Autokorsos für Deniz Yücel in Berlin, Frankfurt, Flörsheim und neun anderen Orten

Susanne Sonntag

Flörsheim/Hessen (Weltexpresso) – Hier lebt der Journalist, der sowohl die deutsche wie auch die türkische Staatsangehörigkeit besitzt und aus der Türkei für die deutsche Tageszeitung DIE WELT über  die Situation in der Türkei berichten sollte.


Das tat er auch, aber wurde jetzt stante pede verhaftet und zwei Wochen im Istanbuler Polizeipräsidium in ‚Gewahrsam‘ genommen, bis am Montagabend der Untersuchungsrichter seine Untersuchungshaft anordnete. Schon vorher sind die Leute hier auf die Straße gegangen, hatten am Wochenende in Berlin und Flörsheim mit Autokorsos gegen seine Inhaftierung in Istanbul protestiert.

Zuerst wurde ihm überhaupt kein Inhaftierungsgrund genannt, dann hieß es seitens der Polizei, es werde wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Terrorpropaganda und sogar Datenmißbrauch gegen ihn ermittelt. Da Deniz Yücel die berufliche Aufgabe hat, über die Situation in der Türkei im Vorfeld der Abstimmung über die Umgestaltung der Türkei von einer demokratischen Verfassung hin zu einem Präsidialsystems zu berichten, fällt jede Recherche zwangsläufig in einen Bereich, der böswillig dann als Unterstützung der Gegner vom allgegenwärtigen Erdogan gewertet wird.

Genau gegen diese Interpretation der Arbeiten des Journalisten haben die Veranstalter der Autokorsos ein positives Zeichen für Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei gesetzt. In Flörsheim, wo noch mehr Teilnehmer waren als in Berlin, nämlich über 150 Fahrzeuge, in Frankfurt mit rund 70 Wagen, hatten sich vor der Fahrt die Protestierer – Familienmitglieder, zum Beispiel seine Schwester Ilkay Yücel, Freunde, Kollegen, Nachbarn, weitere Unterstützer -  an der Stadthalle versammelt und Schilder mit der Aufschrift FREE DENIZ hochgehalten. Der Unmut ist groß und wird immer größer.

In Frankfurt war es lustig, weil der rund zweistündige Zug durch die Stadt, spontan von weiteren Autos begleitet wurde und - wie es hieß - vonl neun Radfahrern. Das Hup-Konzert für Deniz Yücel war durchdringend und laut. "Wir kämpfen für die Freilassung von Deniz Yücel und die von 153 Journalisten, die ebenfalls in der Türkei in Haft sitzen", erläutert in Frankfurt einer der hiesigen Organisatoren, Maximilian Pichl.

Schon am Wochenende zuvor, nachdem Deniz Yücel eine Woche in Polizeigewahrsam war, hatte es eine Demonstration mit Autokorso in Berlin gegeben, wo es hieß, daß diese Demonstrationsform dem deutsch-türkischen Journalisten selber so gefalle. Nachdem sich nun das türkische Gericht immerhin an seine eigenen Gesetze hielt, die aussagen, daß innerhalb von 14 Tagen ein Untersuchungsrichter über die durch die Polizei vorgenommene Inhaftierung entscheiden müsse, keimte Hoffnung, daß der Haftrichter die Freilassung entscheiden werde. Stattdessen aber wurde die unsinnige Anklage ausgeweitet.

Dagegen fanden gestern erneut in nun noch mehr Städten wohl zehn Autokorsos statt, was deutlich macht, daß sich die Protestierer nicht mehr mit Worten vom Protest abhalten lassen, sondern weitermachen werden. Insbesondere in Frankfurt haben sehr viele teilgenommen, die sich um 16 Uhr in der Gutleutstraße getroffen haben und dann über das türkische Generalkonsulat nach Sachsenhausen gelangen. Veranstalter sind #FreeDeniz, die schon zuvor angekündigt hatten, daß die Demos auf jeden Fall stattfinden werden.

Als man sie plante, war noch unklar, welche Entscheidung der Untersuchungsrichter fällen werde. Was man konstatieren kann, ist, wie ungeschickt sich die geteilte Staatsmacht der Türkei in dieser Frage verhält, so als ob man sehenden Auges in eine Bestätigung aller bisherigen Befürchtungen über den Abbau von Demokratie in der Türkei hineinrutsche.

Als man am Wochenende nämlich noch eine andere Entscheidung vom Haftrichter erhoffte, wollte man die angemeldeten Autokorsos auf diese erhoffte Jubelkorsos umwidmen.

Insgesamt ist wichtig, daß mit dem Einsatz für Deniz Yücel, den man halt vor allem in Flörsheim persönlich gut kennt, an alle erinnert werden soll, die derzeit in der Türkei wegen ihrer Korrespondententätigkeit für Zeitungen inhaftiert wurden, obwohl sie nur ihre Arbeit machten. Der Zerfall rechtsstaatlicher Zustände in der Türkei setzt sich fort. Das alles ist auch ein Appell an die deutsche Bundesregierung, der türkischen Regierung nicht nur die Meinung zu sagen, sondern sich politisches Handeln zu überlegen.

Foto: (c) Die Welt