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Kategorie: Bücher
a DisherGarryDIE KRIMIBESTENLISTE IM AUGUST, Teil 4

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Tja, was machen wir? Wir hatten den Titel ja schon mit dem Cover auf dem zweiten Teil veröffentlicht und damit ‚verbrannt‘, ohne das Buch schon gelesen zu haben, waren aber so neugierig, daß wir es uns sofort besorgten und sofort lasen. Und so angetan, daß wir das schnell weitergeben wollen. Aber der Buchumschlag ist schon vergeben. Drum also erst einmal mit dem Autor Garry Disher und seinem Abbild beginnen.

Sein Verlag, der Unionsverlag, schreibt über ihn: „Garry Disher, geboren 1949, wuchs im ländlichen Südaustralien auf. Er schreibt Romane, Kurzgeschichten, Kriminalromane und Kinderbücher. Seine Bücher wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter der wichtigste australische Krimipreis, der Ned Kelly Award, dreimal der Deutsche Krimipreis sowie eine Nominierung für den Booker Prize. Garry Disher lebt an der Südküste von Australien in der Nähe von Melbourne.“ Allein dreimal der deutsche Krimipreis! Ja, da hätte man diese Spitzenplazierung erwarten dürfen.

Man kennt ihn einmal aus den schrägen Krimis von pulp master, wo sein Berufsverbrecher Wyatt bald zum achten Mal zuschlägt. Und man kennt ihn aus dem Unionsverlag, wo er bisher seinen Polizisten Hal Challis agieren ließ, zu dem jetzt der neue stößt.

Dieser neue Roman mit einem neuen Helden ist vom versierten Autor regelrecht komponiert worden. Wie ein Musikstück? Nein, doch eher wie ein gutes Gericht, in dem alle Zutaten stimmen, einzeln hintereinander hineingemengt werden und dann doch ein gutes Ganzes werden, kein Aufstoßen verursachen und auch im Nachhinein ein gutes Sättigungsgefühl zurücklassen.

Garry Disher hat sich mit der Hauptfigur Alan Auhl – eigenartiger Name mit den drei As – einen neuen Kommissar kreiert, der witzigerweise sein Berufsleben hinter sich hat – hinter sich hatte. Denn er ist längst auf eigenen Wunsch pensioniert gewesen, als er, der Langweile seines neuen Lebens wegen, doch wieder bei der Polizei anheuert, mit einem ganz besonderen Auftrag: nämlich die sogenannten Cold Cases, also alte, unerledigte Fälle aufzuklären.

Genauso wichtig ist für den Leser seine private Situation, denn er lebt luxuriös in einem Schloß genannten großen Haus in Melbourne, das er geerbt hat, und das gewissermaßen ein Zufluchtsort für Gestrandete, Studenten, den Ehemann verlassende Frauen wird, wo aber auch seine gerade von ihm getrennte schöne Frau, die ihrer Unistelle wegen zur Hälfte der Zeit weiter bei ihm lebt und auch – selten – mit ihm schläft. Ach ja, die Tochter, die gerade Examen macht, hat auch hier ihr Zuhause.

Das Zuhause ist deshalb wichtig, weil in der Komposition des Krimis zwei Mitbewohner den Grundton abgeben: Neve und Pia Fanning, die dem sadistischen Ehemann und herrschsüchtigen Vater entflohen sind, der sie aber schikaniert und zurückhaben will, was er als reicher Geschäftsmann mit teuren Anwälten zumindest hinsichtlich der Tochter mit Hilfe von willfährigen Richtern erfolgreich versucht. Mit beiden fängt der Roman an, wobei einem die Hilflosigkeit und das daraus resultierende falsche Verhalten der Neve auf die Nerven geht und man gleichzeitig weiß, genau so sind sie, diese hilflosen gedemütigten Frauen, die sich für ihre schlimmen Ehemänner noch schämen. Wir dagegen finden gut, wenn dieser Ehemann und Vater, an dessen Tod in Bali Auhl ganz und gar nicht unschuldig ist, ausgeschaltet wird.

Bedenkt man es recht, kommen eine Menge grauslicher Männer vor. Denn auch der erfolgreiche, blütenweiße Chirurg Neill ist ein menschliches, sprich männliches Schwein, der tatsächlich vier Frauen, drei Ehefrauen und eine Geliebte, erfolgreich umbringt, erfolgreich, weil unentdeckt, bis eben Auhl auftaucht, der seine Erfahrung aus den ersten Morden, für die er immer schon Neill verantwortlich machte, für die Aufklärung der neuen nutzt. Stichwort: Suxamethonium. Das ist ein Medikament, das, pur angewendet, tödlich wirkt, aber wie ein Herzinfarkt aussieht und in diesem Krimi bei verschiedenen Personen angewandt wird – aber nicht immer von dem selben Täter. Sagen wir es gleich, auch Kommissar Auth nutzt seine berufliche Weiterbildung an tödlichen Medikamenten, um einen ganz Bösen zu eliminieren, womit der Leser völlig einverstanden ist, denn – und das durchdringt den ganzen Roman – es geht bei KALTES LICHT tatsächlich um Gerechtigkeit, um den Versuch, die Welt gerechter zu machen an ganz bestimmten Fällen.

Deshalb sprachen wir auch von Komposition, weil Alte Fälle aufzuklären, hier mehrmals gelingt, es also einerseits immer etwas Neues gibt, gleichzeitig aber der erste Fall erst am Schluß aufgeklärt wird, und das alles auf dem Hintergrund, daß der Grundton, sprich Familie Fanning ja gar kein Polizeifall wird, sondern wie im alltäglichen Leben fortlaufend immer schlimmer wird, bis eben – die Gerechtigkeit zuschlägt.

Wir haben noch überhaupt nicht von Claire gesprochen, der Kollegin von Auth, die jung und taff ihn erstmal als ‚alten Sack‘ tituliert, wie er sich übrigens auch. Wie beide zur guten Zusammenarbeit kommen, er als Eheberater dazu, das gehört auch zum Komponieren. Die vielen Fäden finden alle zusammen und nur einmal wiederholt sich der Kommissar, als er beim Gelegenheitsbeischlaf mit seiner Ex ganz am Anfang sagt: „Wenn ich gewußt hätte, daß es zum Cunnilingus kommt, dann hätte ich mich besser rasiert.“ und nämliches wiederholt, wenn er ganz am Schluß bei einen weiteren Gelegenheitsbeischlaf , dem zweiten im Buch, auf Bali dasselbe äußert.

Ansonsten wiederholt sich nichts und man staunt im Nachhinein, wie viele Personen im Roman vorkommen, von denen man glaubt, sie ganz gut zu kennen, so detailliert führt der Autor sie ein, man verliert trotz der vielen Fälle und vielen Personen niemals den Überblick, so elegant integriert Disher Gegenwart und Vergangenheit und die verschiedenen Personengruppen.

Ein Roman, dessen Lesen man als Gewinn für sich verbucht.


KRIMIBESTENLISTE AUGUST

1(–) Garry Disher Kaltes Licht

Aus dem Englischen von Peter Torberg. Unionsverlag, 314 Seiten, 22 Euro
Melbourne. Nach fünf Jahren Langeweile als Pensionär ist Alan Auhl zurück im Polizeidienst. Mit der Lässigkeit der Erfahrung lotet er die Grenzen des Gesetzes aus, packt zu, wo Solidarität fehlt. Heiteres Lob eines coolen Alten, der menschliche Bosheit stellt, wie immer sie getarnt sei. Brillant.

2(2) Friedrich Ani All die unbewohnten Zimmer

Suhrkamp, 495 Seiten, 22 Euro
München. Die Augenzeugen stumm, die Täter glauben sich im Recht, die besorgten Rassisten bereiten den nächsten Schritt vor. Zwei tote Polizisten, verdächtigte Flüchtlingskinder, da braucht es alle Ermittler: Tabor Süden, Polonius Fischer, neu Fariza Nasri. Der Irrsinn nimmt zu, Ani hält dagegen.

3(–) Max Annas Morduntersuchungskommission

Rowohlt, 352 Seiten, 20 Euro
DDR, 1983. Ermittlungen im geschlossenen System. An der Bahnstrecke zwischen Jena und Saalfeld liegt der Leichnam eines afrikanischen Vertragsarbeiters, zerfetzt, geköpft. Otto Castorp, MUK Gera, lässt nicht los, trotz politischen Ermittlungsverbots. Und entdeckt, was es in der DDR nicht geben kann: Nazis.

4(–) Nicholas Searle Der Sprengsatz

Aus dem Englischen von Jan Schönherr.
Kindler, 304 Seiten, 20 Euro
Nordengland. Einmal hat Jake Winter einem V-Mann getraut: 63 Tote hat der in die Luft gesprengt. Beim zweiten Mal soll es anders laufen. Doch während Jake Muster islamistischer Verschwörung analysiert, übersieht er, dass ihm selbst die Rolle des Sündenbocks zugedacht ist.

5(3) Liza Cody Ballade einer vergessenen Toten

Aus dem Englischen von Martin Grundmann. Ariadne im Argument-Verlag, 416 Seiten, 22 Euro.
London, Las Vegas, achtziger Jahre, heute. Elly, absolutes Gehör, Komponistin für die halbe Popwelt, mit fünfzehn Jahren bestialisch ermordet. Amy rekonstruiert ihre Geschichte: kindliches Genie in wahnwitziger Musikindustrie. Egoistische Schwestern, bizarre Mütter, scheinmächtige Kerle. Faszinierend.

6(7) Georges Simenon Maigret im Haus der Unruhe

Aus dem Französischen von Thomas Bodmer. Kampa, 220 Seiten, 16,90 Euro
Paris. Kommissar Maigrets allererster Fall, noch von einem „Georges Sim“ verfasst, erstmals auf Deutsch. Nächtens gesteht eine junge Frau einen Mord, als Maigret sich umdreht, ist sie verschwunden. Mit großer Geduld belagert Maigret eine Familie in ihrem Wahn, bis die Wahrheit aufbricht.

7(–) Adrian McKinty Cold Water

Aus dem Englischen von Peter Torberg. Suhrkamp Nova, 378 Seiten, 15,95 Euro
Carrickfergus, Stranraer 1990. Frau und Kind sind schon in Schottland, Duffy arbeitet an seinem letzten Fall. Er will das Verschwinden eines 15-jährigen Travellermädchens aufklären – verdächtig sind Männer der Oberschicht. Doch so sozialpathetisch geht es nicht aus. Komplex, schlau: die Duffy-Serie.

8(–) Tawni O’Dell Wenn Engel brennen

Aus dem Englischen von Daisy Dunkel. Ariadne im Argument-Verlag, 350 Seiten, 21 Euro
Pennsylvania. Leicht mit Problemen umgehen kann Chief Carnahan. Seien es verschreckte Mütter, renitente Redneckfamilien oder Mädchen, die in brennenden Minen stecken. Hat sie doch selbst ihr Gewaltpotential nicht immer kontrolliert. Feministisch, realistisch: Matriarchat kann Elend verschärfen.

9(5) Mike Nicol Sleeper

Aus dem Englischen von Mechthild Barth. btb, 512 Seiten, 10 Euro
Kapstadt. HEU, waffenfähiges Uran, ist es, was Isis, die Iraner, die Amerikaner, die Chinesen, die Russen wollen. Und die Südafrikaner verkaufen es gerne, illegal. Glimmender Hintergrund, vor dem all die schlafenden Geheimdiensthunde erwachen und Fish Pescado und Vicky Kahn um ihr Leben kämpfen.

10(–) George Pelecanos Prisoners

Aus dem Englischen von Karen Witthuhn. Ars Vivendi, 230 Seiten, 18 Euro
Washington, D.C. Michael Hudson, Leseratte dank Knastbibliothek, glaubt an ein besseres Leben. Privatdetektiv Ornazian lotst ihn raus. Dafür soll Michael die Fluchtwagen steuern, wenn er und sein Kumpel Ward Kriminelle ausnehmen. Mann auf der Kante unter Dealern, Neonazis und Überlebenskämpfern.Und auch den 6. Platz hat mit MAIGRET IM HAUS DER UNRUHE von Georges Simenon, erschienen bei Kampa, ein Krimi vom Vormonat überndauert und einer, der der bewährten klassischen Helden entstammt. Welche Freude wir daran hatten und wie elegant sich hier das Buch (Kampa) mit dem Hörbuch (Audio Verlag) verbindet, hatten wir im letzten Monat beschrieben.