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Kategorie: Bücher

Serie: Sein Leben in seinen eigenen Worten, in denen er nicht auf bessre Zeiten warten will, Biermann IV

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Es gibt nur ein Ding, was an einen Auftritt des lebendigen Biermann auf der Bühne oder an das Abspielen seiner Lieder heranreicht – und das ist diese Biographie, die ich ihm, das sage ich ehrlich, so detailliert, so spielerisch, so ernsthaft, so weitblickend, so inniglich, so selbstironisch nicht (mehr) zugetraut hätte.


Nein, nein, nicht weil Wolf Biermann nun schon 80 Jahre zählt, mehr, sondern weil ihm ja nicht nur in der DDR übel mitgespielt wurde, sondern auch in der Bundesrepublik, was Reaktionen bei ihm auslöste, die auch gute Freunde zeitweise von ihm entfernte. Diese Biographie ist gut geeignet, wieder bei der Stunde Null anzusetzen, wo das literarische Junggenie zur richtigen Zeit am richtigen  Ort die richtigen Worte fand und die richtige Musik dazu. Ein anderes Wort für richtig fällt dabei nicht ein, weil richtig sowohl das Rechte daran, wie den richtigen Zeitpunkt benennt. Selten konnte man einen Menschen erleben, den man so wesentlich für seine, für unsere Zeit hielt und hält.

Auf die Anfangsjahre und den Wechsel in die DDR sind wir im Geburtstagsartikel
https://weltexpresso.de/index.php/buecher/8881-wolf-biermann-wird-heute-80-jahre
schon eingegangen. Die wenigsten wissen, daß Wolf Biermann seine erste Bekanntheitswelle in Westdeutschland nicht erst mit dem Kölner Konzert und der Ausbürgerung durch die DDR erlebte. 1964: „Am 2. Dezember fuhr ich mit meiner Weißgerber-Gitarre zum Singen auf die andere Seite der Welt.“(145) Die Einladung des SDS, des Deutschen Sozialistischen Studentenbundes hatte die DDR akzeptiert. So kam Biermann auch nach Frankfurt. Und das gleich ein Jahr später noch einmal. Es war der populäre Westberliner Kabarettist Wolfgang Neuss, mit dem zusammen er eingeladen wurde, die zentralen Abschlußveranstaltung der westdeutschen Ostermärsche in Frankfurt am Main zu bestreiten. (150)

Das war am 19.4. 1965 und ich erinnere mich an diesen Auftritt, den ich im Zoo-Gesellschaftshaus erleben konnte, weil mein Vater weitschauend sein Kind mitnahm, bis heute genau. Das aus mindestens zwei Gründen. Der Auftritt war umwerfend und die Lieder konnte man in der gemeinsamen Platte mit Wolfgang Neuss nachhören. Damals als Jugendliche machte man das so: 50 mal hintereinander hören und längst alles auswendig mitsingen.

„Neuss und ich hatten ein wirkungsvolles Arrangement unserer Nummern verabredet. Sein Kabarett in der Tradition des genialen Karl Valentin, meine Lieder in der Tradition von Brecht.“(154) Dann schreibt er über SOLDAT, SOLDAT..., „wie die Faust aufs ostwestliche Militaristen-Auge.“ Im Westen von den Ostermarschierern frenetisch gefeiert, im Osten verboten. Dies Konzert wurde mitgeschnitten und als Platte WOLF BIERMANN OST zu Gast bei WOLFGANG NEUSS WEST...in Westdeutschland Kult und in heimlichen Weitergaben im Osten auch. „Witze wurden gemacht über über das kleine Wolfsrudel Wolfgang und Wolf, die jetzt gesamtdeutsch heulten.“
Doch das Riemannsche WINTERMÄRCHEN, das Neuss ohne Wissen des Autors gutgemeint in Westberlin veröffentlichte, führte für den jungen Dichter zur Eiszeit in der DDR, die er selbst noch dadurchfestigte, indem er seine Gedichte bei Klaus Wagenbach in Westberlin veröffentlichte, wo später erste einmal alle seine Gedichte und Lieder erschienen.

Peter Hacks als 'Klassiker der Revolution', Biermann kam mit seinen 'plebejischen Liedern' nach Ernst Busch 'der Sänger eines freien Volkes' – Heiner Müller „Er wußte damals schon realer als wir, wo im Sozialismus der Hammer hängt und wie die Sichel rauscht.“(144) Da hätte Biermanns Sprachverehrer und früher Förderer, der sich später beleidigt fühlte, Marcel Reich-Ranicki seine helle Freude gehabt, an dieser und anderen Formulierungen, war Biermann doch für ihn der größte Poet der Gegenwart. Für wen nicht?

In der Eiszeit der DDR dichtete Biermann die Populärballade und mit ERMUTIGUNG eines seiner wesentlichsten Lieder:

„Du, laß dich nicht verhärten
In dieser harten Zeit
Die all zu hart sind, brechen
Die all zu spitz sind, stechen
Und brechen ab sogleich…

Fortsetzung folgt

 

Info: Wolf Biermann, Warte nicht auf bessre Zeiten,. Die Autobiographie, Propyläen 2016