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Kategorie: Bücher
Bildschirmfoto 2019 08 10 um 08.23.59DIE KRIMIBESTENLISTE IM AUGUST, Teil 3

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Es hat uns keine Ruhe gelassen. Als am Montag der 2. Artikel über die am Sonntag veröffentlichte August-Krimibestenliste erschien, hatten wir den Neuen auf Platz 1, den neuen Autor, der ein alter Bekannter ist und den neuen Titel, der nun brandneu ist, deshalb in die Überschrift plaziert, weil sich das so gehört, die Spitzenreiter zu nennen.

Danach hatten wir in nur einem Absatz ein wenig zum neuen Krimi gesagt und auch zugegeben, daß wir ihn noch nicht gelesen hatten, einfach nicht kannten – und versprochen, das nachzuholen. Was wir sofort getan haben, weshalb er im nächsten Teil besprochen wird. Damit Leser einmal einen Überblick haben, wie schwierig es selbst für Journalisten ist, deren Schwerpunkt der Kriminalroman ist, in diesem Genre, will sagen, den Tausenden von Veröffentlichungen jedes Jahr gerecht zu werden und diese, wenn möglich gelesen zu haben, bevor die Jury der Krimibestenliste sie auswählt, sollten wir eigentlich alle im Juli und August veröffentlichten Krimis auflisten – und denen gegenüber die ausgewählten stellen. Dann sieht jeder, man kann unmöglich – und frau auch nicht – voraussagen oder ahnen, wer ausgewählt wird.

Aber das stimmt nur zur Hälfte, denn natürlich weiß man bei einigen Autoren, wie beispielsweise beim Australier Garry Disher, daß sie jedes Mal Krimibestenliste Verdächtiges schreiben und veröffentlichen. Aber man kommt auch nicht weiter, wenn man bekannte Autoren auf diesen Verlagslisten sucht – denn es gibt zwar auf Kriminalromane spezialisierte Verlage, aber andersherum wird ein Schuh daraus, jeder Verlag, der etwas auf sich hält und der seine Bücher verkaufen möchte, veröffentlicht heute auch Kriminalromane!!! Auch, wenn wir die Zeit und Gelegenheit hätten, alle Verlagsankündigungen von Krimis zu lesen, dann kann uns dennoch die Jury einen Strich durch die Rechnung machen. So ist es uns mit STAUB von Jane Harper, erschienen bei Rowohlt, und von uns in der Verlagsvorschau entdeckt, gerade gegangen, wo der Verlag in letzter Zeit erstaunlich viele ihrer Krimis auf der Krimibestenliste plazieren konnten. Wir entdeckten also STAUB, lasen es, waren beeindruckt, schrieben uns sofort die Kritik von der Seele, denn Krimis belasten das Psycho-Seelenleben manchmal ganz schön, darüber schreiben schafft Abstand - , freuten uns also, schon etwas für die Augustbesprechung zu haben, aber dann fanden wir diesen Roman nicht auf der Bestenliste von diesem Monat.?!

Als wir nachguckten im Buch, sahen wir: Erscheinungsdatum August 2019! Aha, es kann also sein, daß noch nicht alle Jurymitglieder diesen neuen Roman gelesen haben, denn die Jurymitglieder dürfen Romane nennen und Punkte vergeben, wenn ein Buch aber ganz neu ist, dann braucht es eben seine Zeit, bis es auf die Liste kommt. Aber da gibt es natürlich keine Gewähr, ob das auch wirklich eintritt. Was macht man also? Wartet man auf den nächsten Monat, weil man dann froh ist, einen der neuen Krimis schon gelesen zu haben – oder veröffentlicht man die Besprechung sofort, weil man dann mit seiner Meinung bei den ersten ist? Eigentlich richtig, hätte ich aber schon vor zwei Wochen dann tun sollen?

Tja, da will ich selber mal sehen, welcher Meinung ich in den nächsten Tagen bin. Sie, die Leser, werden verfolgen können, wie mein innerer Kampf ausgeht. Damit das noch einmal deutlich wird. Der innere Kampf geht darum, erst einmal voraussehen zu können, wen die Jury der Krimibestenliste auswählt, das Buch zu besorgen, zu lesen, die Rezension, bzw. Einschätzung niederzuschreiben, um sie dann, am 1. Sonntag eines jeden neuen Monats verfügbar zu haben, wenn die Liste erscheint. Und was macht man, wenn man einen Titel schon als Besprechung fertig hat, aber nicht weiß, ob er im nächsten Monat auf der Liste steht?

So hetzt unsereins den Setzungen hinterher oder ist ihnen vorneweg. Entscheidend wäre aber die Übereinstimmung, also möglichst viele Krimis schon gelesen zu haben, damit die Wahrscheinlichkeit, richtig zu liegen, zunimmt und damit die Leser eine schnelle Kommentierung der Krimibestenliste durch WELTEXPRESSO hat. Und wer noch immer nicht verstanden hat, um was es in der Sache geht, dem sei klipp und klar mitgeteilt, daß die Krimibestenliste, die zehn Plätze vergibt, im AUGUST gegenüber dem JULI sechs neue Kriminalromane aufweist. Nur vier sind übernommen, wobei - wie wir im ersten Artikel schrieben - mit BALLADE EINER VERGESSENEN TOTEN von Liza Cody, herausgekommen bei Ariadne im Argumente Verlag, diesmal auf Platz vier, eben ein besonders ans Herz gehender und einfach saugut geschriebener Krimi zum dritten Mal dabei war.

Aber es fehlte uns im August BERLIN PREPPER von Johannes Groschupf, Suhrkamp, und im Vormonat auf Anhieb auf Platz 1. Zu dem konnten wir aber damals noch nichts schreiben, weil wir ihn nicht gelesen hatten, was wir sofort nachholten und eine begeisterte Kritik niederschrieben. Die liegt vor uns. Nur war also dieser vom Thema her ungewöhnliche, leicht surreale Roman diesmal nicht mehr dabei. Was heißt ‚nicht mehr‘? Es ist schon vorgekommen, daß ein ganz neuer, weit vorne plazierter Krimi im nächsten Monat weg ist, aber im übernächsten wieder da. Da ist dann jemand, der über die Krimibestenliste schreibt, natürlich froh, schon was in der Hand zu haben, was veröffentlicht werden kann.

Vielleicht ist jetzt messerscharf deutlich, wie schlüpfrig der Sachverhalt ist. Denn nicht die Krimibestenliste, wo die Kollegen also ihre Punkte für einzelne Romane abgeben, deren zehn mit der höchsten Punktzahl sich dann auf der Liste wiederfinden, wird sich in ihrer Zufälligkeit ändern, sondern wir, die sie kommentieren, müssen voraus-, mit – und nachdenken. Jetzt sind es also schon zwei fertige Besprechungen, wie wir Ihnen verrieten: der Prepper auch.

Und bevor zur Jury und zur Verlagspolitik dann doch noch ein kritisches Wort fällt, kurz der Sachverhalt für diesen Monat: Sechs neue Titel von zehn Möglichkeiten. Zusammen zählen die sechs Neuen 1922 Seiten, leider sind wieder nur eine weibliche und fünf männliche Kollegen dabei und – nicht unwichtig – nur ein Krimi kommt aus Deutschland, besser ausgedrückt: ist muttersprachlich deutsch; die fünf anderen sind alle aus dem Englischen übersetzt.

Das fällt inzwischen auf. Nicht angenehm. Da liest es sich allerdings besser, wenn man die 8 männlichen und 2 weiblichen Autoren mit ihren Ländern benennt. Das Englische ist ja als Relikt des ehemaligen Commonwealth mit länderspezifischen Färbung. Darum wird bei den Übersetzungen meist angegeben: aus dem australischen, dem südafrikanischen...Englisch. Diese fünf englischsprachigen Titel kommen aus:

1 x Australien

1 x England

1 x Irland

2 x USA.

Insgesamt sind auf der Augustliste 2 deutsche Titel, 1 französischer und 7 englischsprachige. Da allerdings meinen wir, hier stimmt was nicht. Wir wissen alle, daß der Weltzugang über Sprache verläuft. Man spricht ,wie man denkt. Man denkt, wie man spricht. Schaut man sich die Geschichte des Kriminalromans an, gibt es viele Wurzeln. Die russische mit u.a. Dostojewski gehört sicher dazu. Und schreibt man heutzutage gerade in diesem schwierigen, aufbegehrenden und im Verlauf des Übergangs vom Sowjetkommunismus zur sogenannten freien Wirtschaft ökonomischen Niemandsland mit den heute Oligarchen genannten Kriegsgewinnlern etwas keine Krimis. Gerade Wirtschaftskrimis, die als gesellschaftskritisch derzeit wieder viel zu wenig Thema bei den Veröffentlichungen und ganz sicher viel zu wenig auf der Liste sind, müßten doch dort en masse geschrieben werden. Werden die nicht übersetzt? Gibt es also keine bei uns – oder kommen sie nicht auf die Liste?

Dasselbe gilt natürlich für Polen, für Griechenland, für viele, viele Länder. Selten gibt es einen französischen, selten einen italienischen, keine aus der arabischen Welt, wenige aus Lateinamerika - und dann von Frauen!, eigentlich schon lange überhaupt keine mehr aus Spanien, Portugal. ..Wir könnten fortsetzen mit China, Indien, ganz Asien, nur Südkorea war jetzt mal dran, aber beispielsweise lange auch nicht Israel, wo viele Krimis erscheinen. Bei den meisten Ländern wissen wir jedoch nicht, wieviele Krimis geschrieben werden, wieviele übersetzt, bei uns erscheinen.

Was wir aber gut im Blick haben, das ist der Norden Europas. NORWEGEN ist Gastland der kommenden Buchmesse. Norwegen hat sehr viele, sehr erfolgreiche Kriminalautoren, mit einer regelmäßigen Übersetzung ins Deutsche und hohen Auflagen, denn die deutschen Leser goutieren skandinavische Kriminalromane; das oben Gesagte gilt auch für Island, Schweden, Dänemark und Finnland – auch wenn nicht alle nördlichen Länder im eigentlichen Sinn Skandinavien ausmachen.

Schaut man sich hierauf die Krimibestenliste an, ist schon sehr lange auch keiner der Autoren und Autorinnen aus dem Norden dabei. Sind diese Krimis nicht gut, oder nicht gut in den Augen der Jury der Krimibestenliste?

Also wäre es an der Zeit, daß die Kriterien der Jurymitglieder doch mal bekannter würden, damit man sich damit auseinandersetzten kann. Wir haben oft genug gemutmaßt, daß der klassische hard boiled amerikanische Detective doch die Orientierung für die Jurymitglieder ist, an der entlang sie die Romane beurteilen und Punkte vergeben. Aber inzwischen sind es auch die australischen Farmer, die US-Junkies in Kalifornien sowieso, überhaupt die Zukurzgekommenen, das Drogengeschäft, letzten Endes immer dieselbe Klientel. Ja, das wäre schön, könnte man darüber, über die Auswahlkriterien, mehr hören und lesen.

Und zur Buchmesse schlagen wir mal vor: die Oktoberliste besteht nur aus norwegischen Krimis oder aus denen Skandinaviens.


KRIMIBESTENLISTE AUGUST

1(–) Garry Disher Kaltes Licht

Aus dem Englischen von Peter Torberg. Unionsverlag, 314 Seiten, 22 Euro
Melbourne. Nach fünf Jahren Langeweile als Pensionär ist Alan Auhl zurück im Polizeidienst. Mit der Lässigkeit der Erfahrung lotet er die Grenzen des Gesetzes aus, packt zu, wo Solidarität fehlt. Heiteres Lob eines coolen Alten, der menschliche Bosheit stellt, wie immer sie getarnt sei. Brillant.

2(2) Friedrich Ani All die unbewohnten Zimmer

Suhrkamp, 495 Seiten, 22 Euro
München. Die Augenzeugen stumm, die Täter glauben sich im Recht, die besorgten Rassisten bereiten den nächsten Schritt vor. Zwei tote Polizisten, verdächtigte Flüchtlingskinder, da braucht es alle Ermittler: Tabor Süden, Polonius Fischer, neu Fariza Nasri. Der Irrsinn nimmt zu, Ani hält dagegen.

3(–) Max Annas Morduntersuchungskommission

Rowohlt, 352 Seiten, 20 Euro
DDR, 1983. Ermittlungen im geschlossenen System. An der Bahnstrecke zwischen Jena und Saalfeld liegt der Leichnam eines afrikanischen Vertragsarbeiters, zerfetzt, geköpft. Otto Castorp, MUK Gera, lässt nicht los, trotz politischen Ermittlungsverbots. Und entdeckt, was es in der DDR nicht geben kann: Nazis.

4(–) Nicholas Searle Der Sprengsatz

Aus dem Englischen von Jan Schönherr.
Kindler, 304 Seiten, 20 Euro
Nordengland. Einmal hat Jake Winter einem V-Mann getraut: 63 Tote hat der in die Luft gesprengt. Beim zweiten Mal soll es anders laufen. Doch während Jake Muster islamistischer Verschwörung analysiert, übersieht er, dass ihm selbst die Rolle des Sündenbocks zugedacht ist.

5(3) Liza Cody Ballade einer vergessenen Toten

Aus dem Englischen von Martin Grundmann. Ariadne im Argument-Verlag, 416 Seiten, 22 Euro.
London, Las Vegas, achtziger Jahre, heute. Elly, absolutes Gehör, Komponistin für die halbe Popwelt, mit fünfzehn Jahren bestialisch ermordet. Amy rekonstruiert ihre Geschichte: kindliches Genie in wahnwitziger Musikindustrie. Egoistische Schwestern, bizarre Mütter, scheinmächtige Kerle. Faszinierend.

6(7) Georges Simenon Maigret im Haus der Unruhe

Aus dem Französischen von Thomas Bodmer. Kampa, 220 Seiten, 16,90 Euro
Paris. Kommissar Maigrets allererster Fall, noch von einem „Georges Sim“ verfasst, erstmals auf Deutsch. Nächtens gesteht eine junge Frau einen Mord, als Maigret sich umdreht, ist sie verschwunden. Mit großer Geduld belagert Maigret eine Familie in ihrem Wahn, bis die Wahrheit aufbricht.

7(–) Adrian McKinty Cold Water

Aus dem Englischen von Peter Torberg. Suhrkamp Nova, 378 Seiten, 15,95 Euro
Carrickfergus, Stranraer 1990. Frau und Kind sind schon in Schottland, Duffy arbeitet an seinem letzten Fall. Er will das Verschwinden eines 15-jährigen Travellermädchens aufklären – verdächtig sind Männer der Oberschicht. Doch so sozialpathetisch geht es nicht aus. Komplex, schlau: die Duffy-Serie.

8(–) Tawni O’Dell Wenn Engel brennen

Aus dem Englischen von Daisy Dunkel. Ariadne im Argument-Verlag, 350 Seiten, 21 Euro
Pennsylvania. Leicht mit Problemen umgehen kann Chief Carnahan. Seien es verschreckte Mütter, renitente Redneckfamilien oder Mädchen, die in brennenden Minen stecken. Hat sie doch selbst ihr Gewaltpotential nicht immer kontrolliert. Feministisch, realistisch: Matriarchat kann Elend verschärfen.

9(5) Mike Nicol Sleeper

Aus dem Englischen von Mechthild Barth. btb, 512 Seiten, 10 Euro
Kapstadt. HEU, waffenfähiges Uran, ist es, was Isis, die Iraner, die Amerikaner, die Chinesen, die Russen wollen. Und die Südafrikaner verkaufen es gerne, illegal. Glimmender Hintergrund, vor dem all die schlafenden Geheimdiensthunde erwachen und Fish Pescado und Vicky Kahn um ihr Leben kämpfen.

10(–) George Pelecanos Prisoners

Aus dem Englischen von Karen Witthuhn. Ars Vivendi, 230 Seiten, 18 Euro
Washington, D.C. Michael Hudson, Leseratte dank Knastbibliothek, glaubt an ein besseres Leben. Privatdetektiv Ornazian lotst ihn raus. Dafür soll Michael die Fluchtwagen steuern, wenn er und sein Kumpel Ward Kriminelle ausnehmen. Mann auf der Kante unter Dealern, Neonazis und Überlebenskämpfern.Und auch den 6. Platz hat mit MAIGRET IM HAUS DER UNRUHE von Georges Simenon, erschienen bei Kampa, ein Krimi vom Vormonat überndauert und einer, der der bewährten klassischen Helden entstammt. Welche Freude wir daran hatten und wie elegant sich hier das Buch (Kampa) mit dem Hörbuch (Audio Verlag) verbindet, hatten wir im letzten Monat beschrieben.

Foto:
©opslagsvaerker.gyldendal.dk