Die wirre Welt des despotischen Mannestums in der Postmoderne


Heinz Markert


Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Um es gleich zu sagen: die grassierende Ausübung von Gewalt und Terror haben nicht so sehr mit einer falschen Politik der USA oder der begangenen Verheerungen durch den globalen Kapitalismus zu tun, obgleich dieser immer mehr zum Übel in der Welt beisteuert. Das Exzedieren der Männlichkeit ist eine Reaktionsbildung auf die Moderne.

Der große und kleine Terrorismus ist die Retourkutsche auf den wachsenden Anspruch auf Selbstbestimmung und Autonomie von Frauen, aber auch des aufklärerischen Intellekts. Der Terror hasst Bildung. Die neue anstrengende Zeit ist einfach zu viel für die Jungs, zu viel für das schwache Ego. Also muss der Machismo die Lücke füllen. Der Fehler der Eltern war, ihn als kleinen Prinzen zu wattieren, mit Weisungsbefugnis gegenüber Schwestern und einem Anspruch auf Vorherrschaft


Eine schlimme Melange ist auf dem Vormarsch


Es ist schon ein Absurditätenkabinett, was sich mit Trump, Putin, Erdogan, Orban, Boris Johnson, Feldmarschall Kaczy?ski mittlerweile an wirren Versatzstücken und aufgeblasenem Gehabe in politischen Ämtern etabliert hat, wohlgemerkt: etabliert. Die schlimmste Anmaßung ist die Nähe zum reklamierten Gott und dessen Plan. Es ist Blasphemie, mit dem begrenzten Oberstüberl das Unendliche und Grenzenlose für sich zu reklamieren, während handfeste diesseitige Interessen verfolgt werden. Was da an Gestalten zusammenkommt, ist erschreckend. Es liefert eine Galerie der Psychosen im Amt, der Weltverschwörungstheorien, Besessenheit vom Wahn der Macht, nationale Besoffenheit, Zugehörigkeit zu schwülstigen Kollektiven; alles Ausprägungen, die Aufklärung und nüchterne Weltbeziehung überwunden hatten.


Ganz im Zentrum steht der neu aufgeputzte Wahn um Nation und völkische Größe, teils gepaart mit Religion, als ob die überhöhte Nation nicht schon säkular genug des Irrsinns wäre. Haben die Parteigänger der Ich-Schwäche, des Tollhauses der steilen programmatischen und ausgrenzenden Thesen, der Verfehlungen in Amt und Staat, des nationalistischen Taumels auf Straßen und Plätzen, denn kein eigenes inneres Bewegungszentrum mehr, insofern ihnen die Hingabe an Despoten und Autokraten als unerlässliche Krücke erscheint?


Religion und Nation sind Instrumente, um die je eigenen Schwierigkeiten mit der Welt stückwerkshaft stillzustellen. Religion oder Renationalisierung sind von sich aus aber keine Lösung. Sie werden gern als große Knüppel und Hebel ausgefahren, sind aber kontraproduktiv. Das übersteigerte nationale und religiöse Gefühl – verbunden mit dem Herabschauen auf ‚die‘ Anderen – ist im Innersten der Religionen und Weisheitslehren aber einfach nur Laster, Verfehlung, Untugend, Sünde.


Erdogan, der Entwicklungsverweigerer


Die Vorgänge um den Taksim-Platz und Gezi-Park wurden zu seinem Trauma. Kritik kann er schon gar nicht ab. Erdogan zog mehr und mehr die religiöse und nationale Karte. Er ist wie einer, der in der von Verlustangst und Panik getriebenen Stimmung Hilfe in der falschen Therapie sucht. Sein Blick ist glasig. Er hat Angst vor dem Machtverlust, dem Versinken in Bedeutungslosigkeit, so fürchtet er. Verlustangst ist die vornehmliche Motivlage seines Reagierens. Daher will er nun im selbsteigenen Interesse das ganze Verfassungssystem umkrempeln. Er ist von einem Wahn gepackt. Gegen Rechtstaatlichkeit richtet sich seine Gesinnung. Die Reibung mit dem Rivalen Gülen ist dem Konkurrenzverhältnis geschuldet. So ganz verschieden voneinander sind die beiden nicht. Erdogan hat sein Gleichgewicht verloren, nimmt das Land für den persönlichen Ehrgeiz in den Griff. Ein Mann gegen ein Volk. Dieses ist keine anonyme Masse, leider fehlt ihm der ausgeglichene Kopf zum Erfolg.


Erdogan müsste moderieren, mediatisieren, modernisieren, heizt aber den Konflikt an, bei Strafe des womöglich gänzlichen Scheiterns des Landes. Zur Arbeit der Vermittlung im Land braucht es eines Mediators aus der Welt der Seelenheilkunde; derer er selbst bedarf. Erdogan ist der zurzeit aktuellste Fall in politischer Tragik. Ähnliches gilt für Putin. Ohne Not hat dieser die Modernisierung versiebt, er hat ein Selbstwahrnehmungs- und Selbstverortungsproblem seiner unsicheren Person in der veränderten Welt. Und diese nimmt er an den ausgestreckten Arm.


Die Kritik des Nationalismus und Religionswahns gilt immer und überall


Für Schopenhauer gehörten offizielle Religionen – wenn auch nicht die Weisheitssysteme dieser Welt, nicht Stoizismus oder Gnosis, auch nicht das Kern-Christentum – zum Kreis der ´intellektuellen Ungeheuer‘, der ´heillosen und sinistren Fratzen‘, auch weil Religionen sich zur Rechtfertigung und Verklärung der Welt verstehen. Den altindischen Weisheitslehren und dem Buddhismus konnte er viel abgewinnen, aber er hat sich immer gegen abschlusshafte Welterklärungen und Systemgebilde verwahrt. Fichte, Schelling und Hegel waren für ihn ‚die Windbeutel‘.
Der Nationalstolz war ihm ein Fragwürdiges, weil er ausgrenzt, gemein ist und dem Individuum Leid antut. Die Nationen galten ihm wegen ihrer Schwachheiten und Verblendungen als verwandt. Was für die Welt der gefährlichen Verstörungen gilt, gilt auch für die nüchternen Länder, also auch für die schon säkularisierten Gegenden.


„Die wohlfeilste Art des Stolzes ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein: hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen (??? ??? ???) zu verteidigen.“


Im Mittelpunkt des Weltsystems steht die erkennende und empfindende Einzelnatur, ohne diese ist die Welt ein karges Gebilde. „Übrigens überwiegt die Individualität bei weitem die Nationalität, und in einem gegebenen Menschen verdient jene tausendmal mehr Berücksichtigung, als diese. Dem Nationalcharakter wird, da er von der Menge redet, nie viel Gutes ehrlicherweise nachzurühmen sein. Vielmehr erscheint nur die menschliche Beschränktheit, Verkehrtheit und Schlechtigkeit in jedem Lande in einer anderen Form und diese nennt man den Nationalcharakter.“


„Von einem derselben degoutiert loben wir den andern, bis es uns mit ihm ebenso ergangen ist.- Jede Nation spottet über die andere, und alle haben recht.“ Diese Zitate richten sich gegen all die Nationalen, Rechten, Völkischen und Populisten.

 

Fotos: Titel Taksimplatz, 2. Foto Gezipark (c) Heinz Markert

 

Info:

Arthur Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit, Erl. u. Nachw. v. Hermann von Braunbehrens, broschierte Ausgabe, Insel Taschenbücher Nr.223, Insel Verlag, 17. Aufl., 271 S. 2007, ISBN-13: 9783458319238