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Kategorie: Zeitgeschehen
 1967: Warum wollte Nasser Israel zerstören? Zur Vorgeschichte des Sechs-Tage Krieges, TEIL I

Matthias Küntzel

Hamburg (Weltexpresso) - Vor fast genau 50 Jahren, am 6. Juni 1967, begann der Sechs-Tage Krieg, der ca. 700 Israelis und mehr als 20.000 Arabern das Leben kostete.

Bereits in den ersten Stunden des 6. Juni gelang es den Israelis, die Luftwaffe der arabischen Staaten am Boden zu zerstören. In den Folgetagen eroberte Israel das seit 1948 von Jordanien besetzte Westjordanland sowie den zu Ägypten gehörende Gazastreifen und insbesondere die Altstadt von Jerusalem, in der unter jordanischer Herrschaft sämtliche Synagogen zerstört worden waren – erst seit Juni 1967 haben Juden, Moslems und Christen an diesem historischen Ort wieder beten können. Während sich der triumphale Sieg von Juni 1967 in der historischen Erinnerung verankern konnte, sind die Wochen der nackten Angst, die die Israelis während des Vormonats durchlitten, längst vergessen.

„Im Mai 1967“ schreibt der israelische Autor Yossi Klein Halevi, „sah ich mir die Nachrichten gemeinsam mit meinem Vater an – einem Holocaust-Überlebenden aus Ungarn, den diese Erfahrung nie verließ. Wir sahen Massen von Demonstranten, die „Vernichtet Israel!“ skandierten und Fahnen mit Todesschädeln und gekreuzten Knochen schwangen. Dies machte auf mich, ich war damals 14, einen tiefen Eindruck. Mein Vater und ich hatten dieselbe Furcht, dass eine Variante des Holocaust erneut geschehen könnte. Dieses Gefühl beherrschte damals die jüdische Welt zwischen Moskau und Tel Aviv.“[1]

In der Tat hatte Gambal Abdel Nasser, der charismatische Führer Ägyptens, Israels Zerstörung lautstark angekündigt, während „Kairos Innenstadt mit blutrünstigen Plakaten geschmückt war, auf denen arabische Soldaten bärtige und hakennasige Juden erschossen, zerschmetterten, strangulierten und zerstückelten.“[2] Jitzchak Rabin, der Generalstabschef der israelischen Streitkräfte, rechnete im Mai 1967 mit Zehntausenden Toten bei dem bevorstehenden Krieg und gab Anweisung, Schulen und andere öffentliche Gebäude in Israel auf eine Nutzung als Hospitäler und Leichenhallen vorzubereiten. „Zehn Rabbiner des Oberrabinats und der Bestattungsgesellschaft Chewra Kaddischa in Tel Aviv schritten öffentliche Parks ab und segneten sie als potentielle Massengräber.“[3]

Warum aber wollte Nasser den jüdischen Staat 1967 vernichten? Was war der Auslöser jener Kriegsstimmung, die über Wochen hinweg wie ein Damoklesschwert über den Bewohnern Israels hing?

Die unmittelbare Vorgeschichte des Sechs-Tage Kriegs begann am 13. Mai. An diesem Tag übermittelte die Sowjetunion der ägyptischen Regierung die Information, dass Israel zehn bis zwölf Brigaden seiner Streitkräfte an der syrischen Grenze konzentriert habe, um Syrien anzugreifen. Am selben Tag hielt sich Anwar al-Sadat, der spätere Präsident und damalige Sprecher der ägyptischen Nationalversammlung in Moskau auf. Auch ihm teilte die sowjetische Regierung mit, dass Israel zehn Brigaden an der syrischen Grenze konzentriert habe.[4]

In Syrien, das seit November 1966 mit Ägypten durch eine Militärallianz verbunden war, herrschte ein in sich zerstrittenes baathistisches Regime. Dessen einziger gemeinsamer Nenner war die Entschlossenheit, Israel zu zerstören. „Syrien hat seine Strategie von Verteidigung auf Angriff umgestellt“, erklärte Radio Damaskus am 16. Januar 1967. „Wir werden angreifen, bis Israel eliminiert ist.“[5]

Syrien ließ inbesondere der von Jassir Arafat gegründeten Al-Fatah freie Hand, das nördliche Israel mit immer neuen Guerilla-Operationen zu terrorisieren. Als sich israelische Streitkräfte am 7. April 1967 hiergegen wehrten, eskalierte die Situation bis hin zu einem Luftwaffen-Gefecht, bei dem Israel sechs syrische MiG-Flieger über den Vororten von Damaskus abschoss.[6]

Obwohl die Situation angespannt war, konnte von einem israelischen Truppenaufmarsch an der syrischen Grenze oder gar einer Angriffsabsicht keine Rede sein. Am 14. Mai, einen Tag nach dem Aufkommen dieses Gerüchts, schickte Nasser seinen Generalstabschef Mohammad Fawzi nach Damaskus, um die Situation zu prüfen. Fawzi studierte Luftbilder und fuhr mit einem Privatflieger die Grenzen ab: Von einem Truppenaufmarsch war nichts zu sehen. „Hier gibt es nichts. Keines Massierung von Streitkräften. Gar nichts“, meldete Fawzi an Nasser.[7] Am 14. Mai hatte Nasser jedoch bereits ägyptische Truppen mobilisiert und in Richtung Sinai geschickt, um Israels angebliche Aggression zu verhindern.

Am 15. Mai wies auch die United Nations Truce Supervision Organization (UNTSO), die die syrischen Grenzanlagen täglich inspizierte, das Gerücht vom israelischen Truppenaufmarsch zurück.[8]

Nasser aber eskalierte die Situation. Am 16. Mai forderte er den Abzug der United Nations Emergency Force (UNEF) vom Sinai. Diese aus 3.400 Soldaten bestehende Truppe wurde nach dem Sinai-Krieg von 1956 auf der Halbinsel stationiert, um das Ausbrechen bewaffneter Konflikte zu verhindern und um den 1956 geregelten freien Seeverkehr durch die Straße von Tiran sicherzustellen.

Am 19. Mai kehrten die UN-Friedenstruppen dem Sinai den Rücken, während dort gleichzeitig die Anzahl ägyptischer Militärs von 35.000 auf 80.000 aufgestockt wurde.[9] Sowjetische Zeitschriften wie Trud und Izvestia berichteten erneut über „große israelische Armeeformationen, die an den Grenzen zu Syrien konzentriert wurden“[10], während UN-Generalsekretär U Thant dem Sicherheitsrat am selben Tag mitteilte, dass UN-Beobachter „die Abwesenheit von Truppenkonzentrationen und bedeutsamen Truppenbewegungen auf beiden Seiten der [syrisch-israelischen] Linie bestätigt haben.“[11]

Am 22. Mai gab Nasser die Schließung der Straße von Tiran für israelische Schiffe bekannt, was der UN-Konvention über Hoheitsrechte auf See widersprach und Israel vom Roten Meer und Indischen Ozean abschnitt. Im Krieg von 1956 hatte Israel die Öffnung dieses Seeweges durchgesetzt. Mit seiner erneuten Sperrung und der damit verbundenen Veränderung der Machtbalance provozierte Nasser den Krieg.

Am 24. Mai nahmen Irak und Jordanien, aber auch die VR China und Indien demonstrativ für Ägypten Partei.[12]

Am 25. Mai heizte Nasser die Stimmung weiter an. „Die Juden drohen mit Krieg“, behauptete er in einer Rede vor dem Hauptquartier der ägyptischen Luftstreitkräfte. „Wir sagen ihnen: ,Ihr seid willkommen! Wir sind bereit zum Krieg!‘“[13]

Am 26. Mai wurde Nasser explizit. „Wir fühlen, wir sind stark genug“, erklärte er in einer Rede vor arabischen Gewerkschaftern. „Falls es zu einem Kampf mit Israel kommen sollte, könnten wir mit Gottes Hilfe triumphieren. Deshalb haben wir die aktuellen Schritte unternommen. … Unser grundlegendes Ziel wird die Zerstörung Israels sein.“[14]

Am 29. Mai bekräftigte Nasser in seiner Rede vor der ägyptischen Nationalversammlung seine Absicht: „Heute geht es nicht um den Golf von Akaba, die Straße von Tiran oder den Rückzug der UNEF-Truppen, sondern um die Rechte des palästinensischen Volkes. … Wir werden siegen, so Gott will. … Wir sind jetzt bereit, es mit Israel aufzunehmen. … Wir sind jetzt bereit, die gesamte Palästinafrage zu lösen.“[15] Am selben Tag lud Israels Premier den sowjetischen Botschafter in Israel ein, mit ihm gemeinsam zur syrischen Grenze zu reisen, um nachzuschauen, ob israelische Truppen dort stationiert sind oder nicht. Der Botschafter lehnte die Einladung ab.[16]

Am 2. Juni rief der PLO-Vorsitzende Ahmed Schukeiry seine Anhänger in der Moschee auf dem Tempelberg zum ,heiligen Krieg‘ gegen Israel auf. Nur wenige Juden würden den bevorstehenden Krieg überleben, erklärte er in einem Interview.[17]

Am 5. Juni startete Israel um 7:45 Uhr seine Präventivschlag – der Sechs-Tage Krieg begann.

Unser Rückblick zeigt, dass Nasser ein mehrfach widerlegtes Gerücht zum Vorwand nahm, um Israel in die Enge zu treiben. In rascher Abfolge ließ er seine Truppen auf dem Sinai aufmarschieren, entfernte die UN-Friedenstruppe und verriegelte für Israel die Straße von Tiran.

Israel angreifen konnte Nasser freilich nicht. Die Sowjetunion, Ausrüster und Trainer der ägyptischen Militärverbände, hatte einen Erstschlag Ägyptens ausdrücklich untersagt.

Aus dieser Einschränkung resultierte eine Strategie, die Hassanein Haykal, einer der engsten Vertrauten Nassers, in der Tageszeitung Al Ahram so beschrieb:

„Israel kann das, was geschehen ist, weder akzeptieren, noch ignorieren. … Also wird der nächste Schritt von Israel kommen. Israel muss jetzt antworten. Es muss uns einen Schlag versetzen. Wir müssen uns darauf vorbereiten, um dessen Wirkung so gut wie möglich zu minimieren. Dann werden wir für den zweiten Schlag an der Reihe sein. Wir werden ihn mit der größtmöglichen Effektivität ausführen. Lasst uns für den zweiten Schlag bereit sein. Lasst uns dafür sorgen, dass es ein K.O.-Schlag wird.“[18]
Während Nassers Politik einer Logik der Eskalation folgte, blieb das Verhalten der Sowjetunion mysteriös. Warum manövrierte Moskau das ägyptische Regime mit seinen Gerüchten über israelische Angriffspläne in einen Krieg, den zu beginnen es Kairo gleichzeitig verbot? Der zweite Teil wird versuchen, dieses Dunkel zu lichten.
Fortsetzung folgt


Anmerkungen:


[1] The Six-Day War and Israeli society: an interview with Yossi Klein Halevi in: Fathom, Spring issue 2017, on: http://fathomjournal.org/1967-nassers-antisemitic-war-against-israel/

[2] Michael B. Oren, Six Days Of War, New York 2003, S. 92.

[3] Tom Segev, 1967. Israels zweite Geburt, München 2007, S. 344.

[4] Richard B. Parker, The June 1967 War: Some Mysteries Explored, Middle East Journal, Vol. 46, No. 2, Spring 1992, S. 179.

[5] Oren, a.a.O., S. 42.

[6] Oren, a.a.O., S. 46f.

[7] Oren, a.a.O., S. 64.

[8] Parker, a.a.O., S. 180.

[9] Keesings Archiv der Gegenwart (AdG), 5. Juni 1967, S. 13218.

[10] Ministry for Foreign Affairs, The USSR and Arab Belligerency, Jerusalem 1967, S. 73ff.

[11] Jon D. Glassman, Arms for the Arabs. The Soviet Union and War in the Middle East, Baltimore and London 1975, S. 40.

[12] AdG, 5. Juni 1967, S. 13219.

[13] Walter Laqueur, The Road to War 1967, London 1968, S. 292.

[14] Laqueur a.a.O., S. 295.

[15] Laqueur, a.a.O., S. 309.

[16] Glassman, a.a.O., S. 40.

[17] Robert Stephens, Nasser, A Political Biography, London 1971, S. 480 und AdG, 5. Juni 1967, S. 13222.

[18] Laqueur, a.a.O., S. S. 303.



Foto:  Nasser (c) www1.wdr.de

Info: Wir entnehmen den Artikel, dessen Teile fortgesetzt werden, mit freundlicher Genehmigung des Autors seiner Webseite. Die Artikel wurden veröffentlicht in mena-watch (Wien).