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Kategorie: Zeitgeschehen

Was es mit dem Breitscheidplatz in Berlin auf sich hat

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Ob ihnen der Name Breitscheid etwas sage, fragte ich neulich im Supermarkt einige Kunden. Zwei sahen mich verständnislos an, der dritte stutzte und meinte dann, ja, das sei doch der vom Weihnachtsmarkt neulich in Berlin. Da gab ich es auf.

Weit davon entfernt, die Umfrage als repräsentativ zu betrachten, frage ich mich seither, ob unseren Medien bei der Berichterstattung über den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt entgangen ist, dass der Ort des Geschehens, also der Breitscheidplatz, an ein dunkles Kapitel der deutschen Vergangenheit erinnert. Er ist nämlich nach dem sozialdemokratischen Politiker Rudolf Breitscheid benannt, einem der prominentesten  Opfer des Verfolgungswahns der nationalsozialistischen Machthaber.  Hundert- oder vielleicht tausendmal tauchte der Breitscheidplatz nach dem 19. Dezember in den Nachrichten auf, ohne dass jemals auf den Ursprung des Namens hingewiesen worden wäre.

Dabei wird doch behauptet, kein europäisches Land habe seine Vergangenheit so vorbildlich aufgearbeitet wie Deutschland. Tatsächlich wurden in zahlreichen Städten und Gemeinden Straßen und Plätze nach Rudolf Breitscheid benannt. Auf Bundesebene hingegen geschah wenig oder nichts zur Erinnerung an den namhaften Sozialdemokraten. Anders als in der DDR wurde in der Bundesrepublik keine einzige Briefmarke mit dem Konterfei Rudolf Breitscheids aufgelegt. Diese Ehre widerfuhr zwar der glühenden Hitler-Verehrerin Agnes Miegel, nicht aber dem von den Nazis vertriebenen Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Deutschen Reichstag Rudolf Breitscheid.

Als außenpolitischer Sprecher seiner Partei hatte sich Breitscheid bereits vor der Machtübernahme durch die Nazis deren Hass zugezogen. Um der Verhaftung zu entgehen musste er Deutschland im März 1933verlassen. Er emigrierte zunächst in die Schweiz und vn dort aus nach Frankreich. Dort spielte er  eine maßgebliche Rolle bei der Sammlung der in zahlreiche Gruppen zersplitterten deutschen Opposition. Erstmals fanden sich Kommunisten, Sozialdemokraten,  Revolutionäre Sozialisten, Vertreter der Sozialistischen Arbeiterpartei, emigrierte Schriftsteller und Exponenten der bürgerlichen Opposition zum gemeinsamen Kampf gegen Hitler bereit.

Im Juli 1935 konstituierte sich ein Vorläufiger Ausschuss zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. Die weiteren Vorbereitungen wurden einer Kommission übertragen, der von sozialdemokratischer Seite Rudolf Breitscheid und der saarländische SPD-Chef Max Braun angehörten, während die Kommunisten durch Willi Münzenberg und Herbert Wehner vertreten waren. (Lexikon des deutschen Widerstandes, S. Fischer 1994, S. 172 f.)  Das Vorhaben scheiterte am Ende an  unterschiedlichen politischen Vorstellungen. Immerhin erreichte  Breitscheid im September 1938, dass die „Zentralvereinigung deutscher Emigranten“ vom Völkerbund, dem Vorläufer der Vereinten Nationen, als offizielle Vertretung deutscher Flüchtlinge anerkannt wurde.

Nach dem Angriff der Armeen Hitlers auf Frankreich floh Breitscheid in den unbesetzten Süden des Landes. Dort wurde er verraten und am 11. Februar 1941 von den Behörden der mit den Nazis kollaborierenden Vichy-Regierung an die Geheime Staatspolizei des Deutschen Reiches ausgeliefert wird. Zehn Monate verbrachte er zunächst im Gestapo-Gefängnis in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße, ehe er zusammen mit seiner Frau in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert wurde. Von dort aus verbrachte man ihn im September 1943 nach Buchenwald, wo er zusammen mit seiner Frau in einer streng bewachten Baracke außerhalb des eigentlichen Konzentrationslagers interniert wurde.

Bei einem alliierten Luftangriff auf einen benachbarten Rüstungsbetrieb wurde Breitscheid am 24. August 1944 verschüttet und nach Angaben von Mitgefangenen tot aufgefunden. Seine Frau konnte schwer verletzt geborgen werden. Rudolf Breitscheids Grab befindet sich auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf bei Berlin. In der Berliner Gedenkstätte der Sozialisten ist sein Name auf einer Gedenkplatte im zentralen Rondell verzeichnet.

Foto: Rudolf Breitscheid (c) dhm.de