Drucken
Kategorie: Zeitgeschehen

Ein persönlicher Nachruf auf Ernst Nolte (11. 1. 1923 – 18. 8. 2016), Teil 1/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn ein Mensch stirbt, tot ist, hat man Hemmungen, gegen den Toten, bzw. von ihm vertretene Positionen dann auch noch mit Argumenten nachzutreten, so ganz im Sinne von de mortuis nil nise bene.


Also liegt mir in diesem Fall das Schweigen nahe. Und wie ich weiß, nicht nur mir, sondern all denen, die im Leben mit ihm einen Streit, einen ganz gewissen Streit, den Historikerstreit – kulminierend 1986/87 – ausgefochten haben. Denn der wurde – entgegen der Thesen von Ernst Nolte, der ihn losgetreten hatte - zum Wendepunkt einer Diskussion über die Einschätzung des Nationalsozialismus und die im deutschem Namen verübten Verbrechen, in vorderster Linie die Judenverfolgen, Judenvernichtung, Ausrottung der Juden mit Hilfe des industriell organisierten Massenmords unter Beteiligung der Bauindustrie, die die Konzentrationslager mitsamt der Gaskammern errichtet hatten, der IG-Farben, hier Farbwerke Hoechst (Zyklon B), der Deutschen Reichsbahn (Transporte in die KZs) und vieler anderer, deren Rolle gesellschaftlich immer noch nicht aufgearbeitet ist, von dem am Massenmord beteiligten Personal ganz abgesehen, denen erst 75 Jahre nach ihrer Beteiligung von deutschen Gerichten klipp und klar gesagt wird, daß allein die Beteiligung an der Mordmaschinerie Konzentrationslager reicht, um als Mittäter zu gelten und wegen Beteiligung an den Morden juristisch vor Gericht belangt werden zu können.

Dies ist kein abgeklärter Nachruf, der auf das Leben eines Menschen und eines Wissenschaftlers Bezug nimmt, sondern eine Momentaufnahme, welche Lawine der am 6. Juni 1986 veröffentliche Beitrag von Ernst Nolte VERGANGENHEIT, DIE NICHT VERGEHEN WILL in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) in Gang setzte, die für mich persönlich bei einem Israelbesuch im gleichen Jahr kulminierte, aber auch Klarheit brachte, wohin unsere Reise in Deutschland geht, bzw. gehen sollte.

Ich gehöre zu denen, die unter dem Nachfaschismus und dem militanten Antikommunismus der Bundesrepublik der Nachkriegszeit regelrecht gelitten hatten, obwohl kein Familienmitglied in der einen (Judenverfolgung) oder anderen (Verfolgung von Kommunisten) Weise berührt war. Wenn man mal davon absieht, daß meine Wiener Tante, die ein Jahr bei uns in Frankfurt lebte, hier mit Sondergenehmigung die französische L'Humanité bezog, was sie als Ausländerin durfte, während kommunistisches „Zeugs“ für die Normalbevölkerung genauso verboten war, wie eine Mitgliedschaft in der KPD, erst nur vom sozialen Klima her, dann auch durch das Bundesverfassungsgericht, genau vor 70 Jahren.

Ich habe als Kind und Jugendliche deshalb unter den Altnazis, die ich überall erlebte: in der Schule als Lehrer, als Eltern von Mitschülern, in der Straßenbahn als Aufpasser, auf der Straße als Mob, gelitten, weil ich aus erst kindlichen, dann jugendlichen Gerechtigkeits- und Freiheitsgefühlen mit dem, was ich vom Nationalsozialismus hörte, nicht einverstanden war und einfach ein anderes Vater- und Mutterland wollte, als diese Leute es mir bieten wollten. Bis heute finde ich es einen Skandal, daß nicht genug darüber hergezogen wird, daß diese Nazis uns die deutsche Kultur geklaut haben. Denn sie haben schon in den Zwanziger Jahren, dann nach der Machtergreifung rabiat die Leute aus ihren Stellen vertrieben, bzw. ihnen das Weiterarbeiten unmöglich gemacht, die für mich kulturelle Leuchttürme sind. Sie haben sie gemordet oder ins Exil getrieben und ihre Bücher verbrannt. Selbst die deutschen Volkslieder haben sie über Generationen vergewaltigt und damit das selbstverständliche miteinander Singen lange vermiest. Daß ich von zu Hause aus in einer ethischen Grundierung des Lebens, erzogen worden war, wurde mit erst später klar.

Als uns Jugendliche  in Frankfurt 1965 der Hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer – sowieso eine der wenigen Lichtgestalten dieser Zeit -  dazu aufrief, nach Bonn zu den Studentendemonstrationen gegen die drohenden und 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze zu fahren und mitzudemonstrieren, wurde das meine persönliche Initiation in politisches Handeln, wenn nämlich der Zeitpunkt da ist, wo man in einer Demokratie deutlich seine Meinung sagen muß. Dann kam die Studentenbewegung mit einer breiten Pallette an Orientierungen, wo es erneut innerhalb einer angeblichen Linken autoritäre Führungsstrukturen – immer Männer! - gab. Alles lächerlich und von der Zeit erledigt.

Was aber spätestens mit der Studentenbewegung auch erledigt war, das war bei den Deutschen, die die Nazis und den Krieg mitgemacht hatte, noch so was wie Unschuldsvermutung zuzulassen. Jemand wie ich wollte von jedem wissen, was er damals getan, bzw. nicht getan hat. Und solche wie ich gab es viele. Es war also gesellschaftlich klar gestellt – und jetzt kommen wir wieder zu Nolte -, daß der Nationalsozialismus  als Konstrukt und als Tat widerlich, widernatürlich, für Deutschland schädlich war und niemals wiederkehren dürfe. Und es war auch klargestellt, daß dies die Haltung einer sich von links bis liberal fühlenden Bevölkerung war, die mit solchen Begriffen wie Helmut Kohls GNADE DER SPÄTEN GEBURT nichts anzufangen wußte, im Gegenteil, es war klar gestellt, daß die BRD weiterhin und jetzt erst recht die moralische, soziale und rechtliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus betreiben müsse, im Brechtschen Sinne, „der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Fortsetzung folgt

 

Foto: Ernst Nolte (c) tagesschau.de