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Kategorie: Bücher
Bildschirmfoto 2020 02 01 um 03.08.37Serie: DIE KRIMIBESTENLISTE im Januar 2020  Teil 1

Elisabeth Römer

Hamburg (Weltexpresso) – Das gab‘s noch nie, ist aber kein Grund, daß wir mit der KrimiBestenListe vom Januar erst einen Tag vor der neuen Liste für Februar herauskommen. Letzteres war längst geschrieben, blieb aus Versehen in der Redaktion liegen. Ersteres ist eine Sensation, vier Kriminalautorinnen führen im ersten Monat der Zwanziger Jahre des 21. Jahrhunderts die Liste an und auf Platz 8 überwintert zudem mit HOTEL CARTAGENA Simone Buchholz.

Damit sind von den zehn besten Kriminalromanen, auf die sich die Jury der KrimiBestenListe jeweils einigen, die Hälfte von Frauen geschrieben!! Wenn man weiß, wie das noch vor Jahr und Tag aussah, ist das ein Siegeszug der weiblichen Kriminalromanschriftstellerinnen. Was zudem verblüfft, ist, daß von den fünf Frauen tatsächlich zwei Deutsche sind. Denn schon eher wurden in der Vergangenheit weibliche Autorinnen aus England, aus Frankreich und aus Südamerika mit den Lorbeeren der Plazierung auf der Bestenliste belohnt.

Und für dieses Mal ist neben den fünf Kriminalromanautorinnen auch herauszuheben, daß die drei Frauenkrimis auf den ersten drei Plätzen aus dem Französischen, dem Spanischen und dem Englischen übersetzt sind. Vergleicht man das mit der sonstigen bisherigen Übermacht des englischsprachigen (amerikanisch, kanadisch, australisch, süd-afrikanisch, englisch, schottisch, irisch...) Kriminalromans, so ist das nachgerade revolutionär!!

Natürlich geht es hier nicht um formale Beteiligung von Frauen im Krimigeschäft, sondern nur um die Anerkennung ihrer Leistungen, denn schon immer haben weibliche Autorinnen im Verkauf von Kriminalromanen bei den Lesern und Leserinnen sehr sehr gut abgeschnitten. Da braucht man nicht nur an Agatha Christie denken, aber darf sie anführen. Aber vertiefen wollen wir das Thema jetzt nicht, obwohl es der richtige Zeitpunkt wäre.

Und ehe die neuen auf der Liste erscheinen, geht unser Blick zurück, wer nämlich gegenüber dem Vormonat auf der Strecke bleibt. Wie treue Leser wissen, gibt es das eherne Gesetz, daß nach dreimaligem Setzen Schluß sein soll, damit die neuen Romane und Autoren überhaupt eine Chance haben.

Das gilt für den herausragenden Roman DREI von Dror Mishani von Diogenes, der zwar einige Zeit brauchte, bis sich seine subtile Psychologisierung eines Mannes im Hintergrund als scharfzüngiger Krimi herausstellte, dann aber auf breites Lob stieß. Fuminori Nkamura dagegen war mit DER REVOLVER, ebenfalls aus dem Diogenes Verlag, neu auf der Dezemberliste, wovon er aber wieder verschwand und auch im Februar nicht wiederkam. Denn das geschieht manchmal, daß ein Krimi gelistet ist, dann verschwindet, aber wiederkommt, wenn ihn inzwischen genug KrimiJuroren gelesen und gewürdigt haben.

Auch von Paulus Hochgatterers FLIEGE FORT, FLIEGE fort, erschienen bei Deuticke, muß man Abschied nehmen, bei diesem Roman handelt es sich um eine unter die Haut gehende Geschichte von Jugend und Gewalt und zwar Gewalt, die den Kindern, der Jugend zugefügt wurde und die diese – großgeworden – rächen. Mit Hilfe eines bewährten Polizisten namens Kovacs und des Psychiaters Horn wird die Welt etwas gerechter.

Regina Nösslers DIE PUTZHILFE aus dem Verlag Konkursbuch, war im Dezember auf Platz 5 eingestiegen und im Januar auf den 4. Rang vorgerückt. Eine tolle Geschichte, wobei einem einfach auffallen muß, das die Tätigkeit der weiblichen Hauptperson auch zum Romantitel führte, was auch für DIE KOSMETIKERIN von Melba Escobar zutrifft.

Auch Sarah Schulman war mit TRÜB, Ariadne im Argument Verlag, im Dezember auf die Liste gelangt, auf Platz 9 und steht nun im Januar auf Platz 3. Hannelore Cayre dagegen ist seit November dabei mit dem typischen Schicksal, hinten auf Platz 10 anzufangen, dann aber im Dezember schon auf Platz 2 vorzurücken und im Januar auf Platz 1!!

Da sie beim nächsten Mal nicht mehr dabei sein kann, noch mal ein Loblied auf DIE ALTE, die die Pariser Polizei kräftig aufmischt und dabei nicht nur aus dem Nähkästchen plaudert, sondern uns eine Figur nahebringt, die im Kriminalroman Seltenheitswert hat, obwohl sie im laufenden Geschäft eine notwendige Arbeit verrichtet, vor allem in Zeiten von Exil, Flüchtlingsströmen und Asylanten: eine Übersetzerin. Diese handelt nicht unmoralisch, sondern in ihrem Sinne sogar moralisch, wenn sie beim Übersetzen den kleinen Fischen hilft, sich aus dem polizeilichen Dschungel zu befreien, also einfach die Dinge auf Französisch ‚übersetzt‘, von denen sie weiß, daß es die Verdächtigen entlastet. Sie hat es nämlich auf die großen Fische abgesehen, und da sie an diese nicht rankommt, bewahrt sie die kleinen davor, für die großen gehängt zu werden. Im übertragenen Sinne.

Das ist aber noch längst nicht alles, denn sie hat aus Zufall auf einmal Kenntnis von einer großen Menge, einer wirklich großen Menge Haschisch. Das ist nicht mal unrealistisch, was und wie hier erzählt wird. Und Hannelore Cayre erzählt das so unumwunden ehrlich und nachvollziehbar, daß wir mit der Alten zufrieden sind, wie sich ihr Lebensstandard nun steigert! Ausführlicher sind alle diese Romane in den Besprechungen der letzten Monate rezensiert worden.

Fortsetzung folgt.

DIE KRIMIBESTENLISTE vom JANUAR 2020

1(2)
Hannelore Cayre
Die Alte
Aus dem Französischen von Iris Konopik.
Ariadne im Argument Verlag, 203 Seiten, 18 Euro

Paris. Madame Portefeux übersetzt seit 25 Jahren Arabisch für die Polizei. Ihr
Verdienst geht für das Altenheim der Mutter drauf. Als sie auf einen Berg
Haschisch stößt, greift sie zu. Alle leben vom Drogenhandel – warum nicht sie?
Nieder mit der Heuchelei, die Frechheit an die Macht!


2(–)
Melba Escobar
Die Kosmetikerin
Aus dem Spanischen von Sybille Martin.
Heyne, 320 Seiten, 9,99 Euro

Bogotá. Karen ist Spezialistin für Depilationen im „Haus der Schönheit“. Als
eine siebzehnjährige Kundin tot aufgefunden wird, gerät Karen zwischen die
Fronten: hier reiche Politiker, da die Aufklärung fordernde Mutter. Des Mordes
beschuldigt, steht die Kosmetikerin allein da. Noir unter Frauen.


3(9)
Sarah Schulman
Trüb
Aus dem Englischen von Else Laudan.
Ariadne im Argument Verlag, 270 Seiten, 20 Euro

New York 2017. Suchtkranke verstehen was von Sucht. Maggie Terry nutzt ihre
zweite Chance. Als Privatermittlerin eines Anwalts quält sich die Expolizistin, nach
dem Entzug geschüttelt von Flashbacks und Versuchungen, ermittelnd zurück ins
Soziale. Vereinsamt, verraten, in einer kranken Stadt.


4(8)
Regina Nössler
Die Putzhilfe
Konkursbuch, 402 Seiten, 12,90 Euro

Senden, Berlin-Neukölln. Klassenwechsel: Die promovierte Soziologin
Franziska lässt in der Münsterländer Provinz Mann und Haus hinter sich, taucht in
Berlin unter und verdingt sich als Putzhilfe. Raffiniertes Spiel mit Krimi- und
Sozialklischees. Ganz aus der Perspektive dreier verstörter Frauen.


5(1)
John le Carré
Federball
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Ullstein, 352 Seiten, 24 Euro

London. Nat und Ed, alternder Spion und radikal junger Remainer, ein wenig
Vater und Sohn, bei 15 Badmintonspielen. MI6 und Bruderdienst CIA in Zeiten
von Brexit und Trump: wenig Verstand, politisch konfus, dreist korrupt. Le Carré
mit 88: liebenswürdig, klar, elegant. Verficht Jugendtraum Europa.


6(7)
James Lee Burke
Mein Name ist Robicheaux
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger.
Pendragon, 600 Seiten, 22 Euro

New Iberia. Männerrivalität: Politiker Nightingale und Schriftsteller Broussard
ringen um den wahren Süden, einer als Kandidat, einer als Filmemacher.
Dazwischen Robicheaux, der nicht weiß, ob er im Suff den Mann umgebracht hat,
der seine Frau tötete. Abgründe der Gewalt, vom Epiker aus Louisiana.


7(4)
Norbert Horst
Bitterer Zorn
Goldmann, 320 Seiten, 13 Euro

Dortmund. Im Krieg zweier Clans wird ein Mädchen entführt. Ein junger
Einbrecher ist auch verschwunden. Steiger behält im Dauerstress klaren Kopf
und hat Ideen. Das Gesetz (des Handelns) halten andere in der Hand.
Straßenrealistisch, seelengenau: Bei Norbert Horst wird Polizeialltag Literatur.


8(8)
Simone Buchholz
Hotel Cartagena
Suhrkamp, 230 Seiten, 15,95 Euro

Hamburg, Cartagena. Henning ist der Seemann, der nie wieder nach Hamburg
zurückkommen will. Sein Glück findet er im kolumbianischen Cartagena, sein
Unglück auch, das kommt aus der Hansestadt. Chastity und Freunde werden
Geiseln eines großen Racheakts. „Überall schwarze Löcher.“ Blow-out.


9(–)
Bernhard Aichner
Der Fund
btb, 348 Seiten, 20 Euro

Rita, seit achtzehn Jahren an der Supermarktkasse, findet zwölf Kilo Kokain im
Bananenkarton und nimmt es mit. Da muss doch was drin sein im Rest des Lebens.
Es war der Beginn ihres Untergangs: Leider ist sie tot. Ein Kriminalist befragt
aussageunwillige Zeugen. Actionschleuder pur, helles Koks-Märchen.


10(5)
Robert E. Dunn
Dead Man’s Badge
Aus dem Englischen von Philipp Seedorf.
Luzifer, 356 Seiten, 14,95 Euro

Texas. Longview Moody, Geldkurier eines Drogenkartells, entkommt seiner
Hinrichtung und gibt hinfort als sein Bruder Paris Tindall den Polizeichef im
Grenzort „Lansdale“. Der fest in den Klauen der DEA und eines anderen Kartells
ist. Longview weiß, wie man solche Leute zurechtstößt. Rasanter Thriller.


Plätze im Dezember (in Klammern: Vormonat)


DIE JURY
Die Jury: Tobias Gohlis, Sprecher der Jury | Volker Albers, „Hamburger Abendblatt“ | Andreas Ammer, „Druckfrisch“, BR | Gunter Blank, „Rolling Stone“ | Thekla Dannenberg, „Perlentaucher“ | Hanspeter Eggenberger, „Tages-Anzeiger“ | Fritz Göttler, „Süddeutsche Zeitung“ |Jutta Günther, „Radio Bremen Zwei“ | Sonja Hartl, „Zeilenkino“,„Crimemag“, „Deutschlandfunk Kultur“ | Hannes Hintermeier, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ | Peter Körte, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ | Kolja Mensing, „Deutschlandfunk Kultur“ | Marcus Müntefering, „Spiegel Online“ | Ulrich Noller, „Deutsche Welle“, WDR |Frank Rumpel, SWR | Margarete von Schwarzkopf, Literaturkritikerin |Ingeborg Sperl, „Der Standard“ | Sylvia Staude, „Frankfurter Rundschau“ |Jochen Vogt, „NRZ“, „WAZ“

WO? außerhalb von WELTEXPRESSO
Die Krimibestenliste auf Deutschlandfunk Kultur
www.deutschlandfunkkultur.de

Die Krimibestenliste am ersten Sonntag des Monats: www.faz.net
Die zehn besten Kriminalromane des Monats Januar  2020  sind allerdings nur noch über online verfügbar. In der Vergangenheit veröffentlichte die FAS, die Sonntagszeitung der FAZ, an jedem ersten Sonntag im Monat die jeweilige Liste. Leider gibt es die Liste seit 2020 nur noch im Internet. Ob die FAZ und FAS wissen, welche Einbuße sie damit bei Krimilesern erfahren? 

Die Krimibestenliste
An jedem ersten Sonntag des Monats geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Die Krimibestenliste ist eine Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur.

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