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Kategorie: Zeitgeschehen

Interview mit Wolf Biermann, der zu seinem Achzigsten seine Autobiographie "Warte nicht auf bessere Zeiten" herausgebracht hat, Teil 1/4


Yves Kugelmann


Hamb urg (Weltexpresso) - Mit «Warte nicht auf bessere Zeiten!» gelingt Wolf Biermann kurz vor seinem 80. Geburtstag ein wichtiges Buch über Deutschland, ein Bühnen- und Leben zwischen Fronten. Ein Gespräch über Entwicklungen, Menschen, Geschichten



tachles: 80 Jahre zwischen zwei Buchdeckeln – der Liedermacher, Lyriker, scharfe Beobachter und Chronist, der Verbotene und letztlich sich wandelnde Wolf Biermann. Viele Leben in einem. Was haben Sie bei der Lektüre gedacht?

Wolf Biermann: Es ist kein Scherz – ich habe das Buch nicht gelesen. Ich habe zwar jedes Wort geschrieben, aber das Buch gemacht hat Pamela, meine Frau und Dramaturgin des Buches. Mir hätte die Ausdauer dazu gefehlt. Ich bin Dichter. Ich kann nicht Marathon laufen, aber Kurzstrecken, die Gedichte. Und im Fall des Buches heisst das: Ich kann Episoden schreiben, aber nicht sie zusammenfügen.



 Sie haben über viele Jahre an der Autobiografie geschrieben.
 

Ja, aber ich habe das Buch auch jahrzehntelang vor mir hergeschoben. Seit 1983, als mir Manès Sperber in Paris meinen kommunistischen Kinderglauben wie einen vergammelten Backenzahn gezogen hat. Er war in den zwanziger, dreissiger Jahren Kommunist und berühmt als Verräter. Sein Buch von 1975 über Sozialpsychologie war für mich eine Erleuchtung. Er war der einzige, von dem ich mir meinen kommunistischen Backenzahn ziehen lassen wollte. Und es hat gar nicht wehgetan! Denn er sagte zu mir, dass ich in meinen Gedichten und Liedern politisch, geistig und moralisch viel weiter sei als in meinem Selbstverständnis als Kommunist. Das war ein wunderbares Betäubungsmittel!



 Und doch waren Sie früher von Regimen und Denksystemen, die heute praktisch niemand mehr verstehen kann, fasziniert.

 
Man kann nur mit etwas brechen, was man hat. Leute, die Sachen wegwerfen, die sie nie in der Hand hatten, sind Scharlatane. Oder Schaumschläger.



 In der Biografie schreiben Sie: «Wir haben das richtige Leben in der falschen DDR gelebt». Wie schlecht war die DDR jenseits des Regimes?


Ja, diese Passage ist ein Spott auf Theodor Adorno und dessen berühmten Satz, wonach es kein richtiges Leben im Falschen gibt. Die DDR war noch viel schlechter, aber auch viel besser. Sie war beides mehr, und beides wissen die gutwilligen Alternativlinken im Westen nicht. Nicht, weil sie dumm sind, sondern weil sie die Erfahrung nicht haben.

 


 Neu ist für viele jüngere Leserinnen und Leser ein Deutschland, das so lange nicht zurückliegt und doch nicht mehr im Bewußtsein ist.

Für solche Leute, die nicht das Glück oder Unglück hatten, dieses Deutschland selber zu erfahren, schreibt man ja so ein Buch. Günter Wallraff sagte einmal zu mir: «Wolf, man muss nicht durch jede Jauchegrube schwimmen, um zu wissen, was Scheisse ist.» Es ist eine Grundlage für die Entwicklung jeder menschlichen Gesellschaft, dass man sich Erfahrungen anderer Leute einverleibt. Wobei man sie dabei natürlich missversteht, so gut man kann! Denn man erkennt nur das, was man kennt. Am Beispiel meiner Biografie können die Nachgeborenen trainieren, ihren Blick zu schärfen, damit dieser gemeine Satz über das Erkennen positiv zur Wirkung kommt.

 


 Zur Einordnung dennoch die Frage: Wie gefährdet durch Haft oder Schlimmerem waren Sie ganz konkret durch das DDR-Regime, das sie ein Jahrzehnt verboten hat?

Viel mehr und viel weniger, als die Leute denken müssen, die nicht dabei waren. Wir lebten fröhlicher als unsere Todfeinde, die SED-Bonzen. Und meine Berühmtheit, die ich zum Glück erlangt hatte, war sehr hilfreich, weil sie war eine Art Verstärkeranlage hatte – im Guten wie im Schlechten, übrigens. Sie hat jedenfalls die Bonzen davon abgehalten, mich mal einzusperren, weil sie Angst haben mussten, dass der Klassenfeind im Westen das bemerkt und in die Welt posaunt. Aber die «Massnahmepläne zur Zersetzung» gegen mich waren nicht von Pappe: Das reichte von Manipulierung des Autos über falsche ärztliche Behandlung bis hin zu Zerstörung aller Freundschafts- und
Liebesbeziehungen.



Sie beschreiben, dass sie von mehr als 200 verschiedenen Leuten bespitzelt wurden.

Ja, aber nicht alle haben das systematisch betrieben. Viele haben mich ein oder zweimal zufällig getroffen und ihren Bericht darüber abgeliefert. Jene, die sich wirklich intensiv um mich gekümmert haben, waren ungefähr ein Dutzend.

 

 Wie bewusst waren Sie sich zu jener Zeit darüber, dass Sie in Gefahr und permanent unter Beobachtung waren?

Natürlich war mir klar, dass ich bespitzelt wurde, meine Wohnung von oben bis unten verwanzt war, mein Telefon ein Stasiohr, die Post abgefangen und kontrolliert ... Aber die Zeit war viel gefährlicher, als ich es wahrhaben wollte – ein kindlicher, ganz automatischer Selbstschutz. Im Kopf wusste ich es, aber das Herz wollte es nicht wahrhaben. Das gibt’s bei jedem Liebeskummer, auch bei jenem mit der Menschheit, nicht nur mit einzelnen Menschen. Angst hatte ich immer, ich bin ja kein Idiot. Die grosse Gefahr war aber, dass die Angst mich hat – und nicht ich die Angst. Das heisst, dass die Angst mich überwältigt, mich bestimmt.



 Angst wovor konkret?

Angst hatte ich nicht vor der Stasi, sondern vor der SED, dem Politbüro. Denn dort fielen die Entscheidungen, nicht bei der Stasi. Ich fürchtete beispielsweise eine Zeitlang, dass man mir meine Tagebücher, die ich immer geführt habe, wegnehmen würde. Mein Freund Reimar Gilsenbach, dem ich dies eines Abends im Sommer vor meiner Ausbürgerung erzählte, bot an, die Tagebücher mitzunehmen und zu verstecken. Wir packten die Bücher in zwei mittelgrosse Koffer, und er schlich nachts um eins durch den Hinterausgang, denn vor meiner Tür standen sie ja, die Spitzel. Es ist lähmend, bedrückend, schrecklich zu wissen, dass einen sechs Spitzel vor der Tür Tag und Nacht bewachen. Aber es ist natürlich auch ein Vergnügen, sie zu täuschen.



 Was ist mit den Tagebüchern geschehen?

Gilsenbach brachte sie in ein Dorf außerhalb Berlins, wo er sie aufbewahrte. Und ich habe mich tatsächlich, nachdem ich dann ausgebürgert worden war, nicht ein einziges Mal daran erinnert, dass er meine Bücher hat! Komplett verdrängt! Nach dem Zusammenbruch der DDR 1989 kam Gilsenbach zu mir und sagte mir: «Du, ich hab ja noch all deine Bücher …» Und plötzlich fiel es mir siedend heiss wieder ein und ich freute mich sehr. Aber als ich 1992 in meinen Stasi-Akten las, stiess ich zufällig auf den Namen Gilsenbach, und da steht doch, dass er Spitzel der Stasi war! Ich kriegte einen Todesschreck. Ich verstand die Welt nicht mehr. Man erkennt doch einen Menschen an seinen Taten, nicht an den Akten – die Akten lügen, dachte ich. Und ich blätterte weiter und sah, dass die Akten nicht lügen. Sie sind deutsche Wertarbeit, alles ist ordentlich. Wie es ganz genau war mit Gilsenbach und der Stasi, steht in meinem Buch. Er war ein tapferer Mensch. Und 1992 las ich dann folgendes: Unter dem zersetzenden Einfluss von Biermann ist Gilsenbach gegenüber dem MfS unehrlich geworden und für eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zu gebrauchen. Auf der nächsten Seite fand ich drei Maßnahmen gegen ihn: Wohnung in Berlin kündigen, damit er hier nicht länger sein Unwesen treibt; keine Nachauflagen seiner Bücher – darunter ein DDR-Bestseller –, damit er keinen Verdienst mehr hat, und seine Tochter durfte nicht studieren.



 Im Sommer ist Margot Honecker gestorben. Hatte das für Sie noch eine Bedeutung?

Nein, gar keine. Sie war schon Anfang der fünfziger Jahre gestorben, sie lief nur noch als politische Leiche auf zwei Beinen herum. Natürlich war sie ideologisch wichtig für das Regime, und ich sah sie aus kommunistisch-familiären Gründen mit einem gewissen Wohlwollen. Sie war übrigens absolut ehrlich, nie eine Lügnerin. Dazu war sie zu simpel und nicht durchtrieben genug. Hochintelligent, aber sehr ungebildet.



Es gab immer die Legende, dass sie Sie gedeckt hat.

Das erzählen entweder Stasi-Spitzel, die ihren Job der Verleumdung und Rufschädigung – auch eine Massnahme der Zersetzung -– ohne oder mit Bezahlung noch weiter machen, oder Naivlinge. Wer sagt, dass sie mich gedeckt hätte, beweist damit, dass er in Bezug auf die Einschätzung einer Diktatur, eines totalitären Regimes unter dem Firmenzeichen «Kommunismus» keine Ahnung hat. Denn selbst wenn sie es gewollt hätte, sie hätte es nicht gekonnt – absolut ausgeschlossen.



 Waren Ihre Lieder oder Sie selbst der erste Riss in der Mauer, die 1989 ganz fiel?

 

Das ist stark unter- und übertrieben. Man muss es nur richtig missverstehen … Niemals bricht irgendein Regime zusammen, weil ein junger Mann mit Gitarre in den Westen oder in den Kerker von Bautzen gefeuert wird. Nicht die Ausbürgerung eines jungen Mannes mit Gitarre war der Beginn des Endes, sondern die unerwartete Protestbewegung in der DDR dagegen. Weder die Herrschenden noch wir konnten uns vorstellen, was passiert, wenn ich nicht wieder reingelassen werde. Dass 13 Schriftsteller mit einer Petition, und Tausende junger Leute – massenhaft und zum ersten Mal überhaupt – dagegen protestierten und dafür von der Uni oder Arbeit flogen oder ins Gefängnis kamen, das ahnte davor niemand …



 Einer dieser Herrschenden war Gregor Gysi. Immer wieder haben Sie auf seine Stasi-Vergangenheit hingewiesen, die er bis heute in dieser Form negiert. Spitzel waren viele. Doch aufgearbeitet wollten diese es nicht haben.

 
Unter uns gesagt: Mich interessiert es auch nicht. Dass einer Spitzel war, kann mich nicht erschüttern. Mich erschüttert hingegen, dass Gysi es geschafft hat, die Erben der Diktatur elegant in die neue Zeit, nach dem Zusammenbruch der DDR, zu retten, mit ihrem geistigen und erheb-lichen materiellen Eigentum – dem Raub aus Jahrzehnten. Das hat er wirklich hervorragend gemacht, und das ist aus meiner Sicht sein Verbrechen. Denn: Als juristische Person ist Die Linke heute immer noch die SED-Partei, die da im Parlament sitzt.

 


Es war nach 1949 dann 1989 das zweite Mal, das ehemalige Funktionäre und Verantwortliche aus dem Regime als Bundestagsabgeordnete einsitzen, mit Immunität und allem drum und dran.

 
Ja, und das war auch der Grund, warum ich ungeplant extemporiert, improvisiert habe, als ich vor ungefähr einem Jahr im Bundestag eingeladen war. Bei dieser Einladung ging es um den 25. Jahrestag des Mauerfalls, ich war eingeladen ein Lied zu singen. Der Plenarsaal war voll, und ich sehe links neben mir die PDS/Linke und Freund Gysi, der immerhin gekommen war und die Lippen zusammenpresste. Zwei Stufen über ihm sehe ich zudem den ehemaligen Spitzel Dieter Dehm mit blödem Grinsen sitzen, den Günter Wallraff mir kurz nach meiner Ausbürgerung als Manager und Konzertorganisator vermittelt hat. Als ich den dort lümmeln sah, riss es mich in die Improvisation. Und dann habe ich diese Geschichte geliefert, die im Fernsehen zu sehen war. Das war schon sehr komisch.  Fortsetzung folgt

 

Foto:

Wolf Biermann (r.)zusammen mit Robert Havemann, Regime-kritiker und Philosoph, in Ost-Berlin im Jahr 1975 (c) tachles

 

Info: Abdruck aus tachles, dem jüdischen Wochenmagazin vom 7. Oktober 2016

Wolf Biermann «Warte nicht auf bessere Zeiten»,
Propylän Verlag, 2016. Dazu parallel eine Auswahl von 120 Gedichten: «Im Bernstein der Balladen»,
Propylän Verlag, 2016. Im November erscheint die CD «… paar eckige Runden drehn!», Wolf Biermann & Pamela Biermann und ZentralQuartett – Biermann meets Jazz!