Eine makabre Kunstaktion zum Massensterben im Mittelmeer


Hanswerner Kruse


Berlin (Weltexpresso) - Flüchtlinge wollen sich demnächst den, zeitweise beim Berliner Gorki-Theater untergebrachten Tigern zum Fraß vorwerfen lassen. Wer bisher Zweifel daran hatte, ob das Kunst ist oder eher eine politische Demonstration, kann nun in der Hauptstadt echtes Theater erleben: Ausgerechnet das Berliner Grünflächenamt entschied, das vom Zentrum für politische Schönheit initiierte Gesamtkunstwerk „Flüchtlinge fressen“ sei keine Kunst und müsse weg.


Dabei konnte man seit Josef Beuys kaum eine genialere Realisierung dessen Idee von Kunst als soziale Plastik mehr erleben. Die Berliner Künstler inszenieren - nicht zum ersten Mal - eine groteske provozierende Aktionen (was sind ein paar gefressene Flüchtlinge schon gegen das Massensterben im Mittelmeer?)  und stehen zugleich persönlich für ihre Forderungen ein. Aber worum geht es nun eigentlich seit Mitte Juni?


Kinder fragten ihre Eltern, warum müssen die Flüchtlinge ertrinken und kommen nicht mit dem Flugzeug? Eine gute Frage, denn ein Flug vom Nahen Osten nach Mitteleuropa ist preiswerter und allemal sicherer als die Kosten der Schlepperbanden. Doch eine EU-Richtlinie steht dem entgegen, die Fluggesellschaften werden bestraft, wenn sie Menschen ohne gültiges Visum nach Deutschland bringen.


Das Zentrum für politische Schönheit fordert nicht nur die sofortige Streichung des § 63.1 (die Linke hat das ebenfalls im Bundestag beantragt), sondern sammelt auch Geld, um Ende Juni ein Flugzeug zu chartern. Das soll 100 Flüchtlinge von Izmir nach Berlin bringen. Sollten die nicht in Deutschland angenommen werden, werfen sich freiwillige Flüchtlinge den Tigern zum Fraß vor.


Am Tag nach dem Verbot war Unter den Linden alles wie immer in den letzten Tagen. Viele Touristen und Berliner warteten abends vor dem Raubtiergehege, sahen bei der Fütterung der vier Tiger (noch ohne Flüchtlingsfleisch) zu. Wie ein Dompteur im Raubtiergehege die riesigen Wildkatzen bespaßte, war durch die riesige Frontscheibe sowie auf einer Großbildleinwand zu sehen, auf der ansonsten die EM-Spiele übertragen wurden. Schauspieler mimten EU-Politiker, machten Ratespiele mit dem Publikum (Ist eine Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer Grabschändung?) und trugen hasserfüllte Facebook-Beschimpfungen der Künstler vor. Anschließend luden sie, wie jeden Abend, zur Diskussion mit politischen Gästen in den Garten des Theaters.


Irgendein kluger Geist, vielleicht der deutsche Kulturstaatssekretär oder der Berliner Kultursenator, scheint dem verblendeten Kunstrichter vom Gartenbauamt die Leviten gelesen zu haben. Die „Räumung“ der Tiger soll erst dann erfolgen, wenn die Aktion wie geplant Ende Juni sowieso beendet wird.


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