr vom Leben zurückzieht.