Freiheit für Deniz Yücel und alle anderen in der Türkei inhaftierten Journalisten


Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie stellt man sich eigentlich bei der türkischen Polizei, den türkischen Gerichten den Beruf des Journalisten vor? Will er nämlich gute Arbeit machen, wenn er politischer Korrespondent ist, dann muß er sich in einem Land, über das er berichtet, nicht nur mit den Mächtigen und Jasagern, sondern auch der Opposition und Widersachern beschäftigen und ihre Meinung eruieren.



Es scheint der türkischen Regierung völlig egal zu sein, welchen Eindruck die Türkei beispielsweise in Europa macht, zu dem sie ja mal gehören wollten, was immer noch nicht vom Tisch ist. Die besondere Situation ist eben auch, daß nach diesem seltsamen Putsch vom letzten Jahr der Ausnahmezustand überhaupt nicht mehr aufhört. Als jetzt am 14. Februar in Istanbul Deniz Yücel als Korrespondent der WELT verhaftet wurde, rief das sofort Unverständnis hervor. Man erwartete eine schnelle Überprüfung der Haftgründe. Stattdessen hat die Polizei und das Gericht die Frist voll ausgeschöpft.

Denn erst am Montagabend hat der Untersuchungsrichter den bisher im Polizeigewahrsam Inhaftierten befragt. Hätte er das unterlassen, hätte die Polizei nach der Rechtslage den Journalisten freilassen müssen. So aber hat der besagte Richter für die Person Yücel festgestellt, daß dieser mit den Terroristen verbandelt sei, sie unterstütze und noch andere schlimme Sachen und ihn mit diesen Gründen in die Haft geschickt..

Vor dieser Entscheidung hat der türkischstämmige Journalist mit der doppelten Staatsbürgerschaft in der WELT AM SONNTAG einen interessanten Beitrag verfaßt. Dabei ist der Begriff ‚verfaßt‘ schon irreführend. Denn im Polizeigewahrsam darf nicht geschrieben werden. Was aber erlaubt ist, sind Aussagen des Gefangenen gegenüber seinen Anwälten in den Besuchszeiten, die diese notieren und mitnehmen dürfen. Aus diesen Texten hat die WELT AM SONNTAG dann ein Kompendium von 32 Begriffen in der Gefängniswelt gemacht, das so spannend wie niederdrückend ist.

Aber auch hoffnungsfroh, denn der drittletzte Eintrag heißt KORSO, wo steht: „Und besonders großen Dank für #FreeDeniz-Autokorso. Beste Solidarität wo gibt. Trööt!“ Der vorletzte Begriff heißt BESONDERER DANK und das liest sich deshalb so angenehm, weil einerseits sehr viele Menschen dort aufgezählt sind und auch die drei Zeitungen – WELT, taz, JUNGLE WORLD - , für die Yücel tätig war, und wir deshalb wissen, daß er das hiesige Aufbegehren seine Haft in der Türkei selbst mitbekommt, was  ihn stärken kann, was es wohl auch tut, wenn man die Souveränität bestaunt, mit der der Kollege wie von außen seine Situation analysiert und in Begriffe zwingt.

Beim 32sten Begriff SCHLUSS sagt er: „Dieser Ort hat keine Erinnerung. Alle, die ich hier kennengelernt habe – Makler , Katasterbeamte, meine Zellengenossen Nazmi, Zahnarzt -, alle habe mir gesagt: „Du mußt das aufschreiben, Deniz Abi“ . Ich habe gesagt: „Logisch mache ich . Ist schließlich mein Job. Wir sind ja nicht zum Spaß hier.“

Die Auflistung beginnt mit dem durchgestrichenen Wort POLIZEIGEWAHRSAM, daneben steht POLIZEIHAFT und im Text wird klargestellt, daß die Polizeihaft eine verschärfte Haft ist, die abschreckend wirken soll und sehr oft bis zur Grenze von erlaubten 14 Tagen ausgedehnt wird, auch wenn die Inhaftierten dann am 15. Tag freigelassen werden. „Seit dem Ausnahmezustand wird in der Türkei die Polizeihaft oft als Bestrafungsinstrument genutzt.“

Bei SCHREIBEN/LESEN: „Bücher sind, sofern politisch ‚unbedenklich‘, erlaubt. Stift und Notizblock sind verboten. LICHT  „Auf dem Korridor brennt unentwegt dasselbe Neonlicht. In den Zellen ist es stets schummrig: Zu hell zum Schlafen, zu dunkel zum Lesen. Geht aber beides irgendwie. ZELLENGRÖSSE: 2, 10 m x 3,5 m. Ziemlich genau gemessen durch liegen. Höhe: 4 m (geschätzt). UHRZEIT: Meine Zelle ist genau gegenüber der einzigen Uhr auf dem Korridor. Mitgefangene fragen immer wieder nach der Uhrzeit; ich frage mich, ob es gut oder schlecht ist, zu sehen, wie langsam die Sekunden verstreichen. Es ist eine Fabrikuhr; ich frage mich, ob es gut oder schlecht ist zu sehen, wie langsam die Sekunden verstreichen. Es ist eine Fabrikuhr mit Sekundenzeiger, auf dem Zifferblatt eine türkische Fahne.“

Er berichtet, daß er keine Gewalt erlebt hat, die Beamte manchmal grob im Ton sind, aber nicht ‚ausfallend oder beleidigen‘. Obligatorisch ist eine tägliche medizinische Untersuchung. Die dient der Feststellung, daß keine Folter angewandt worden sei. ESSEN: „Morgens pappiges, kaltes Toastbrot mit Käse/Wurst. Mittags und abends Essen aus Konserven. Sieht immer gleich aus und schmeckt immer gleich elendig. Bohnen, Kichererbsen, Kartoffeln mit Fleisch. Das Schlimmste ist nicht mal der Geschmack, sondern der Geruch. Ich wärme die Konserven zwischen den Heizrohren der Heizung auf dem Korridor auf (so gut es geht). TRINKEN: 3 x 0,5l-Wasserflaschen täglich. Wenn man nachfragt auch mehr. Nie Kaffee oder Cay.“(Tee)

MEIN ZUSTAND: „Mir geht es ganz gut. Für die gesundheitlichen Probleme (Magen-Darm) bekomme ich die erkämpften Medikamente. Aber, wenn ich nicht seit 9 Tagen hier eingesperrt wäre, hätte ich diese Probleme nicht.“

Das ist nur eine Auswahl. Zur Situation des ‚Polizeigewahrsams‘ für den deutschen Staatsbürger Deniz Yücel in der Türkei hatte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel klare Worte gefunden: „Es ist weder nötig noch fair, Deniz Yücel bis zu einer staatsanwaltlichen Vernehmung so lange seiner Freiheit zu nehmen. Er hat sich ja gerade aus freien Stücken gestellt, um eine Aussage zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen machen zu können.“

Das nämlich ist zusätzlich das für die türkischen Behörden Peinliche. Der Journalist hatte auf die öffentlichen Vorwürfe gegen ihn, die Initiative ergriffen und war zur Polizei zwecks entlastender Aussage gegangen, wo er sofort kassiert wurde und nun nach dem Spruch des Richters von Montagabend ins Gefängnis in Untersuchungshaft überführt wurde. Die Proteste gehen weiter.


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