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Kategorie: Heimspiel

Jugendliche kuratieren eine Ausstellung im Museum Moderner Kunst MMK in Frankfurt am Main

 

von Helga Faber und Manfred Schröder

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eine gute Idee. Eine richtig gute Idee. Ausgegangen ist sie vom Museum für Moderne Kunst MMK selbst: Jugendliche setzten sich – mit dem Blick, daß daraus eine Ausstellung wird – mit den Werken des Museums auseinander. Das nennt man Motivaktivierung. Denn, wenn ich weiß, daß ich damit was anfangen kann, wird eine Museum, wird ein Kunstwerk zu einem Gegenstand, der befragt wird, der gesucht wird, der auf einmal im Interessehorizont der Jugendlichen steht.

 

Dazu muß man erst einmal sagen, daß es nicht um  Gymnasiasten geht. Zweitens kommt bei diesem Projekt der 16 Schüler der Ludwig-Börne-Schule in Frankfurt hinzu, daß diese die „SchuB-Klasse“ besuchen, eine Besonderheit, die Schule und Betriebspraktikum miteinander verbindet. Zum neuen Schuljahr im August fing es an und nun im Dezember ist die Ausstellung schon fertig. So schnell geht es im Ausstellungsbetrieb sonst nicht. Aber klar ist auch, daß die 15- 17jährigen Jugendlichen thematisch und zeitlich ein Ziel vor Augen haben, das für sie bewältigbar ist.

 

Bei der Sichtung von Werken und möglichen Ausstellungsthemen, kam es zum „Zuhause“. Als Aufsatzthema ist dies bekannt und auch, was man sich selbst mal als Schüler alles aus den Fingern saugte, damit so ein richtig schönes rundes Zuhause mit einer funktionierenden Familie herauskommt. Aber in der Kunst? Richtig. Die Schüler haben sehr viel gefunden, was zu Thema paßt. Richtig. Sie haben nicht ein heiles Zuhause gefunden, sondern sie haben sowohl Rudimente von schönem Wohnen wie auch die soziale Situation des einzelnen in Familien in der Kunst ausgedrückt erfühlt.

 

‚Zuhause’ kann eine Wunschvorstellung sein und es kann Alptraum bedeuten, und manchmal auch beides ineinanderübergehend, wenn man beispielsweise sich allein irgendwo an Zuhause erinnert und den Wunsch danach verspürt und , eingetroffen, es zum Alptraum wird. Aber es geht nicht nur um absolute Gefühle, es geht auch schlicht um Fragen, wie die, wo ein Zuhause anfängt, wo es aufhört. In der Ausstellung gibt es keinen Bezug zu Obdachlosen, die wir alle täglich auf den Hauseingängen in Straßen schlafen und „wohnen“ sehen, weshalb sich die Frage stellt, wo ein Zuhause anfängt, wo es aufhört, wie es beschaffen sein muß, damit es Zuhause wird.

 

Lauter Fragen, die Jugendliche – das zeigt nun die Ausstellung – pragmatisch lösen. Ein Zuhause setzt für sie eine Familie voraus. Das ist Vater, Mutter, Kind als kleinste Einheit. Aus den MMK-Werken haben sie dazu Hans-Peter Feldmann, Michael Kalmbach und Heiner Blum ausgewählt. Die großformatigen Fotografien von Jugendzimmern erweitern den Familienbegriff um die Freunde, die man nach Hause mitnimmt, einlädt, wegschickt, gibt den innenarchitektonischen Gegebenheiten also einen menschlichen Ausdruck.

 

Die Schüler und Schülerinnen haben aber nicht nur ausgesucht und ihre Auswahl in dem hinteren Sonderraum des Museums nun bis zum 25. März nächsten Jahres präsentiert, sie führen auch. So hat uns einer erklärt, weshalb Florian Slotawa  hier an der Wand hängt, nicht er, aber seine Fotografien mit Eingriffen in die Hotelzimmer. Die sehen so aus : er bezieht die Zimmer, sucht sich in ihnen dann aber einen individuellen Schlafplatz, indem er Möbel auseinandernimmt, damit Höhlen oder Hochbetten baut, also alles Mögliche tut, um die Unwirtlichkeit seiner Umgebung noch stärker ins Bewußtsein zu  bringen. Das fotografiert er dann – ohne den Menschen, denn der bedient ja die Kamera – und danach stellt er die alte Ordnung wieder her. Das Hotelzimmer sieht aus wie zuvor, nur er trägt das Bild mit sich. Um 5-Sterne-Hotels geht es hier nicht, das sieht man auf den ersten Blick. Dem Jungen, der uns führt, gefällt es gar zu gut.

 

Uns dagegen haben es die verdorrten Blumentöpfe angetan, auch hier sind natürlich nicht die Töpfe vertrocknet, sondern die Stöcke und Pflanzen in ihnen und sie stehen nicht echt vor uns, sondern als Fotografien. Die Künstlerin hatte in einem Zeitungsaufruf Berliner aufgefordert, ihr solche verreckte Pflanzen zu bringen. Unter diese Fotos von Bonsaibäumchen und traurigen graugewordenem Grünem haben die Schüler alle möglichen Vasen gestellt. Die Assoziation ist da, daß in den Vasen die Schnittblumen auch verwelken. Die werden aber als selbstverständlich weggeworfen, ohne weitere Gefühlregung, denn dazu waren sie da. Vertrocknete Pflanzen, meist sind es zudem zuviel gegossene, aber für den Laien sehen sie vertrocknet aus, dagegen berühren unser Gefühl des Versagens, daß wir es sind, die verantwortlich gewesen wären, daß sie weiterleben.

 

Höhepunkt für die Schüler und das, was ihr Anliegen am deutlichsten ausdrückt, ist natürlich der kleine Junge am großen Tisch von Martin Honert. Der nun ist so aussagekräftig, daß die Jugendlichen in ihn alle die Defizite hineinlegen können, die sie selbst empfinden oder an anderen erleben. Einsamkeit und Verlorenheit. Die Schülerin, die uns führt, sagt dazu: „Ein Eßtisch ist doch für eine Familie da. Wo sind die anderen? Der Junge wartet.“

 

Museumsdirektorin Susanne Gensheimer: „Die Jugendlichen kommen durch das Projekt zum ersten Mal mit Gegenwartskunst in Berührung. Es ist enorm, welche Erfahrungen sie daraus mitnehmen und welches Verständnis für Kunst sie entwickelt haben.“ Schon 2010 wurde das MMK für das Vorgängerprojekt mit dem „Kinder zum Olymp-Preis“ der Kulturstiftung der Länder ausgezeichnet.

 

www.mmk-frankfurt.de