Aus dem amerikanischen Wahlkampf um die Präsidentschaft

Barbara Jentzsch

Oberursel (WEltexpresso) - Für Amerikas Grüne könnte das Wahljahr 2016 den Durchbruch bringen. Für Hillary Clinton könnte deren Kandidatin Jill Stein allerdings der Untergang sein. Über eine Frau, die seit Kurzem mehr Macht hat, als die meisten ahnen Dr. Jill Stein, Ärztin und US-Grüne: Sie könnte eine Gefahr für Hillary Clinton werden und ungewollt zum Erfolg von Donald Trump beitragen.

Geht Amerikas anachronistischem Zweiparteiensystem vielleicht die Luft aus? Könnten Kleinparteien wie die US-Grünen 2016 vielleicht auf 15 Prozent kommen, ihre Präsidentschaftskandidatin Jill Stein damit Einlass ins Allerheiligste finden – Zugang zu den alles entscheidenden Fernseh-Präsidentschaftsdebatten? Nichts ist ausgeschlossen in diesem instabilen Wahljahr.

Mit Hillary Clinton und Donald Trump stehen zwei historisch unpopuläre Kandidaten zur Wahl .Das gibt Grünen-Chefin Stein nicht nur Auftrieb, sondern lässt sie – besonders für enttäuschte Bernie-Sanders-Wähler – als echte Alternative erscheinen. In einem offenen Brief haben zwei Dutzend ehemalige Team-Bernie-Mitarbeiter Sanders aufgefordert, zu erwägen, im Herbst als Unabhängiger zusammen mit Jill Stein zu kandidieren. »Meinungsumfragen zeigen«, heißt es da, »dass Hillary Clinton eine unglaublich schwache Kandidatin ist. Sie besitzt nicht die nötige Glaubwürdigkeit, der gefährlichen Anziehungskraft eines Donald Trump kraftvoll zu begegnen.«Doch Jill Stein hat begriffen, dass Sanders bei den Demokraten bleibt und hat sich inzwischen entschieden. Anfang August stellte sie in Houston, Texas, beim Nominierungsparteitag den Human-Rights-Aktivisten Ajuma Baraka als ihren Stellvertreter vor.

 

Wer ist Jill Stein?

Vor dem Parteitag der Demokraten in Philadelphia konnten 85 Prozent der Amerikaner mit dem Namen der grünen Präsidentschaftskandidatin nichts anfangen. Das änderte sich schlagartig, als enttäuschte Bernie-Sanders-Delegierte nach Clintons Nominierung den Konvent reihenweise den Rücken kehrten. »Jill, not Hill...Jill, not Hill« scholl es wieder und wieder aus den Katakomben des Wells Fargo Centers.

Bevor der Trauerzug, auf Geheiß der verärgerten demokratischen Choreographen, ausgeblendet wurde, hatten an die 20 Millionen Zuschauer gesehen und gehört, dass es 2016 noch eine andere Kandidatin gibt:Jill Stein, die Präsidentschaftskandidatin der amerikanischen Grünen (GPUS). Dass Stein vor vier Jahren schon einmal kandidierte und 470 000 Wähler (0,3 Prozent) von sich und vom Green-New-Deal-Kontrastprogramm überzeugte, ist nicht vergessen,sondern war, dank Medienzensur, nie ins öffentliche Bewusstsein gelangt. Mit Bernie Sanders Kandidatur wurde ja genauso verfahren.

 

Gefahr für Hillary?

Die zweite Runde sieht unvergleichlich besser aus für die 66jährige Ärztin aus dem Bundesstaat Massachusetts. Jill Stein und die US-Grünen haben von der tiefen Unzufriedenheit der Wähler mit den beiden großen Parteien und ihren historisch unpopulären Bannerträgern Clinton und Trump enorm profitiert. In den Meinungsumfragen liegen die Grünen dieser Tage zwischen drei und fünf Prozent. Das klingt nicht überwältigend, könnte Hillary aber durchaus gefährlich werden,wenn es am Ende knapp werden sollte gegen Donald Trump.

Erheblich beigetragen zum Sprung nach vorn hat der landesweite Exodus von Hardcore-Sanders-Wählern. Mit Hillary will das ‘Bernie-or-bust’-Camp sich einfach nicht abfinden. Denn für ihre ‘politische Revolution’ sehen diese Aktivisten bei den Demokraten keine Zukunft – sehr wohl jedoch bei den Grünen. Für Ex-Sanders-Unterstützer wie den 24jährigen Jeremy Dolan aus Florida ist die Flucht zu den Grünen die Rettung. »Hillary kommt für mich nicht infrage. Ich traue ihr nicht. Ich habe Jill Steins Kampagne schon 1000 Dollar gespendet.«

Die Grünen-Chefin sieht sich offensichtlich als legitime Erbin der Bernie-Bewegung. »Ich bin euer Plan B. Wir werden weiterkämpfen für diese Revolution«, verspricht Stein verbitterten Sandinistas am Rande des Parteitags in Philadelphia. Dass Sanders seine Revolution keineswegs aufgegeben hat, versucht sie zu ignorieren. Ihr grünes Auffangbecken steht parat: »Bernie Sanders hat gezeigt, welche Kraft in dieser Bewegung steckt und wie viel Druck sie ausüben kann. Diese Energie, diese Aktivisten sind jetzt zu uns gestoßen. Sie überfluten uns geradezu. Sie haben ihren Platz in einer Partei gefunden,die ihre Revolution unterstützt und fortführen wird.«

 

Grünes Parteiprogramm – attraktiv für Sanders-Wähler

In der Tat ist die grüne Agenda, abgesehen von mehr pazifistischen Positionen, nahezu identisch mit den Eckpunkten von Sanders’ ‘politischer Revolution’. Auch Stein will die Macht der großen Banken brechen. Auch sie plädiert für eine allgemeine Krankenversicherung und eine Umweltpolitik, die Folgen des Klimawandels Priorität gibt. Manche Positionen sind sogar links von Sanders angesiedelt: Stein will eine Rassismus-Diskussion, die Reparationszahlungen an schwarze Amerikaner aufnimmt, fordert einen Schuldenerlass für Amerikas Studenten,will Militärausgaben halbieren, Militärstützpunkte im Ausland schließen, Drohnen abschaffen sowie Militärhilfe für Israel streichen. Hillarys Strategen haben das Programm als »extrem und verantwortungslos« abgelehnt und bei den Trumpisten war auch kein Eindruck zu schinden. Aber am 8. November werden außer Demokraten und Republikanern auch Amerikas Unabhängige zur Wahl schreiten. Sie werden die Wahl entscheiden, denn die Independents zählen an die 4o Millionen Wähler. Nach jüngsten Umfragen (CNN/ORC) wollen 19 Prozent der Unabhängigen nicht für Hillary Clinton stimmen.

Der massive Block der ‘Independents’ könnte den Grünen zu einem historischen Durchbruch verhelfen – wenn er sein Heil nicht bei Gary Johnson und dessen vergleichsweise konservativen Libertarian Party sucht. Auch Johnson, ehemaliger Gouverneur von Neu Mexico, hat 2016 von der unstabilen politischen Gemengelage profitiert. In den Umfragen liegen die Libertären manchmal schon bei 8–10 Prozent. Vor kurzem durfte Gary Johnson sogar bei »Meet The Press« auftreten, eine der sonntäglichen TV-Politshows, die sogenannte ‘Third Party Candidates’ traditionell ignorieren oder nur ins Spiel bringen, um sie als »spoiler« – Spielverderber – zu beschimpfen.

 

Spielverderber?

Weder Gary Johnson noch Jill Stein sehen sich als spoiler. Sie halten Amerikas korruptes, in den Grundfesten erschüttertes Zweiparteiensystem für schrottreif. Amerika habe das Recht auf einen Mehrparteienstaat. Es verdiene,vom gesamten politischen Spektrum zu hören, sagt die grüne Parteivorsitzende: »Ich fände es schrecklich, wenn Trump gewinnen würde, und genauso schrecklich wenn Clinton gewinnen würde – aber noch schlimmer ist für mich ein politisches System, das uns zwei gleichermaßen fatale Optionen gibt.«

Steins Kritik an der ‘anderen’ Kandidatin ist harsch: »Diese grässlichen Dinge, von denen Trump spricht, die hat Hillary schon in die Tat umgesetzt. Ob es um die massive Deportation von Einwanderern geht oder die Drohung mit einem Atomkrieg oder mehr als die Hälfte unseres Staatshaushalts für Militarismus auszugeben. Die Hälfte unserer Einkommensteuer geht für militaristische Zwecke drauf. Was haben diese Kriege gegen den Terror gebracht? Mehr Terrorismus, kaputte Staaten und endlose Flüchtlingsströme.«

Ist Hillary Clinton wenigstens als Feministin eine Option? Nicht für Jill Stein: »Ich halte es für eine Beleidigung des Feminismus-Konzepts, zu behaupten dass Hillary Clinton – und ihre Parteinahme für Krieg, Wall Street und die ausbeuterische Walmart Wirtschaft Feminismus repräsentieren.« Stein fügt noch ein Sätzchen hinzu: »Wir können sicher sein,dass Hillary nicht mit Wohlwollen auf eine andere weibliche Kandidatin sieht, die bei dieser Wahl tatsächlich die Progressive ist. Wir verkörpern eine sehr unangenehme Wahrheit.«

 

Nahziel und Fernziel

Nicht, dass es für Jill Stein keine unangenehmen Wahrheiten gäbe. Sie hofft zwar, dass Bernie Sanders eines Tages doch noch zu ihr stößt und auf dem grünen Ticket kandidiert, aber sie weiss es eigentlich besser. So wie Sanders schon vor Monaten versprochen hatte, im Falle seiner Niederlage Hillary zu unterstützen, so hat er seinen Anhängern versprochen, die Revolution innerhalb und außerhalb der Demokratischen Partei weiterzuführen.

Mit Bernie Sanders im Gespann hätte Jill Stein sich ihren größten Wunsch im Handumdrehen erfüllen können: die Teilnahme an den TV-Präsidentschafts-Debatten. Als Kandidat einer Dritten Partei darf bei den Debatten nämlich nur dabei sein, wer in der Wählergunst auf 15Prozent kommt.!5 Prozent kann aber nur eine Partei erreichen, die Super-Pacs und Corporate Amerika hinter sich hat. Weil die Grünen Unternehmer-Spenden ablehnen und in den Medien so gut wie nie repräsentiert sind, ist die 15-Prozent-Hürde unüberwindlich.

Möglicher Lichtblick für Jill Stein: Wenn die Grünen am 8. November die 5-Prozent-Hürde schaffen, qualifizieren sie sich für Bundesgelder bei der nächsten Wahl. Das wäre eine völlig veränderte Situation, »denn dann müssten wir nicht mehr unsere ganze Zeit dafür opfern, auf die Wählerlisten in allen 50 Bundesstaaten zu kommen. Diese Kämpfe um Zugang auf die Listen haben unsere Parteikasse total geleert. Mit Bundesgeldern könnte unsere Kampagne viel größer rauskommen«.

Vielleicht läuft es für Jill Stein in diesem Herbst aber trotz Loch in der Kasse besser als gedacht. Es kursieren Gerüchte, dass Stein und Gary Johnson eine zweiwöchige nationale TV-Debattentour planen. Moderieren soll,wie es heißt, Larry King, ein unvergessener Talkshowmaster der achtziger Jahre. Stein und Johnson könnten den noch unentschiedenen Wählern etwas bieten,was sie bei Trump versus Clinton so schnell nicht finden werden:Eloquenz, Disziplin, Sachverstand, Kontext, Fairness. Beide Kandidaten würden sich, ihrer Partei und den Wählern mit so einer Get-to-know-me-Tour einen großen Gefallen tun. Stein sagt schon jetzt: »Was ich nicht genug unterstreichen kann, ist die Energie und Macht einer Generation, der man die Zukunft blockiert, das Einkommen gekappt und die Rückzahlung ihrer Schulden unmöglich gemacht hat. Ich würde ihre Fähigkeit, sich selbst zu mobilisieren, nicht unterschätzen.«

Für diese Generation, sofern sie nicht bei Bernie geblieben ist, klingt Jill Steins Plan B höchst attraktiv.

Foto: Dr. Jill Stein, Ärztin und US-Grüne: Sie könnte eine Gefahr für Hillary Clinton werden und ungewollt zum Erfolg von Donald Trump beitragen. (Foto: pa/AP Photo/Alex Brandon) (c) Publik-Forum

Dr. Jill Stein, Ärztin und US-Grüne: Sie könnte eine Gefahr für Hillary Clinton werden und ungewollt zum Erfolg von Donald Trump beitragen. (Foto: pa/AP Photo/Alex Brandon)

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Dr. Jill Stein, Ärztin und US-Grüne: Sie könnte eine Gefahr für Hillary Clinton werden und ungewollt zum Erfolg von Donald Trump beitragen. (Foto: pa/AP Photo/Alex Brandon)

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