Drucken
Kategorie: Bücher
Bildschirmfoto 2022 08 05 um 21.52.07DAS SIEBTE MÄDCHEN von Stacy Willingham bei rororo

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zugegeben, Stacy Willingham hat einen Debüt-Krimi geschrieben, den man nicht aus der Hand legen möchte, weil sie – wie aus dem Lehrbuch – mit Cliffhangern arbeitet und immer, wenn eine Situation ausgereizt scheint, neue Wendungen, neue Personen die Handlung der Icherzählerin Chloe Davis befeuern. Und doch und doch ...fühlt man sich am Schluß düpiert, wenn man die richtigen Täter die ganze Zeit ahnte, ja wußte.

Das brachte mich erst einmal darauf, zu überlegen, was ein Leser, eine Leserin außer Spannung von einem Krimi erwartet. Es mag nämlich sein, daß es Leser gibt, die höchst zufrieden sind, daß sie klüger sind als die Icherzählerin, also zufrieden damit sind, daß sie richtig lagen. Ich dagegen habe dann das Gefühl, daß ich das alles ja gar nicht hätte lesen müssen. Ich habe gerne eine Auflösung, die mich überrascht, die aber einsichtig ist.

Also, die Icherzählerin Chloe Davis ist eine vom Schicksal schwer gestrafte Frau; sie selbst hatte mit 12 Jahren im kleinen Ort Breaux Bridge in Louisiana entdeckt, daß im Sommer 1998 sich im Schrank der Eltern Schmuck von sechs verschwundenen jungen Mädchen befand und sie erinnert sich, mit welchem Blick ihr Vater das erste Opfer, Lena beobachtet hatte, als die ihr das Glühwürmchen in ihrem Bauchnabel gezeigt und deshalb ihr Top hochgezogen hatte. Der Vater bestätigt sofort den Verdacht, erklärt sich des Mordes an sechs Mädchen schuldig, sagt aber nicht, wo er sie vergraben hat. Lebenslänglich. Die Mutter dreht darauf durch, liegt komaähnlich im Heim. Nur Cooper, Chloes älterer Bruder ist der Fels in der Brandung geblieben, der er Zeit ihres Lebens für sie war. Beide leben inzwischen in Baton Rouge, der nächsten großen Stadt. Chloe hat nicht nur Psychologie studiert, sondern auch ihren Doktor gemacht, weil ihr das als selbständige Psychologin mit Praxis hilft. Wer gleich an die ‚hilflosen Helfer‘ denkt, diese Untersuchung Ende des letzten Quartals letztes Jahrhundert, die innerhalb der Psychologiestudenten diagnostizierte, daß diese psychologische Hilfe selber besonders brauchen, liegt richtig.

Chloe auf jeden Fall ist eigentlich raus aus allen Problemen. Die Praxis läuft. Sie hat ein eigenes Haus gekauft. Sie hat einen attraktiven Freund Daniel, der sie unbedingt heiraten will. Sie ihn auch. Daß sie für ihn Rezepte für x-Psychopharmaka ausstellt, die sie selber einlöst und beliebig zu sich nimmt, weiß er nicht. Sie dagegen weiß nicht immer, ob das, was sie erlebt, Wirklichkeit ist oder in ihrem Kopf ein Eigenleben führt. Deshalb bleibt sie bei Aussagen immer sehr unverbindlich und vor allem schweigt sie, wo sie reden müßte.

Beispielsweise bei der Polizei. Da ist nämlich auf einmal ein Mädchen verschwunden, 20 Jahre nach den Morden ihres Vaters. Und dann auch noch ein zweites Mädchen, das am selben Tag zuvor in ihrer Praxis ihren Rat suchte. Langsam, aber unerbittlich kommt ihr ein Verdacht, was die häufige Abwesenheit Daniels angeht. Und sie versteht jetzt besser, warum ihr Bruder gegen ihn mehr als Vorbehalte hat und umgekehrt. Fast Feindschaft.

Und dann ist ja auch Cooper immer zur Stelle, wenn sie Angst bekommt, daß hier ein Wiederholungstäter ihren Vater imitiert. Hilfreich erweist sich auch Aaron, ein Journalist der New York Times, der sie erst mit Anrufen nervt, weil er einen Artikel zu ihrem Vater nach 20 Jahren Gefängnis schreiben will, aber als sie nicht mehr weiter weiß, wie sie ihren Verdacht gegenüber Daniel verifizieren kann, läßt sie sich auf ein Gespräch ein, aus dem eine Freundschaft wird, ja sogar eine heiße Nacht.

Damit ist das Szenario beschrieben, in dem Chloe merkt, daß die neuen Morde mit ihr zu tun haben. Sie tut konsequent das Falsche. Belügt, bzw. informiert nicht die Polizei, der sie nur Info-Abfälle zuschiebt. Man folgt den ununterbrochenen Wendungen hin und her eigentlich gerne, merkt aber irgendwann, daß je stärker eine Person belastet wird, sie desto unwahrscheinlicher der Täter ist. Es ist ja Chloe, die hier erzählt und sie ist als Betroffenen eine absolut unzuverlässige Erzählerin. Aber nicht die Mörderin! Das darf man dann schon verraten. Keine Wiederholung von Agatha Christies ALIBI von 1926.

Foto:
Umschlagbild

Info:
Stacy Willingham: Das siebte Mädchen. (A Flicker In The Dark, 2022), Thriller. Aus dem Amerikanischen von Alice Jakubeit. Deutsche Erstausgabe August 2022. Rowohlt Taschenbuch Nr. 660, ca. 416 S., ca. 12.00 Euro (D), eBook 9.99 Euro (D), Aktionspreis 4.99 Euro (D)
ISBN 978 3 499 00660 9