Populismus und Sozialdemokratie

Chantal Mouffee und N.N.

München (Weltexpresso) - Im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“ hat die aus Belgien stammende Professorin für Politische Theorie an der University of Westminster in London, Chantal Mouffe, die Ursachen des Aufkommens rechtspopulistischer Bewegungen analysiert und wichtige Denkanstöße für die notwendige Debatte über das Verhalten der europäischen Linken gegenüber diesen Bewegungen gegeben. (Süddeutsche Zeitung, 29. 12. 2016, S. 11). Nachstehend eine Zusammenfassung. Die Redaktion


In Europa und Amerika fragen sich viele, ob man die rechten populistischen Bewegungen und Parteien als faschistische bezeichnen sollte. Halten Sie den Begriff für brauchbar?

Nein, ich halte weder den Begriff „Faschismus“ noch den Begriff „rechtsextrem“ für richtig. Wir müssen verstehen, was neu ist an dieser Situation, und wenn wir einen alten Begriff wie „Faschismus“ benützen, dann tun wir so, als wüssten wir bereits, was hier geschieht…Vor allem aber ist die Bezeichnung“ „Faschisten“ eine moralische Verdammung und keine politische Auseinandersetzung…Anstatt Diskussion zu verweigern, müssen wir im Dialog verstehen, warum ein so großer Teil der Unterschicht, die früher Sozialdemokraten gewählt haben, jetzt diese Parteien wählt.



Warum scharen sich die frustrierten Menschen der einstigen Arbeiterklasse denn nicht mehr um eine linke Partei, die früher ihre Interessen zu vertreten schien?

Dafür sind die sozialdemokratischen Parteien verantwortlich. Die Deindustrialisierung in Europa hat die Arbeiterklasse von den positiven Effekten der Globalisierung nicht profitieren lassen Die Sozialdemokraten aber haben in den letzten Jahrzehnten allesamt den Standpunkt bezogen, es gäbe keine Alternative zum neoliberalen Kapitalismus und zur Globalisierung. Da ist es nicht erstaunlich, dass für ihre ehemaligen Wähler rechtspopulistische Parteien attraktiv werden, deren zentrales Argument ist, sie seien die einzige Alternative zum System.



Eine Ihrer provokantesten Thesen lautet, dass der rechte Populismus die größte Chance für eine neue demokratische Offenheit bietet. Was genau meinen Sie damit?

Der Neoliberalismus wurde zuletzt derartig dominant, dass alles in unserer Demokratie, das mit Gleichheit und Volkssouveränität zu tun hat, ausgelöscht wurde. Und diese Eliminierung der Gleichheitsforderung geht auf das Konto der Sozialdemokratie der Schröder- und Blair-Generation, die so taten, als bräuchten die Menschen nur die freie Wahl zwischen Angeboten, sei es bei Bildung oder Konsum…Um die Volkssouveränität wieder in ihrer Bedeutung ins Auge zu fassen, müssen wir den rechten Populismus ernst nehmen, sonst können wir keine vernünftige Kampagne für eine Volkssouveränität im Geiste der Gleichheit führen.



Was schlagen Sie konkret vor?

Der einzige Weg, um rechten Populismus zu bekämpfen, ist linker Populismus. Denn die Forderungen, die hinter dem Aufstieg der rechten Parteien stehen, sind absolut legitime demokratische Forderungen. Wenn ein linker Populismus das versteht und diese Menschen nicht einfach als Rassisten abtut, dann kann es gelingen, dieser Unzufriedenheit eine andere Form der Aussage zu geben.



Aber ist der Kern des Populismus nicht, dass er einfache Antworten für komplexe Probleme gibt? Wäre das als linke Alternative wirklich ein Segen?

Das Wort „Populismus“ wird von den Medien in einer sehr simplifizierenden Art benützt, als Synonym für Demagogie. Analytisch betrachtet ist Populismus aber nur eine politische Strategie, um eine Gegnerschaft zu benennen. Es ist kein Regime, keine Ideologie, es hat nicht einmal einen spezifischen Inhalt.

 


Warum sind linke Bewegungen dann so viel weniger erfolgreich als rechte?

Das muss nicht so bleiben. Ein erfolgreiches Beispiel ist die Partei Podemos in Spanien. Sie sind der Überzeugung, dass alle Menschen von den negativen Effekten der Privatisierung und der Beschränkung des Wohlfahrtstaates betroffen sind. Diese Menschen zu erreichen, das verstehe ich unter linkem Populismus. Einen kollektiven Willen zu schaffen, der die Arbeiterklasse mit den sozialen Bewegungen und den verarmenden Mittelschichten zusammen bringt.



Wenn man heutige linke Bewegungen betrachtet, stellt man fest, dass es ihnen an einem verständlich formulierten Feindbild mangelt. Mit dem Schlagwort „Neoliberalismus“ gewinnt man wohl kaum breite Bevölkerungsschichten.

Es ist definitiv so, dass es der Linken nicht gelingt, einen klar verständlichen Gegner zu benennen. Aber man kann die Menschen nicht gegen den Kapitalismus als solchen mobilisieren. Menschen lassen sich nur auf konkrete Ziele hin, die sie persönlich betreffen, mobilisieren. Gegen Privatisierung zum Beispiel oder gegen den Verlust der öffentlichen Kontrolle von allgemeinen Gütern. Also muss man die entscheidenden Säulen der bestehenden neoliberalen Hegemonie identifizieren und angreifen. Genau das ist es, was ein linker Populismus erreichen kann. Benennen, wo sich das bestehende Regime sich in Unterdrückung der Menschen verwandelt.



Die heutige Sozialdemokratie scheint von solchen Forderungen weit entfernt zu sein.

Leider ist die Sozialdemokratie im selben Moment kollabiert wie  das sozialistische Staatsmodell und hat sich selbst impotent gemacht. Sie ließen sich von ihrem politischen Gegner aufsaugen. Deswegen steckt sie in einer existentiellen Krise. Das Verwischen der Grenzen zwischen rechts und links, das die Sozialdemokraten als Errungenschaft feierten, ist eben genau das Gegenteil: Ein Desaster für die Demokratie, in der es ohne Gegner und Alternativen zu keiner produktiven Meinungsbildung kommt. Anstatt das System herauszufordern, haben sie sich zum aktiven Teil des Systems gemacht. Deswegen besteht kaum Hoffnung, dass die europäische Sozialdemokratie überlebt. Sie ist nicht mehr zu reparieren.



Was bräuchte eine neue Sozialdemokratie, um wieder als Alternative wahrgenommen zu werden?

Ein neues ökonomisches Programm. Man kann nicht gegen die neoliberale Globalisierung und Privatisierung sein, ohne etwas eindeutig anderes anzubieten…Initiativen wie das bedingungslose Grundeinkommen weisen da einen Weg.



Ist also Sozialismus als Kategorie genauso überflüssig geworden wie der Begriff des Faschismus?

Natürlich glaube ich, dass viele der ursprünglichen sozialistischen Forderungen nach wie vor wertvolle Ideen sind. Aber sie müssen neu formulierten werden und nicht mehr etikettiert als Sozialismus. Mit der Forderung, unsere Gesellschaft wieder radikaler demokratisch zu gestalten, kann man die Vorstellungen der Menschen eher erreichen. Und dafür brauchen wir dringend einen linken Populismus, der für mehr Demokratie kämpft.

 

Foto: Chantal Mouffee (c) wikipedia.de

Die Karikatur stammt aus dem Jahr 1969, zeigt alos, wie viel länger schon die falsche, bzw. zu niedrig dosierte Medizin dem Kranken verabreicht wird. Heute kann man einen anderen Kopf auf den Arztkittel stecken. Wir danken dem Zeichner Conrad Taler für die Erlaubnis zum Adruck, der dies in Das andere Deutschland Nr. 8/1969 veröffentlicht hatte.

Info: Zusammenfasssung des Interviews in der Süddeutschen Zeitung 29. 12. 2016, S. 11