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Kategorie: Bücher

FIFTY SHADES OF GREY, Teil 1: Die Trilogie von E. L. James. Persönliche Überlegungen

 

Alexander Martin Pfleger

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Betrachtet man sich die bisherigen feuilletonistischen Einlassungen zur Romantrilogie „Fifty Shades of Grey“ der britischen Autorin E. L. James etwas genauer, kommt man nicht umhin, die Vermutung auszusprechen, hier werde wieder einmal allzu selbstgefällig der vermeintlich bessere Geschmack einiger Vertreterinnen und Vertreter der kritisierenden Zunft gegenüber dem Kaufverhalten einer als ungebildet vorausgesetzten Leserschaft, die es zu belehren gelte, ausgespielt.

 

Manchmal muß man einfach etwas persönlicher werden – also: Ich interessiere mich für Erotik und Sexualität in der Literatur ebensowenig wie weiland Marcel Reich-Ranicki für die Probleme der Eskimos. Erotik und Sexualität mögen in bestimmten Zusammenhängen ihre Funktion inne haben, wogegen nichts einzuwenden ist, werden aber weiterhin allzu häufig um ihrer selbst willen allem möglichen aufgepfropft, um das jeweils behandelte Thema interessanter erscheinen zu lassen. Und das braucht man nun wirklich, um eine Formulierung des verstorbenen Fuldaer Erzbischofs Johannes Dyba aus einem anderen Zusammenhang aufzugreifen, ebenso sehr wie einen Kropf im Nacken.

 

Es gereichte der großen europäischen Romanliteratur des 19. Jahrhunderts keineswegs zum Nachteil, daß beide Bereiche bestimmten Formen der Tabuisierung unterworfen waren, wie umgekehrt in der Libertinage des 20. Jahrhunderts kein genereller Vorteil zu erblicken sein sollte – die „Sexszenen“, welche vielfach allein Leser nach den Mach- wie Meisterwerken der Moderne greifen ließen, stellten selten künstlerische Höhepunkte dar.

 

Fifty Shades of Grey“ hat mich nur bedingt interessiert. Durch die Medien seit 2012 leidlich informiert, wurde mir rasch klar, daß die Geschichte der jungfräulichen Literaturstudentin Anastasia Steele, die sich in den exzentrischen Multimilliardär und Jungunternehmer Christian „Ich bin in fünfzig Facetten abgefuckt“ Grey verliebt, einen ins Positive gewendeten Hannibal Lecter, der nicht mit Frauen schläft, sondern diese hart zu ficken pflegt (Seltsam? Aber – so steht es geschrieben!), danach gerne mit entblößtem Oberkörper Bach, Chopin oder einen der Virginalisten auf dem Klavier zu spielen beliebt und überdies noch Hubschrauber und Segelflugzeuge zu steuern vermag, nicht unbedingt das ist, was meine Neugierde zu wecken vermöchte. Da lese ich lieber Eskimomärchen.

 

Die Begeisterung einiger Menschen für „Fifty Shades of Grey“, deren Urteil mir sehr wichtig ist, sowie die überzogen heftig wirkende Ablehnung des „Phänomens“ „Fifty Shades of Grey“ von feuilletonistischer Seite aus, ließen mich die Angelegenheit denn doch etwas näher in Augenschein nehmen.

 

Phänomen? Wenn mich während der vergangenen 10 Jahre zwischenzeitlich das Gefühl beschlichen haben sollte, die Zeit, da man sich im Feuilleton über bestimmte populärkulturelle „Phänomene“ ereiferte, wären glücklicherweise vorbei, und man frage endlich nur noch nach tatsächlich vorhandener Qualität und tatsächlich angelegtem Potential oder konstatiere unleugbare Schwächen, dann muß mich dieses mein Gefühl gründlich getrogen haben.

 

Tatsächlich scheint man „Fifty Shades of Grey“ als willkommenen Anlaß genommen zu haben, sich endlich wieder einmal der eigenen „Exklusivität“ zu versichern – und dabei stillschweigend unter den Tisch fallen zu lassen, daß man einerseits doch selber tagein, tagaus literarisch wesentlich dürftigere, erzähltechnisch dilettantischere und überdies offen pornographische Bücher hochjubelt, man andererseits in der Auseinandersetzung mit „Fifty Shades of Grey“ aber stellenweise das Grundinstrumentarium literaturwissenschaftlicher Erschließung eines fiktionalen Textes außer Acht lassen zu dürfen vermeint.

 

Ina Hartwig wird es in der SZ nicht müde, zu betonen, welch ein schlechter Porno doch „Fifty Shades of Grey“ sei und wie untalentiert deren Autorin – ohne jede metaphorische Begabung, laienhaft im Aufbau, zur unfreiwilligen Komik neigend, dabei stets Schleichwerbung betreibend. Das Ganze verletze einerseits die Regeln der Pornographie, erhebe andererseits keinerlei Kunstanspruch. Merkwürdig, welche Bedeutung hier plötzlich wieder dem Regelwerk beigemessen wird. Nun denn: Merker am Ort – fahren wir fort!

 

Etwas mehr in die Tiefe geht da schon Nina Pauer, die sich in der ZEIT der Frage widmet, wie der Erfolg dieses für sie todlangweiligen Sadomaso-Softpornos zu erklären sei, und dabei durchaus erwägenswerte Überlegungen anstellt – Sex sei wieder zu einer Utopie geworden, und das Erlebnis des Moments, das Gefühl der Hingabe und Zweisamkeit realisiere sich für das Protagonistenpaar erst in einem „Kosmos aus Codes und Regeln“, innerhalb eines ausgefeilten Vertragswerks, welches das Verkehren miteinander auf geschlechtlicher Grundlage regle.

 

Also so ähnlich wie in Richard Wagners „Tristan und Isolde“ erst durch den Liebestrank die Titelhelden sich einander zu offenbaren vermögen, nur eben hier mit Paragraphen und Handschellen?

 

Wie sich die Herzen

wogend erheben,

wie alle Sinne

wonnig erbeben!

Sehnender Minne

schwellendes Blühen,

schmachtender Liebe

seliges Glühen!

Jach in der Brust

jauchzende Lust!

Isolde! Tristan!

Welten-entronnen,

du mir gewonnen!

Du mir einzig bewußt,

höchste Liebeslust!“

 

Eine Entgrenzung der Sinne und der Ich-Erfahrung, das Verschmelzen zu einer höheren Einheit, aber ohne Preisgabe der Individualität im negativen Sinne?

 

Ohne Nennen,

ohne Trennen,

neu Erkennen,

neu Entbrennen;

endlos ewig

ein-bewußt:

heiß erglühter Brust,

höchste Liebeslust!“

 

Am Ende gar das Aufgehen im Weltganzen, welches das Unbewußte als Form neuer, niegekannter Bewußtheit definiert?

 

In dem wogenden Schwall,

in dem tönenden Schall,

in des Welt-Atems

wehendem All –,

ertrinken,

versinken –,

unbewußt –,

höchste Lust!“

 

O Wonne voller Tücke! O truggeweihtes Glücke! Rette Dich, Tristan – nichts von all´ dem ist hier der Fall! Das Ganze erweist sich, so Nina Pauer, letztlich als literarischer Müll – in „einem unerträglich mädchenhaften Tagebuchstil à la Bridget Jones“ verfaßt.

 

Zumindest Julika Griem in der FAZ bemüht sich, bei aller Distanziertheit, die sich in ihrer Feststellung bezüglich des kommerziellen Erfolges von „Fifty Shades of Grey“ ausdrückt, mit „Englishness“ lasse sich eben im auch von den Fan-Imperien der Jane-Austen-Anhängerinnen sowie der Leserinnen von Vampirgeschichten durchzogenen transatlantischen Kräftefeld weiterhin so mancher Lust- und Distinktionsgewinn erzielen, hier und da durchschimmern zu lassen, daß man den intertextuellen Aspekten der Trilogie vielleicht doch etwas mehr Aufmerksamkeit schenken sollte, und daß sich, rekurrierend auf Eva Illouz, die Geschichte von Ana und Christian nicht allein als Symptom, sondern auch als Analyse eines solchen – soziologischer Natur! – lesen lasse.

 

Ich habe „Fifty Shades of Grey“ bis heute nicht gelesen – will sagen: Ich habe es noch keiner buchstabengenauen Lektüre unterzogen. Ob ich mir eine solche jemals vornehmen werde, ist fraglich – eine detaillierte Studie zur Trilogie plane ich derzeit nicht zu schreiben. Um aber einen kleinen Zwischenruf zu tun wider die vorschnelle Aburteilung dieser drei Bände als, wie es der ansonsten von mir sehr geschätzte Denis Scheck tat, Schrottprosa zwischen zwei oder besser sechs Buchdeckeln, schien mir ein kursorischer Durchgang, ein allgemeines Abklopfen hin auf Rhythmus, Stil, leitmotivisch wiederkehrende Begriffe sowie literarische und musikalische Anspielungen durchaus gerechtfertigt – wenn man den Daumen, zumal angesichts eines Übermaßes von negativer Kritik, eher zu heben denn zu senken geneigt ist, dann scheint mir dies durchaus erlaubt. Ich habe mich dabei vor allem auf den ersten Band konzentriert, da er mir in literarischer Hinsicht mit am ergiebigsten erschien.

 

Freilich: Verrisse schreiben sich leichter – bedürfen meines Erachtens aber auch sorgfältigerer Abwägung. Als Marcel Reich-Ranicki „Ein weites Feld“ von Günter Grass in die Tonne trat, konnte man zumindest sicher sein, daß er seinen Grass und seinen Fontane wirklich intus hatte, auch wenn man selber zu einer anders gearteten Wertung zu tendieren geneigt sich erwies.

 

Womöglich fehlt mir aber doch eine wichtige Voraussetzung? Anders als Denis Scheck verfüge ich über keinerlei Kenntnisse italienischer Pornohefte – somit dürfte ich gewiß nicht hundertprozentig kompetent sein, um den Sachverhalt beurteilen zu können, ob sich in denselben tatsächlich mehr Prosa fände denn in der "Steinzeit-Prosa" von E. L. James – aber andererseits ist doch "Steinzeit-Prosa" auch eine Form von Prosa? Es gibt aber offenbar nicht nur einhändige Lektüren (diese Anspielung verstehe ich übrigens nicht!) – es gibt auch Formen einhändiger Literaturkritik, auch bei den besten Leuten (diese Anspielung sei mir gestattet, wiewohl es mir am Verständnis für die Grundanspielung eingestandenermaßen mangelte!)!

 

Ich jedenfalls habe mich lieber mit der Versdramatik Gerhart Hauptmanns befaßt – und dessen „Kaiser Karls Geisel“ sowie dessen „Veland“, den der Dichter der „Weber“ in einem noch unveröffentlichten Brief an Heinrich George anläßlich der Berliner Aufführung dieser altnordischen Rachetragödie im Jahre 1942 als sein dramatisches Hauptwerk bezeichnete, beinhalten mehr SM, Bondage, Unterwerfung und Abgründe als alles, was im Zusammenhang mit „Fifty Shades of Grey“ angeführt wurde und werden letztlich nur von Kleist übertroffen.

 

Das Hauptproblem, welches gewisse Leute mit E. L. James haben, scheint mir – und ich scheue mich nicht, diese banale, aber leider wahre Feststellung laut und deutlich und weithin hallend vernehmbar auszusprechen! – ihr Erfolg zu sein. Jemand, der sein Werk als Twilight-Fan-Fiction begonnen und bei einem australischen Kleinverleger drucken lassen hat und dann binnen kürzester Zeit weltweit über 30 Millionen Exemplare verkaufte: So jemand darf einfach kein Niveau haben!

 

Die Autorin gebe Sadomaso- und Bondage-Praktiken fehlerhaft wieder? Schön zu sehen, wie viele Experten hierfür in den Redaktionen sitzen – aber andererseits liegt Böhmen bei Shakespeare bekanntlich auch am Meer!

 

Ihr mangele es an metaphorischer Begabung? Daß sie eine solche unter Beweis zu stellen beabsichtigte, ist mir nicht aufgefallen – interessanterweise wird zumindest in Kreisen nichtprofessioneller Literaturkritik (Amazonkundenbewertungen, youtube-Kommentare) meines Erachtens zurecht betont, daß gerade ihr Verzicht auf metaphorische Umschreibungen sexueller Aktionen, welche die Lektüre anderer Werke aus diesem Bereich so unangenehm machten, einer ihrer nicht unerheblichen Vorzüge sei; und dies auch von Leserinnen und Lesern, die dem Ganzen auch eher skeptisch gegenüberstehen. Beim Durchblättern stellte sich bei mir ein vergleichbarer Eindruck ein.

 

Ein Vorzug ist zudem darin zu sehen, daß E. L. James auf im eigentlichen Sinne obszöne und pornographische Begriffe und Formulierungen verzichtet – einigen Quellen zufolge soll hier die deutsche Übersetzung etwas direkter ausgefallen sein; aufgefallen ist mir das nicht.

 

Die Prosa von E. L. James verfügt nicht über das ästhetische Reflexionsniveau Marcel Prousts oder Thomas Manns – gut, aber das hat meines Wissens auch niemand behauptet, weder ernstlich, noch im Scherz. Niemand hat die Absicht, ihr den Literaturnobelpreis zu verleihen, und besonderes sprachliches Niveau ist in unserer möglichst degetokompatiblen deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, wie sie insbesondere von den Vertretern des Dilettantenstadls vom Wörthersee produziert wird, überdies ohnehin nur selten zu erwarten – erinnert sei an die Feststellung von Michael Lentz, bei der Lektüre Thomas Manns verspüre man wieder einmal die Verpflichtung, wirklich hart an der Sprache zu arbeiten: Also nicht „hart ficken“, sondern „hart an der Sprache arbeiten“ – kein kleiner, wohl aber ein feiner Unterschied!

 

Hinter Bret Easton Ellis, Nicholson Baker oder Michel Houellebecq braucht sich E. L. James kaum zu verstecken – diese Autoren treten intellektueller auf, erweisen sich aber aufgrund ihres von ihnen selten eingehaltenen hohen Anspruchs als der etwas zurückhaltender auftretenden Kollegin ästhetisch nur geringfügig überlegen.

 

Fifty Shades of Grey“ strahlt womöglich nicht jene gefährliche Faszination aus, jene „Wollust der Hölle“, welche für Friedrich Nietzsche in „Ecce homo“ das Besondere des „Tristan“ ausmachte; eine gleichermaßen schauerliche wie süße Unendlichkeit von „fünfzig Welten fremder Entzückungen“ – oder vielleicht doch?

 

Welche Bilder ein Werk der Literatur, welchen Ranges auch immer, in der jeweiligen Leserin oder im jeweiligen Leser entstehen läßt, welche Emotionen es hervorruft und welche Gedanken es in Gang setzt, läßt sich kaum ermitteln – das ist der Bereich des gemeinhin Subjektiven. Ein paar objektivierbare Aspekte der „Fifty Shades of Grey“ wollen wir uns aber im Folgenden vor Augen führen.

 

Gemäß dem Ausspruch von Karl Kraus, ein Feuilleton zu schreiben bedeute, auf einer Glatze Locken zu drehen, ist das Gebiet der Intertextualität ein bevorzugtes Feld für Feuilletonisten zum Ondulieren, also wenn es darum geht, auch noch die erbärmlichsten Produkte den selbsternannten und selbstverliebten „happy few“ schmackhaft zu machen. Warum dann diese merkwürdige Ungleichbehandlung im Bezug auf „Fifty Shades of Grey“? Pardon – die Frage war naturgemäß (ich könnte natürlich auch einfach nur „natürlich“ schreiben, aber ich will ja zeigen, daß ich Thomas Bernhard gelesen habe – deswegen schreibe ich „naturgemäß“!) rein rhetorischer Natur.

 

Einer der wichtigsten intertextuellen Bezugspunkte ist Thomas Hardys „Tess of the D’Urbervilles“ – von Ina Hartwig auf einen „Klassiker der sexuellen Unterwerfung“ reduziert, von Julika Griem hingegen etwas genauer ins Visier genommen. Eine adäquate Auseinandersetzung mit „Fifty Shades of Grey“, fernab aller Pauschalverdammungen à la „Softporno“ (Nebenbei: Wäre es denn besser, wenn es sich hierbei um einen „Hardcoreporno“ handelte? Ich mag jedenfalls beides nicht – ich mag lieber Texte voller subtiler intertextueller Anspielungen!), müßte diesem Beziehungsgeflecht, wie es ja auch in einigen Gesprächen zwischen Ana und ihrer Freundin Kate sowie Ana und Christian thematisiert wird, konsequent nachspüren. In den späteren Bänden scheint Charlotte Brontë mit ihrer „Jane Eyre“ stärker ihr Recht zu fordern; hier gilt ein gleiches.

 

Das lesefaule deutschsprachige Feuilleton sucht bis heute seine vorgebliche Souveränität immer wieder durch Bezugnahme auf den „Blade Runner“ unter Beweis zu stellen, scheint aber immer noch nicht allzu viel von „Do Androids dream of electric Sheep?“ zu wissen: E. L. James hingegen ist kein Vorwurf zu machen, wenn sie es bei filmischen Anspielungen beläßt – neben dem Androidenjäger wird auch auf „Stepford-Blondinen“ rekurriert, um die Emotionslosigkeit und Gefühlskälte unserer Gegenwart anzudeuten.

 

Ein weiterer Aspekt, den es zu bedenken gäbe, wäre in der Problematik der Rollenprosa zu sehen. „Fifty Shades of Grey“ ist aus der Perspektive der Anastasia Steele geschrieben, größtenteils im Präsens. Wie es aussieht, scheint die Autorin durchaus ein Konzept mit der offenkundigen Diskrepanz zwischen der außergewöhnlichen Belesenheit ihrer Heldin (von Shakespeare über Jane Austen und alle großen Viktorianer bis hin zu Henry James und F. Scott Fitzgerald!) und ihrer Rolle als Naivchen verfolgt zu haben – durchaus korrespondierend mit ihrer einfachen, bisweilen saloppen, nie aber primitiven oder gar vulgären Ausdrucksweise. Inwiefern dieses Konzept über drei dicke Bände hinweg tragfähig ist und auch durchgehalten wird, oder auch Schwachstellen und Leerläufe aufweist, müßte herausgearbeitet werden.

 

Das gilt auch für die Lieblingsallegorien der Ich-Erzählerin – ihr „Unterbewußtsein“ (so etwas wie die Ratio) und ihre „innere Göttin“ (so etwas wie ihr Gefühlsleben). Beide provozierten heftige Kritik – „Pseudo-Esoterik“ sei die letztere, wohingegen ersteres von einem Unverständnis der Freudschen Terminologie zeuge. Ich weiß nicht recht – können beide nicht einfach für sich selbst stehen, ohne auf einen wie auch immer gearteten Überbau zu verweisen? Ein Manierismus – nichts mehr, nichts weniger, vielleicht aber durchaus originell? Auf jeden Fall zählen die Stellen, da wir über beider jüngste Machenschaften informiert werden – und was die beiden so mit- oder besser gesagt: Gegeneinander treiben, das hat es wirklich in sich! – , für mich zu den witzigsten der Trilogie: Unfreiwillig komisch ist das keineswegs. Im übrigen war mancher Kritiker auch nicht gerade glücklich über die Personalisationen „ER-Halm“ und „ICH-Halm“ in Martin Walsers „Brandung“.

 

Wie schon gesagt, scheint mir der erste Band der literarisch ergiebigste zu sein. Das Thema der vertraglich geregelten sexuellen Unterwerfung, dabei das der sich vertiefenden Liebe Anas zu Christian, ihrer Bemühungen, die eigene Unabhängigkeit zu bewahren, und schließlich ihrer Trennung von Christian, den sie gleichwohl weiterhin liebt – dies alles wird geradlinig und konsequent entwickelt. Umschweife gibt es nicht, wohl aber so manche Andeutungen und dunkle Ecken: Die Mutmaßungen über Christians Vergangenheit und die Frage, warum er sich einerseits zum Kämpfer gegen den Hunger in der Welt, andererseits zum Kontrollfreak entwickelte.

 

Das alles wird von der Autorin durchaus kunstvoll in der Schwebe gehalten und weist einiges an Potential zu einer wirklich großen Liebesgeschichte auf – leider fasert das in den Folgebänden immer stärker auf. Nebenhandlungen, die mit der Kernproblematik nichts zu tun haben, strecken die Geschichte unnötig, und mit der Aufklärung von Christians Vergangenheit wird einiges vom möglichen atmosphärischen Zauber des ersten Teils zunichte gemacht. Ein paar Rückblenden und Perspektivwechsel lassen die Geradlinigkeit des ersten Teils zugunsten einer gemäßigten Form von Modernität hinter sich, die heute schon zum Standardrepertoir eines jeden Serienkiller-Thrillerautors sowie Stephen Kings zählt, den das Feuilleton in deutschen Landen heutzutage hofiert, früher aber – wie auch anders? – ignorierte, und die gegenüber traditionelleren Ansätzen mittlerweile merkwürdig abgestanden und reizlos wirkt.

 

Ferner sollte dem Motiv des Ikarus mehr Beachtung geschenkt werden – zumindest im ersten Band stellt er vielleicht die wichtigste mythologische Identifikationsfigur für Ana dar. Sie sieht sich quasi als weiblichen Ikarus, dessen Sonne Christian ist. Er zieht sie an, aber sie versucht gleichwohl, darauf zu achten, daß er das Wachs ihrer Flügel nicht zum Schmelzen bringe. Dies erfahren wir aus ihren Reflexionen, und einmal erwähnt sie es auch im Gespräch mit ihm. Ihr ist es darum zu tun, am Leben zu bleiben, und nicht, wie es Herbert Hinterleithner in seinem „Ikarus“ aus den „südlichen Terzinen“ formuliert, der Schwere singend vergessen „mit entzündetem Gefieder“ von den Höhen ihrer Seligkeit als „Fackel in kristallne Meere“ niederzustürzen.

 

Auch fällt der Begriff der Erlösung im Zusammenhang mit Beschreibungen des Geschlechtsaktes auf; so, als sollte hier über die Darstellung des Strebens nach bloß sexueller Erfüllung hinaus der Bereich der Transzendenz mitangesprochen werden – blind tastet der Mensch im Sinnentaumel nach dem Göttlichen.

 

Letztlich erweist sich „Fifty Shades of Grey“, und das ist keine negative Kritik, als eine insgesamt eher viktorianische Angelegenheit – mehr noch: Als Transposition eines dreibändigen viktorianischen Romans ins frühe 21. Jahrhundert, in die Welt der iPods, BlackBerrys und Smartphones; in eine Welt fast ohne sexuelle Tabus, deren Bewohner durch ihr gleichermaßen verzweifeltes wie hemmungsloses Streben nach immer ausgefalleneren Formen sexueller Ekstase letztlich auch nur das Streben nach Erlösung von irdischen Zwängen offenbaren. Jenseits von Helikoptern, Penthäusern, Kabelbindern, Kreppbändern, Floggern und Safewords schimmert nicht allein das Ideal der bürgerlichen Ehe hindurch, die Ana und Christian am Ende zuteil wird, sondern zugleich auch die Idee der reinen, wahren, ewigen Liebe – und das ist wahrlich ein guter Gedanke und eine erfreuliche Botschaft! Wie drückt es Brünnhilde in einer verworfenen Fassung des Schlusses der „Götterdämmerung“ aus?

 

Nicht Gut, nicht Gold,

noch göttliche Pracht;

nicht Haus, nicht Hof

noch herrlicher Prunk:

nicht trüber Verträge

trügender Bund,

noch heuchelnder Sitte

hartes Gesetz:

selig in Lust und Leid

läßt – die L i e b e nur sein.“

 

Ein handwerklicher Einwand aber sei mir zum Schluß noch gestattet: Auf den ersten ein- , zweihundert Seiten schreibt Ana sinngemäß, ihre innere Göttin habe an sich Cheerleader-Qualitäten entdeckt. An wesentlich späterer Stelle wird der Begriff des Cheerleaders im Zusammenhang mit Anas innerer Göttin noch einmal aufgegriffen. Für meinen Geschmack hätte hier etwas deutlicher werden sollen, daß der Begriff schon einmal gefallen ist und hier quasi bestätigt oder vertieft wird. Aber auch dies ist zunächst nur eine rein subjektive Position – eine allererste persönliche Stellungnahme.

 

Deutschsprachige Ausgaben:

 

Shades of Grey 01 - Geheimes Verlangen, Übersetzung: Andrea Brandl und Sonja Hauser, Goldmann Verlag, München 2012, ISBN 978-3-442-47895-8

 

Shades of Grey 02 - Gefährliche Liebe, Übersetzung: Andrea Brandl und Sonja Hauser, Goldmann Verlag, München 2012, ISBN 978-3-442-47896-5

 

Shades of Grey 03 - Befreite Lust, Übersetzung: Andrea Brandl und Sonja Hauser, Goldmann Verlag, München 2012, ISBN 978-3-442-47897-2