Martin Suter läßt zwei „Edel“männer Freundschaft schließen und einen Picassodiebstahl aufklären
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Zugegeben, hier bin ich nicht objektiv. Überhaupt nicht, denn ich habe an die Verfilmungen der Allmen-Romane von Martin Suter seit 2017 mein Herz verloren, was sich auf das Lesen der neuen Geschichten auswirkt, wo ich nicht anders kann, als beim Lesen insbesondere den gewitzten Carlos in Gestalt von Samuel Finzi vor mir zu sehen, der auch in anderen Rollen hinreißend ist, aber hier im Zusammenspiel mit dem sonst leicht trögen Heino Ferch, der mit hübsche-Haare-auf-dem-Kopf- Perücke und elegant gewandet als echter Herr und Gentleman auftritt, subversiv mit mal samtener, mal scharfer Stimme beides schafft: seinem Chef Allmen zu suggerieren, dass dieser die Hosen anhabe und gleichzeitig ihm durch finanzielle Zuwendung ein klassisches Herrenleben möglich zu machen.
Das kann der aus Guatemala stammende Carlos nur, weil er persönlich sehr sparsam ist und gegenüber seinem Dienstherrn Johann Friedrich Allmen, der sich ‚von‘ nennt, weil er frech seine Herkunft vom Berg Allmen oberhalb von Zürich in adliges ‚von‘ wandelt, Beschützerinstinkte hat und mit diesem andererseits als Gleichberechtigter eine Firma führt, die sich Allmen International Inquiries nennt und eine Art Detektei ist, an der sich auch Carlos’ Freundin Maria aus Südamerika, die den Haushalt führt, beteiligt.
Das Idol des reichen, gebildeten und souveränen Gentleman, das Allmen heute für die Welt lebt, war einst Realität. Denn er wuchs in der väterlichen Villa noch im Reichtum auf, aber hat es versiebt und kann froh sein, wenn keiner merkt, dass er, wenn er sich an der Villa absetzen läßt, sich um diese herumschleicht und ins Gärtnerhaus schlüpft, das er beim Verkauf der Villa an eine Treuhand-Firma als Eigentum behielt und wo er nicht nur seinen Bechsteinflügel, sondern auch seine hochwertige Musikanlage hat und andere Bequemlichkeiten. Das muß man alles nicht wissen, denn Martin Suter läßt solche Informationen in jedem Krimi nebenbei einfließen, ohne dass es diejenigen, die alle Allmenkrimis kennen, nervt.
Daß sich Allmen recht gut in Kunstdingen auskennt, vor allem aber sein Wissen sofort auf höherem Fundament erweitern kann, wirkt sich doppelt aus. Mal begeht er Kunstdiebstähle, mal untersucht er diese mit seiner Detektei. Hier ist also was los. Allerdings kommt Allmen im siebten Krimi eher als Gentleman und Detektiv daher, was sicher auch daran liegt, dass ihm wichtig ist, von Adrian Weynfeldt gemocht zu werden, zumindest dessen Respekt zu gewinnen, mit einem Wort: als gleichgestellt wahrgenommen und behandelt zu werden, was Weynfeldt einlöst, auch als er durch Zufall mitbekommt, wie Allmen nicht ins Herrenhaus eintritt, sondern im Gärtnerhäuschen verschwindet.
Beide wollen dauernd für den anderen mitbezahlen, denn ein Großteil der Geschichte wird ausladend getafelt und vor allem die teuersten Weine getrunken, wobei Allmen beim Bezahlen erst mithalten kann, nachdem Herr Weynfeldt seine Firma mit einer Untersuchung inklusive kräftigem Vorschuß beauftragt hat. Es ist nämlich etwas passiert. In der mit Kameras überwachten feudalen und großzügigen mit vielen Gemälden und anderen Kunstwerken bestückten Wohnung ist in einem der selten benutzten Zimmer ein kleiner Picasso gestohlen worden. Der Kunstkenner Weynfeldt ist sicher, dass es ein echter Picasso ist, einige Kunsthistoriker bestreiten das, aber das ist Weynfeldt eigentlich egal, er liebt das Bild und will es unter allen Umständen zurück.
Weynfeldt lebt sehr zurückgezogen, hat nur einzelne Freunde zu Besuch, hatte aber gerade zum ersten Mal alle Freunde gleichzeitig eingeladen. Dann gibt es noch die strenge Haushälterin, die heimlich ihren Neffen übernachten läßt, wenn der Hausherr nicht da ist und eine Putzhilfe. Für die Freunde und die Haushälterin legt Weynfeldt die Hand ins Feuer. Allmen hat es also schwer, umschifft die Probleme damit, dass er die Freunde zu Zeugen erklärt und sie so verhören kann, besser: zart befragen.
Das liest sich herunter wie Butter und – wie gesagt – bin ich nicht objektiv, aber gerade deshalb, weil in der Verfilmung Samuel Finzi diesen witzigen, frechen, intelligenten, gleichzeitig respektvollen Carlos gibt, fällt im siebten Krimi auf, dass er eine nur geringe Rolle spielt. Hier geht es um zuvörderst um Männerfreundschaft, die sich unter eleganten Herren auch durch gemeinsames Schweigen herstellt, denn wenn man das aushält, dann tut man sich gegenseitig gut. Das empfinden beide.
Daß ja eigentlich der Dieb gesucht wird und vor allem das gestohlene Bild wieder verfügbar sein soll, wird fast Nebensache. Drum wundert man sich kaum, dass sechs Seiten vor Schluß der insgesamt 217 Seiten der/die Täter auf einmal, wie vom Himmel gefallen, gefaßt werden. Man ist trotzdem nicht enttäuscht, denn Suter löst ein, was er mit Allmen verspricht: einen süffisanten Roman, der seine beiden Protagonisten Allmen und Weynfeldt aufeinandertreffen und sich verstehen läßt. Sonst ist Allmen derjenige, der den „vornehmen“ Stil vorgibt, hier aber lernt er den exquisit gekleideten Weynfeldt als Objekt seiner Bewunderung kennen, der ihn, denn das ist echt gentlemanlike, als ebenbürtig behandelt, obwohl er dessen Desaster mitbekommen hat.
Foot:
Umschlagabbidlung
Info:
Martin Suter, Allmen und Herr Weynfeldt, Diogenes Verlag 2024
ISBN 978 3 257 07279 2